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HERBSTLAUB

Oktober 1985

Indianersommer im Bruch. Die Natur hat ihr buntestes Kleid angezogen. Die Farben prahlen um die Wette und die Sonne lässt sie leuchten, ein Schauspiel für die Augen. Man möchte an jeder Stelle innehalten und sich einfach nur erfreuen.

Deswegen waren die herbstlichen Niederwildjagden auf Enten, Hasen und Fasanen, ein Erlebnis für die Sinne, ein Bad der Gefühle und ein Mekka der Traditionen.

Dabei fing alles ganz klein an, zu viert: mit Rudi, Fivos, Erle und mir als blutigem Jungjäger, das Quartett der ersten Stunde, der Kern einer Freundschaft, deren gegenseitige Ergänzung einen geradezu legendären Kultstatus erreichte.

Die oft mühsam erkämpften Wochenenden lagen mitten in unseren beruflichen Belastungsphasen, waren wichtig für das Abschalten und bedeuteten uns sehr viel. Allein ihr psychischer Erholungswert ersetzte eine ganze Urlaubswoche. Aber erst im vollgepackten Auto, wenn Fivos seine erste „Fume“ anzündete, und wir den Dunstkreis von Göttingen und unsere familiären Pflichten hinter uns gelassen hatten, entspannte sich das Trio, hatte Erle zu Rudi`s Füssen ihren Platz gefunden und ich unser Gefährt sicher auf die Autobahn und die nächsten 225 km. gesteuert.

Wenn uns dann die Euphorie schon mal besonders packte, wurde hinter Hannover auf der B 6 die erste Flasche Herforder entkorkt und dem Fahrer fröhlich zugeprostet.

Bis ins Revier hatte jeder Streckenabschnitt sein besonderes Ritual und steigerte sich bis zu einem lauten Juchzer, wenn die Hütte vor uns lag und wir in eine andere Welt eintauchten. Alle Abläufe haben sich im Laufe der Zeit so automatisiert, dass sie fast mit verbundenen Augen, in der Dunkelheit, ja sogar blind hätten vollzogen werden können. Das Team war absolut eingespielt!

Sobald im Radio NDR 1 ertönte, der Ofen bullerte, das nächste Herforder zischte und der verführerische Duft von Fivos „Spaghetti-Special“ durch die Hütte waberte, waren wir angekommen, angekommen in unserem Reich der Jagd und Hüttenromantik.

Die Nacht, die Morgentoilette an der Pumpe, die Frühstücksvorbereitung und die Jagdplanung, alles hatte seine spezielle Zeremonie und war festen Abläufen unterworfen und nur auf Ziel gerichtet: Jagdbeginn!

Wenn wir dann dastanden, jeder in seinem individuellen Outfit, nur selten mit neuen Klamotten, wenn Erle nervös um uns herumwuselte und es wie wir gar nicht mehr abwarten konnte, dann hatte das Ganze etwas von „High Noon“… kurz vor dem Show down.

Fivos glich mit seinem martialischen Patronengurt diagonal um seinen Oberkörper einem mexikanischen Guerillero, Rudi konnte seine Rittergutsgene mit Schiebermütze, Lederriemen und Hundepfeife nicht ganz verbergen und ich trug meine Schimanskijacke bis sie auseinanderfiel.

Ein paar letzte Probeanschläge, ein lockeres Mitschwingen der Läufe hinter einer imaginären Ente, Munitionskontrolle, die Flinten aufgeklappt, Rucksack oder Jagdtasche umgehängt…es fehlte nur noch die musikalische Begleitung einer typischen Westernmelodie und wir wären glatt als Wyatt Earp, Dc. Holliday oder John Wayne durchgegangen.

