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HIMMELFAHRTSKOMMANDO

16. Mai 1985

Es sollte ein klassisches Bockaufgangswochenende werden, mit allen Abläufen, Ritualen und Besonderheiten, wie wir sie in Sulingen, im Bruch und unserer geliebten Jagdhütte dutzende Male erlebt und praktiziert haben. Allein das verwegene Quartett der Mannschaft mit Rudi, Fivos, Karl Heinz und mir versprach allerhöchste Jagdfreude.

Das Wetter spielte mit, der vertraute Kübelwagen bewies sein enormes Transportvolumen und seine militärische Robustheit. Dazu die Aussicht auf fünf spannende Jagdtage in einer einmaligen Natur, romantischer Einsamkeit und gemütlicher Hüttenidylle ließen die Herzen höher schlagen.

Das abendliche Eröffnungsmenü mit „Fivos Special“: Spaghetti mit kretischer Tomaten-Hackfleischsoße, Knoblauchzaziki und Honigjoghurt machten seiner griechischen Abstammung alle Ehre und läuteten einen dionysischen Begrüßungsabend ein.

Um 5: 00 Uhr klingelte am nächsten Morgen der Wecker und alle waren nach einer heißen Tasse Tee erwartungsgeil auf den Läufen und saßen munter im offenen Kübelwagen.

Karl Heinz und ich steigen an der Lakeweide aus und pirschen uns durch das Eingangswäldchen leise bis zur Eichenleiter und baumen vorsichtig auf den geräumigen Natursitz auf. Rudi und Fivos wollen auf einen lahmenden „Krummen“ waidwerken, den wir gestern bei der Anfahrt bereits gesehen hatten.

Noch herrscht starker Frühnebel und die Sicht ist kaum 50 m. weit, von der typischen Topografie der Lakeweide ist noch nichts zu sehen. Die Sonne kämpft verzweifelt gegen den Dunst und nur langsam klart es auf; endlich zeichnet sich die rote Scheibe schemenhaft vor uns am Osthimmel ab und schiebt sich langsam über den Horizont. Ich weise Karl Heinz behutsam in das Gelände ein und freue mich, wie sich auf der satten Wiese der gelbe Löwenzahn mit dem zarten Wiesenschaumkraut die Vorherrschaft um die Farbenpracht der Natur streitig machen…ein wunderbares Bild. Nur mein hartnäckiger Husten und eine langwierige Erkältung stören die Idylle.

Karl Heinz entdeckt das Spießerpärchen als Erster. Es tobt ungestört zwischen den kleinen Wäldchen umher, verhofft nur kurz, um dann immer wieder in den Büschen oder dem Restnebel zu verschwinden. Erst nach einer halben Stunde können wir sie weit hinten schwach durch die Gläser wieder entdecken. Sie stehen auf der entferntesten Äsungswiese im hohen Roggengras, dort, wo ein starker Sechser auch seinen Stammplatz hat.

Aber alles ist zu weit entfernt und für einen sichern Schuss ausgeschlossen. Darum entschließen wir uns, den Eichensitz aufzugeben und uns trotz der ungünstigeren Windrichtung (SO.) anzupirschen. In der Deckung der kleinen Büsche kommen wir mühsam aber unbemerkt im taufeuchten Gras der Wiese bis an die untere Spitze des rechten Wäldchens (s. Skizze). Der flache Kriechgang war anstrengend und hatte uns die Sicht nach vorn genommen. Als ich den Kopf hebe, steht vor mir – keine 50 Schritt entfernt – ein weiterer Spießer und äst direkt an der Grabenkante zum Getreideschlag des Nachbarreviers.

Jede Bewegung wäre jetzt verhängnisvoll. Und noch ehe ich den Gedanken zu Ende bringe, wirft der Bock auf und schaut misstrauisch in unsere Richtung, ich vor Karl Heinz. Der Entschluss war längst gefasst: der soll es sein, ein mickeriger „Zigarettenspießer“, die Stangen nicht länger als eine Marlboro. In der nächsten kurzen Phase einer Scheinäsung des Bockes gehe ich in meiner unbequemen Bauchlage im Zeitlupentempo in Anschlag. Der Wind steht halb auf den Schwachen zu. Karl Heinz liegt hinter mir und beobachtet das Ganze mit angehaltenem Atem.

