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Hoffnungslos

Zwei Stunden später griff sie eine Polizeistreife in der Nähe des kleinen Bahnhofs auf. Sie trug nur das dünne Nachthemd, welches über und über mit Blut getränkt war und irrte ziellos, mit glasigen Augen auf nackten Füßen durch die Einrichtung. Erst Stunden später, reagierte sie auf die geduldigen Fragen der Sozialarbeiterin und sagte nur:

„Ich habe ihn weg gemacht.“

„Wen? Wen hast Du weg gemacht? Meinst Du damit, dass Du ihn getötet hast?“ Eine Ärztin hatte zuvor schon die deutlichen Spuren der wiederholten Vergewaltigung, die zahllosen blauen Flecken auf ihrem Gesäß und Oberschenkeln gefunden und entsprechende Schlüsse gezogen. Der Sozialarbeiterin war deshalb deutlich bewusst, dass die bislang nicht identifizierte, gequälte kleine Seele, sich ihres Peinigers entledigt und blutige Rache genommen hatte.

„Dieses Dreckschwein, meinen Vater.“

Whui riss die Augen auf, starrte die Sozialarbeiterin hilfesuchend an und dann löste sich die Spannung in ihr, brach sie weinend zusammen, wand sich in fötaler Haltung auf dem Boden und war nicht mehr ansprechbar.

Ein Ermittler der Kriminalpolizei sah sich inzwischen den Ort, an welchem die Polizeistreife sie aufgegriffen hatte, genauer an und entdeckte eine dünne Blutspur, welche ihr durchtränktes Nachthemd und ihre Füße hinterlassen hatten. Er besorgte sich eine UV-Lampe und folgte der Spur durch das Dorf, bis er an ihr Elternhaus kam. Dort fand er ihren Vater ausgeblutet, den eigenen Penis im Mund steckend, auf dem Sofa liegend vor. Nachdem er das Haus durchsucht und die Spuren der Vergewaltigungen auf dem Laken ihres Bettes identifizierte, hatte er ein sehr deutliches Bild von dem was dort geschah vor Augen.

Er informierte, nachdem alle Spuren gesichert waren und er ein vollständiges Bild des Hergangs zeichnen konnte, die Staatsanwaltschaft und das Jugendamt. Die Ärztin bestätigte, dass das Kind nicht nur an diesem Abend, sondern schon zuvor wiederholt missbraucht wurde und Richter, sowie Staatsanwalt waren sich einig, dass man die Kleine für ihre Tat nicht strafrechtlich belangen könne.

Sie wurde in die Obhut des Jugendamtes übergeben, kam in ein Waisenhaus und wurde dort psychologisch betreut. Langsam, im Lauf der Jahre stabilisierte sich ihre Psyche wieder und fand sie ins Leben zurück. Als sie dann mit 19 Jahren das Waisenhaus verlassen musste, ging sie regelmäßig zur Schule, lernte mit Eifer und richtete sich in einer kleinen Wohnung, deren Miete sie mit Aushilfstätigkeiten in diversen Geschäften verdiente, gemütlich ein.

Für die jungen Männer in ihrer Umgebung hatte sie keine Augen und jene, welche versuchten, sich ihr zu nähern, ließ sie freundlich, aber bestimmt abblitzen.

-*-

Obwohl sie mit Eifer lernte, neben der Schule aber arbeiten musste, um ihren Unterhalt zu verdienen, waren ihre Noten nicht die besten und sie hätte ihren ordentlichen Abschluss nur bekommen, wenn sie zu ihrem Klassenlehrer ein wenig ‚nett‘ gewesen wäre, aber das konnte und wollte sie nicht. Deshalb ließ er sie eiskalt durchfallen und sie bekam kein Abschlusszeugnis.

Deshalb konnte sie die, in einem der Geschäfte in Aussicht gestellte, Ausbildung zur Verkäuferin nicht antreten und wurde darüber hinaus gefeuert. Wie auch immer… Die Information, sie sei zu dumm, sich weiter zu bilden, machte die Runde und nach und nach kündigten ihr auch die anderen fünf Läden, in welchen sie vier Jahre als zuverlässige Aushilfe geschätzt wurde.