Direkt von der Hütte aus ging`s los Richtung Maiglöckchenwäldchen, gleich gegenüber. Jedes Areal oder jeder kleine Busch im Revier hatten ihre klangvollen Namen, die sie unverwechselbar machten und eine schnelle Orientierung ermöglichte, meistens angelehnt an die dort besonders typische Art der Vegetation, an den Namen des Besitzers oder verbunden mit der wirtschaftlichen Nutzung.


EIN KLASSISCHES QUARTETT - FIVOS, UDO, RUDI + ANKO

Die ersten Minuten waren die spannendsten. Bis der Riegel eingenommen war, der Mittelschütze und seine Flankenbegleiter sich auf Sichtweite und gleiche Höhe eingeordnet hatten, bis Rudi Erles Anfangsenergie unter Kontrolle hatte und die ersten „Has hopp, Has hopp“ ertönten, steigerte sich die Spannung mit jedem Herzschlag.

Der erste Schuss war wie eine Erlösung, egal ob er getroffen hatte oder nicht, „der Korken war raus“, und die Erleichterung entlud sich in einem lauten Waidmannsheil oder einem aufmunternden „JoHo und Horrido“.

Fivos war mit Abstand unser bester Flintenschütze und seine Treffsicherheit brachte ihm auch schnell den Titel „Professor Taube“ ein. Wenn er der glückliche und erfolgreiche Erstschütze an einem solchen Morgen war, stand ihm seine ganze kretische Verwegenheit ins Gesicht geschrieben und niemand konnte sich seine Belohnungszigarette so lässig und cool anzünden wie er.

Wenn der Bann des ersten Schusses gebrochen war und die erste Beute am Galgen hing oder im Rucksack verstaut war, stand das innere Jubilieren und das herbstliche Buntlaub in einem harmonischen Einklang zwischen Jäger und Natur.

Wir wussten im Laufe der Zeit genau wo wir mit welchem Wild rechnen konnten und doch überraschte uns der Augenblick immer wieder auf´s Neue. Die Wege waren ähnlich und doch konnten sie, den veränderten Gegebenheiten folgend, völlig neue Entscheidungen erfordern. Fixpunkte waren gesetzt.

Und dazu gehörte die „Bulken-oder Mühlenwiese“ zwischen Hermann`s Einzelhof und dem Bienenzüchter. Ein unwegsames und verfilztes Rechteck von 180 mal 60 Meter Größe, dessen kniehohes Trockengras und Farn durchsetzte Fläche ein ideales Versteck für Hase und Fasan war. Rechts ein Graben, links ein Zäunchen mit verwilderten Apfelbäumen und in der Mitte eine alte Windmühle, deren Räder sich längst nicht mehr drehten.

Hier steckte immer etwas drin. Die Frage war nur, würde man es erwischen. Das war in erster Linie abhängig von der Schnelligkeit und Treffsicherheit der Schützen, von der Disziplin unserer unverzichtbaren Hundedame Erle und der Pfiffigkeit des Wildes. Wenn der erfahrene Althase die genügende Bodenhaftung hatte und Erle ihn nicht in den Wind bekam, konnten wir ihn schon mal überlaufen; oder wenn sie übereifrig zu weit vorpreschte , ging der Fasanengockel zu früh hoch und entkam unbeschossen. Aber wenn die treue Hündin wie in Stein gemeißelt vorstand, ihr Körper von der Nasenspitze bis zur Rute eine einzige Linie bildete und der rechte Vorderlauf rechtwinklich erhoben war, lief ein Schauer über unsere Rücken und wir wussten, das ist der Moment, wo jedes Jägerherz höher schlägt und in wenigen Augenblicken der Schuss fällt. Dieser Spannungsbogen ist unbeschreiblich.

Wenn dann der Gockel purrend hochsteigt und sein grünbraun schimmernder Schweif im Licht der Sonne glänzt, ist es der archaische Jagdinstinkt, der den Schuss löst und das wunderbare Bild beendet und Stolz und Trauer miteinander verbindet.