Der Bock wirft auf. Zwischen ihm und uns bewegen sich die Halme des Roggengrases im sanften Morgenwind und jede Brise kann uns verraten und der Bock springt ab. Die Mündung des Drillings zeigt schon auf das Blatt, langsam steche ich ein und entsichere die Waffe. Es bleiben nur noch Sekunden, die Körpersprache des Bockes steht auf Absprung, sein Blick auf Flucht, da lasse ich die Kugel raus und kann den Bock durch den Schmauch des Schusses nicht mehre sehen. „ Er liegt“, raunt Karl Heinz mir zu “Waidmannsheil“, seine Freude ist spürbar, meine Erleichterung auch.

Langsam richten wir uns auf und ich deute meinem Kumpel an, leise zu sein und auf den hinteren Teil der Wiese zu achten, weil ich die beiden anderen Spießer dort noch vernute und auch ihn noch zu Schuss bringen will. Und richtig, der Sechser steht mit seinen weißgefegten Stangen neben seinen beiden Ricken, von den Spießern allerdings keine Spur.

Nachdem wir die Scene lange beobachtet haben, springen aus unerfindlichen Gründen alle Stücke ab. Und jetzt sind auch die Zwillingsspießer dabei, die wir im hohen Gras wohl übersehen hatten.

Nur ein Schmalreh zieht noch an der äußersten Wiesenkante entlang und lässt sich durch nichts stören. Wir nehmen es nur zur Kontrolle noch einmal genauer ins Glas und wundern uns über seine merkwürdige Färbung, besonders des Hauptes. Ich stelle die Optik noch schärfer und suche die Schürze…vergeblich.

Da zeigt uns das Schmalreh seinen Rücken und durch die hochaufgestellten Lauscher erkenne ich zwei daumenlange Knubben: ein Bock! Der ideale Abschussbock für Karl Heinz…schwach im Wildbret und ein rechter Kümmerling, ein wirklicher Hegefall.

Ich deute Karl Heinz an, sich bis zum Zaun vorzupirschen, von dort hat er nur noch die halbe Schussdistanz und eine sichere Auflage. Er nickt und macht sich auf den Weg. Tief geduckt durch eine flache Senke schafft er es bis zum Grabenrand und ab dort schützt ihn der höhere Bewuchs im Verlaufe der Zaunpfähle. Nach anstrengender Arbeit erreicht er 10 Minuten später den von ihm ausgewählten stabilen Eichenpfosten und ist jetzt nur noch 80 Schritt von seinem Ziel entfernt.

Ich habe inzwischen den Drilling nachgeladen und beobachte die weitere Entwicklung durch das Zielfernrohr. Karl Heinz streicht ruhig am Pfosten an und jeden Augenblick erwarte ich seinen Schuss. Da endlich…aber es macht nur „pitsch“…die kleine Kugel, er hat die Waffe nicht umgestellt! Der Bock wirft auf und schaut sich irritiert um, kein sichtbares Schusszeichen, die Kugel hat ihn offensichtlich verfehlt. Verdammt! Sollte uns dieser Mickerling am Ende noch entkommen?

Noch ehe er sich eines anderen besinnen kann, steche ich meinen Drilling ein und entsichere. Die Entfernung ist gewagt, die Situation auch, aber schon saugt sich der Zielstachel auf dem Blatt fest und kaum 10 Sekunden nach Karl Heinz unglücklichem Schuss ist die Hirtenberger 7 mal 65 aus dem Lauf des Drillings. Wie vom Blitz getroffen sackt der „Knubber“ zusammen. Ich sehe nichts mehr von ihm.

Entmutigt kommt mir Karl Heinz entgegen, er ist über sich selbst verärgert und kann seinen Fehlschuss kaum ertragen…verständlich.

Als wir meinen ersten Grenzbock nach 15 Minuten Pause bergen wollen, kommt auf der gleichen Wiese noch ein Stück hoch. Es macht einen seltsamen Buckel und verhält sich auffallend merkwürdig. Ich denke sofort an den zweiten Zwillingsbock und sehe für Karl Heinz noch eine 2. Chance…er soll sich heranarbeiten.

Aber da höre ich von der Eichenleiter einen lauten Pfiff. Rudi und Fivos waren inzwischen an der Eichenleiter angekommen und hatten offensichtlich einen Teil unserer jagdlichen Aktionen mitbekommen. Sie haben auch den seltsamen Bock gesehen und meinten, es sei ein krankes Stück.