Von der „Mühlenwiese“ ist es nur ein kurzer Weg zur Suhle, dem Grenzfluss unseres Reviers und der jagdtaktischen Herausforderung schlechthin. Voraussetzung für den Erfolg auf Enten ist immer erst eine sorgfältige Standortanalyse. Und das bedeutete ein vorsichtiges Ableuchten des Gewässers und die Klärung, sind welche drauf und wenn ja, wo? Die Schwierigkeit dabei ist natürlich, dass sie uns bei diesem Manöver vorher nicht mitkriegen.

Meistens sitzen sie an der gleichen Stelle und wenn sie arglos sind, hört man schon von weitem ihr lautes Schnattern. Das Angehen erfolgt von Hermann`s Hof in akkurater Schützenreihe über das abgeerntete Maisfeld, das bei feuchter Witterung auch schon mal richtig matschig sein kann. Aber heute ist ein sonniger Spätherbsttag und das Geläuf trocken.

Rudi hat Erle an der kurzen Leine. Fivos und ich flankieren die Beiden links und rechts im Abstand von fünfzig bis sechzig Meter, je nachdem, wie weit der Schoof auf dem Wasser auseinander liegt. Die Flinten schussbereit in beiden Händen nähern wir uns lautlos der steilen Uferböschung, die uns vor der frühzeitigen Sicht der Gelbschnäbel schützt.

Mit jedem Schritt steigt die Spannung. Die letzten Meter überwinden wir in gebückter Haltung und lassen den Hund ablegen. Noch ein Blick zur Seite, ein letztes Ausrichten unserer Dreierkette, gemeinsames Aufrichten und dann ein energisches Vorgehen. Dieser Moment ist der absolute Höhepunkt. Keiner weiß wo sie sitzen und wie sie aufsteigen und fliegen. Hat man Pech, steht man an der falschen Stelle, hat man Glück kommen sie einem ideal und man wird sogar zwei Patronen los. Sämtliche Fasern und Sinne sind auf das Äußerste angespannt und man verfolgt das Geschehen wie auf einer Blaupause. Und plötzlich ist alles vorbei, der Spuk zu Ende.

Welch eine Freude, wenn jeder jubeln kann und ruft: ich hab eine, ich auch und ein letztes Flattern auf der Böschung oder im Wasser den Erfolg bestätigt. Und wenn Erle dann noch einen Erpel aus dem Fluss apportiert und ihn brav seinem Herrchen vor die Füße legt, dann ist das Glück der Freunde nicht zu bremsen. Wie die Kinder halten wir unsere Beute am langen Hals in die Luft und mancher braucht sogar zwei Hände.

Nach einem solchen Herbstmorgen ist der Weg zurück zur Hütte ein Schreiten wie auf Wolken und die Aussicht auf eine warme Suppe und ein kühles Herforder lassen Müdigkeit und Schwäche schnell vergessen.

Nach einer kurzen Pause geht`s zur Nachmittagspirsch. Die Sonne lockt uns raus, bevor sich die müden Beine melden. Die Strecke sieht schon erfreulich bunt aus, und so wie die Birken mit den Erlen um das kräftigste Gelb streiten, so schimmert die grüne Erpellocke neben dem rotbraunen Stoß des Fasanengockels und der schneeweißen Blume des Rammlers um die Wette.

Wo ist die größte Aussicht auf jagdlichen Erfolg für den zweiten Teil des Tages? Kondition und Erfahrung geben den Ausschlag zwischen der „Lakeweide“ und dem großem Teich oder dem „Kronshalsweg“ und der „Märchenwiese“.

Schmauch I“ trifft die Entscheidung: „Lakeweide“, sein Lieblingsareal…hat er sich doch dort zur Blattzeit beim Ansitz auf den Roten Bock heimlich Notizen gemacht, wo Mümmelmann seine Sassen und Kleeflächen hat. Außerdem ist es der kürzere Weg und kommt seinem Credo“…no walking“ am meisten entgegen. Überdies bietet der Anmarsch entlang diverser Gräben und über den „Lönsweg“ so manches vielversprechende Fleckchen, das ein intensiveres Stöbern interessant erscheinen lässt! Und wie immer hat er Recht! Schon an der „Katzenleiter“ lässt er den ersten Hasen rollieren, noch ehe Rudi und ich die Flinte oben haben. Der schlaue Fuchs.

Doch wie so oft meidet er das grobe Dickicht und den beschwerlichen Weg durch Dornen, Schilf und über Zäune und gibt Rudi und mir die Gelegenheit, der feinen Nase des treuen Hundes zu folgen und die heimlichen Ecken zu entdecken…und das mit treffsicherem Erfolg: eine saubere „Triplette“ von Hase, Ente und Fasan können wir ihm im Dschungel der „Pferdekoppel“ präsentieren, als er neugierig auf dem „Lönsweg“ auf uns wartet und rätselt, wie denn die Schüsse außerhalb seines Wirkungsbereiches zu erklären sind.

Und das ist das Einmalige an unserem Trio: jeder freut sich über den Erfolg des anderen, niemals kommt auch nur eine Spur von Jagdneid oder Missgunst auf, im Gegenteil, die Freude des anderen ist die eigene Freude.

So kommt es auch schon einmal vor, dass der gegenseitige Trost die Enttäuschung über einen bedauerlichen Fehlschuss besänftigen muss, noch ehe Gram und Kummer sich festsetzen können. Wie schön, wenn alle drei sich lachend anschauen , nachdem ein todesmutiger Fasanengockel querab die Schützenkette der drei Musketiere unverletzt durchfliegt und kein einziges Schrotkörnchen sein buntes Gefieder erwischt.

So sind wir gar nicht mehr zur „Lakeweide“ gekommen. Der Tag hatte uns so reichlich beschenkt, dass wir glücklich und zufrieden „Hahn in Ruh“ geblasen haben und auf dem Weg zurück zur Hütte die Sonne glutrot untergehen sahen. Ein wunderschöner Herbsttag, ein Indianersommer im Sulinger Bruch… wer hatte schon das Glück, so etwas erleben zu dürfen? Wir: Rudi, Fivos und ich, mit Erle an unserer Seite.

Niemals haben wir es versäumt, unseren Dank und Respekt vor dem erlegten Wild würdevoll zu zelebrieren. Das „Streckelegen“ war nie ein Akt eitler Selbstdarstellung oder Angeberei, es war uns ein Bedürfnis, die Jagd als einvielleicht antiquiertes, aber - elementares Kulturgut unserer Geschichte zu ehren und zu akzeptieren.

Die abendliche Runde in der molligen Jagdhütte, bei warmen Kerzenschein und kühlem Bier, die Nachbereitung der Tageserlebnisse bei Zaziki und griechischem Salat, Knoblauchspaghetti und Fetakäse war eine Hommage an die Freundschaft, wurde ein Teil unseres Lebens und geriet niemals in Vergessenheit.

Wer außer uns dabei sein durfte war ein Glückspilz, wem zweimal diese Ehre zuteil wurde, ein Sonntagskind und wer ein Dauergast werden durfte, blieb die seltene Ausnahme.

Diese Einschätzung zeigt keinerlei Überheblichkeit oder Dünkel, sie unterstreicht nur die Einmaligkeit dieses Triumvirats und ihres Vertrauens zueinander.

Der Zeitraum dieses Jagdtages war sicherlich der Beginn eines sich über Jahrzehnte wiederholenden Erlebnisses, das nie gleich war und doch in seiner Symbolik eine dauerhafte Ähnlichkeit aufwies: die Sehnsucht nach Sicherheit und Verlässlichkeit in einer vertrauten Umgebung, einer einfachen Jagdhütte und einer unverfälschten Natur.

Jagd mit Freunden

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