Nach einer kurzen Information und Absprache entscheiden wir, dass Karl Heinz doch an der Wiese bleiben soll, das Geschehen weiter beobachten und eventuell auf den Spießer warten soll.


MANÖVER AUF DER LAKEWEIDE

Rudi, Fivos und ich fahren zur Hütte zurück. Die beiden wollen nach dem Frühstück ihre Waffen auf einem nahegelegenen Schießstand einschießen. Ich bleibe in der Hütte zurück und mache mit meinem grundguten Rauhaardackel eine kleine Vormittagspürsch. Schon nach einem kurzen Weg sehe ich an der Eichenleiter nahe der Hütte den jungen Spießer, den Karl Heinz schon vorgestern im Visier hatte, aber aus den Augen verlor. Der Ahnungslose äst friedlich vor sich hin und tut sich dann satt und müde nieder zu einem kleinen Nickerchen, so wie es die Alten auch gern machen.

Ich sehe dagegen eine weitere Chance für meinen enttäuschten Freund, schlage einen großen Bogen über den Lönsweg und hole den Guten von der Lakeweide ab. Das dauert zu Fuß fast eine halbe Stunde, erlöst aber Karl Heinz von seiner erfolglosen Warterei. Müde, hungrig und mutlos kommt mir der Jungjäger entgegen. Erst nach meinem Bericht über den Hüttenspießer hellen sich seine Gesichtszüge wieder auf.

Über den Hof von Bauer Cordes schleichen wir uns gegen den Wind in einem notwendigen Umweg an die Eichenleiter ran. Die Mittagssonne meint es gut und der Schweiß läuft in Strömen über unsere Gesichter. Die Frage ist, liegt der Bock noch?

Nicht weit von der ausgemachten Stelle setzt ein Landwirt Zaunpfähle und veranstaltet einen mächtigen Lärm. Ein langer blick durch das Glas bestätigt unsere Hoffnung: der Bock liegt noch im hohen Grase und beobachtet seelenruhig die Arbeit des Bäuerlein. Also los Karl Heinz, deine nächste Chance. Er pirscht sich vorsichtig durch den Topinambur Richtung Leiter, ganz geräuschlos geht das nicht, aber der Bock bleibt ruhig, der Pfostenlärm lenkt ihn von der drohenden Gefahr ab.

Fussel lege ich ab und beobachte das weitere Geschehen mit dem Doppelglas aus der Ferne. Meine Wünsche sind bei dem Schützen, da bricht auch schon der Schuss. Im gleichen Moment kommt der Bock hoch und tippelt nervös hin und her. Ein unruhiger Blick und dann setzt er sich in Bewegung, kein Schusszeichen deutet auf eine Verletzung oder gar einen tödlichen Treffer hin…der Bock geht gesund ab…wieder vorbei!!

VorbeiauchKarlHeinzruhigeZuversichtundGelassenheit.Schweißüberströmt kommt er mir wie ein Häufchen Unglück entgegen, Resignation und Enttäuschung stehen in seinem Gesicht, da helfen auch keine tröstenden Worte. Diana war ihm an diesem Tag nicht hold und ein Waidmannsheil war ihm nicht vergönnt. Was bleibt für ihn als Trost übrig? Eine eigene Waffe muss her, nur die gibt ihm Sicherheit und Vertrauen in den eigenen Schuss. Damit versuche ich ihn bei einem Herforder wieder aufzubauen und von seinen Grübeleien abzulenken.

Nach einem verspäteten Frühstück und der Rückkehr unserer beiden Probeschützen Rudi und Fivos, machen wir uns zu viert auf das Einsammeln der Beute an der Lakeweide. Der erste Bock ist schnell gefunden, auch wenn er fünf Meter auf dem Nachbarrevier seinen letzten Schnaufer getan hat. Vom „Knopfer“ aber fehlt jede Spur. Das gibt uns Rätsel auf.

Nachdem ich vom Platz der Schussabgabe bis zum vermeintlichen Anschuss 210 Schritt zurückgelegt habe, suche ich den Platz vergeblich nach verwertbaren Schusszeichen ab. Das hohe Roggengras und die dichte Bodenvegetation erschwert die Suche ganz erheblich. Ich werde unsicher!

Sollte der von Rudi und Fivos beobachtete Bock, dessen merkwürdiges Verhalten auch wir gesehen haben, vielleicht doch der Gesuchte sein? Sollte er tatsächlich noch einmal hochgekommen sein und sich ins Wundbett gelegt haben, ohne dass wir seinen Fluchtweg bemerkt hätten?

Die Hunde sind durch die vielen Rehwildfährten und völlig verwirrt und geistern ziellos hin und her. Dennoch weisen sie uns ein Wundbett nach und wir finden den ersten Schweiß, ein gutes oder schlechtes Zeichen? Fivos findet sogar einen Knochensplitter, und nach allem was wir beobachtet haben, muss das Stück einen Laufschuss haben und krank abgegangen sein; deshalb auch der hohe Rücken.

Erle wird geschnallt und bögelt die Wiese im kniehohem Roggengras ab, Fussel assistiert, ist aber gar nicht zu sehen… nichts! Wir suchen die Kanten ab und untersuchen noch einmal den Anschuss…nichts. Die Mittagssonne und die Hitze treiben uns nach drei Stunden zur Hütte zurück, kurze Pause und die Erkenntnis, ein brauchbarer Schweißhund muss her. Aber aktuell ist auf die Schnelle keiner zu finden.

Also müssen wir nach einer kurzen Stärkung noch einmal ran. Alle Möglichkeiten werden erwogen: - 1. er ist über den Grenzbach ins Nachbarrevier gewechselt. – 2. er hat sich unbemerkt ins Gehölz geschlagen. – 3.er liegt noch weidwund auf der Wiese.

Wir gehen alles noch einmal ab, jedes rote Fleckchen auf einem Grashalm kommt uns wie die langersehnte Schweißspur vor. Jedes ungewohnte Trittsiegel auf dem feindlichen Acker wie die Bestätigung des flüchtigen Dreibeiners. Stunden vergehen und uns verlassen langsam die Kraft und der Mut.

Es bleibt noch die letzte Chance: wir müssen die Wiese mit dem Wundbett noch einmal systematisch durchkämmen – bei der Größe von zwei Fußballfeldern keine leichte Aufgabe. Die Schützenkette besteht aus drei Mann und zwei Hunden, Rudi verhandelt inzwischen mit dem Reviernachbarn Kannengießer.

Nach der 4. Bahn nähern wir uns dem markierten ersten Wundbett und keine 20 Schritt davon entfernt sehe ich ein braunes Etwas. Sekunden später mein erlösender Ruf:“ Da liegt er!“

Drei Meter von mir entfernt schaut er mich an. Fivos ist heran und hebt die Waffe, langsam richtet er die Mündung auf den Weidwunden und jeder von uns erwartet den finalen Fangschuss. Nichts passiert. Wie paralysiert stehen sich der Grieche und der Bock Auge in Auge gegenüber…wer ist das Kaninchen, wer die Schlange?

Da müdet der Bock auf und flüchtet mit hängendem Vorderlauf davon. Jetzt erwacht Fivos aus seiner Trance und reißt die Mannlicher an seine Schulter und wird seinem griechischen Naturell gerecht: in kurzen Abständen schickt er dem Flüchtenden ein Sperrfeuer hinterher, dreimal staubt der braune Ackerboden auf, ohne Treffer, dann hat der Bock den Grenzgraben überfallen und ist im nächsten Gehölz verschwunden. Welch eine schändliche Choreografie!

Ich kann es gar nicht fassen und schaue Fivos entsetzt an, bevor ich mit entsicherter Waffe und Fussel an der Leine dem Bock hinterherstürze. Auch Erle hat die Fluchtfährte aufgenommen und hetzt dem armen Kerl mit lautem Jiff und Jaff nach. Dann Standlaut und Ruhe.

Mit seinem norwegischen Jagdmesser hat Rudi der Qual ein Ende gesetzt.

Das Stück hatte die daumenlangen Knubben noch nicht verfegt und wog aufgebrochen nur knappe 10 kg. Dennoch hätte man ihm ein solch dramatisches Ende gern erspart.

Die abendliche Nachbesinnung dieses ungewöhnlichen Jagdtages, an dem am Ende alle vier Freunde und die Hunde beteiligt waren, hatte bei dem einen oder anderen doch manch stille und nachdenkliche Phase. Einig waren sich am Ende alle über den Titel dieser Dramaturgie: Das „Himmelfahrtskommando“


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