Als sie dann nicht mehr in der Lage war, die Miete für ihre Wohnung zu bezahlen und sich standhaft weigerte, zu ihrem Vermieter ‚nett‘ zu sein, setzte dieser sie eiskalt auf die Straße. Ihre Habe passte in zwei kleine Koffer und mit ihrem letzten Geld kaufte sie ein Ticket für die Fahrt in die Hauptstadt Manila, verbrachte dort zwei Tage auf der Straße, ernährte sich von Essensresten, welche sie sich von den Gästen der zahlreichen Straßenrestaurants erbettelte. Erneut erfuhr sie, dass sie hätte mehr bekommen können, wenn sie ihre Attraktivität ausgespielt hätte. Aber sie wollte nicht ‚nett‘ zu den Männern sein und verbrachte die Nächte lieber in einem Park; immer in Angst, ein Kerl könne versuchen, etwas von ihr zu erzwingen. Am Morgen des dritten Tages wurde sie von einer Polizeistreife angehalten, nach ihren Papieren, Wohnsitz und Lebensumständen befragt, weil sie übernächtigt, ausgehungert und ungepflegt wirkte. Irgendwie rührten ihre Aussagen die Polizisten und diese luden sie in den Streifenwagen, brachten sie in die Innenstadt und setzten sie vor einer Agentur für Dienstmädchen ab.

„Die suchen immer Nachwuchs für die Arbeit als Maid im Ausland, Frau Mahn. Ohne Job werden Sie in dieser Stadt nicht überleben und wenn Sie sich erfolgreich bewerben, haben sie wenigstens ein Dach über dem Kopf und müssen nicht mehr hungern.“

Die Polizisten ließen sie stehen, fuhren weiter, sie dachte über die Worte lange nach, fasste dann einen Entschluss und betrat die Geschäftsräume der Agentur, um sich zu bewerben.

-*-

Sie wurde akzeptiert, unterschrieb einen Blanko-Arbeitsvertrag, in welchem nur ihre Daten eingetragen waren, aber jegliche Angabe über den Arbeitgeber, ihren Einsatzort und ihr Einkommen fehlte, und erhielt ein kleines Zimmer, welches gerade mal groß genug für ein Bett, eine Dusche und eine Toilette war.

Vier Wochen lang erhielt sie gemeinsam mit anderen jungen Frauen Unterricht, um sich die Genehmigung, als Dienstmädchen zu arbeiten, zu verdienen. Am 21. Juni 2027 hielt sie dann endlich ihr Zertifikat ‚Staatlich geprüfte Dienstmagd‘ in der Hand und eine Mitarbeiterin der Agentur füllte ihr Bewerberprofil samt Foto aus. Dieses Profil wurde auf diversen Homepages in Thailand, Hongkong und Singapur publiziert, um es dortigen Agenturen zu ermöglichen, sie in Augenschein zu nehmen. Jetzt blieb ihr nur, zu hoffen, dass jemand Interesse an ihr hätte.

Das geringe Überbrückungsgeld, welches ihr die Agentur als Vorschuss auf ein zu erwartendes Gehalt, gewährte – im Prinzip, durch ihre Unterschrift bestätigt, eine Fußfessel, welche sie an die Agentur band – reichte, um ein kleines Zimmer in einer billigen Absteige zu finanzieren und nicht zu verhungern. Deshalb wurde sie täglich bei der Agentur vorstellig und hoffte, ein Engagement zu erhalten.

Am 19. Juli schließlich, empfing sie die Vermittlerin der Agentur mit einem freudigen Lächeln.

„Komm rein, Whui, ich habe einen Auftrag für Dich. Du bekommst einen guten Job in Hongkong.“

„Hongkong? Und wie komme ich dorthin?“

„Kein Problem. Deine Papiere sind in Ordnung, Hongkong erlaubt Deine Einreise und dass Du dort als Dienstmädchen arbeitest und… das Flugticket dorthin legen wir Dir vor. Wir bekommen für Deine Vermittlung eine Provision der Agentur dort und damit zahlst Du das Ticket ab. Deine Schulden bei uns tilgst Du dann mit einem Anteil von 15% Deines Einkommens und das ist nicht schlecht, sondern sogar richtig gut. Du erhältst satte 600 jeden Monat und das ist ein Spitzengehalt in Deinem Beruf.“

„600? Hongkong-Dollar?“

„Nein, Dummerchen. Das würde nicht zum Leben reichen. US-Dollar natürlich und das ist sehr gut.“

„Und… und wo werde ich wohnen?“

„Im Haus des Auftraggebers. Das ist so üblich in der Branche.“

„Gut, wo muss ich unterschreiben?“

„Unterschreiben?“ Die Angestellte lachte leise und hielt ihr den bereits unterschriebenen, jetzt vollständig ausgefüllten, Vertrag hin.

„Unterschrieben hast Du doch schon. Hier, das ist Dein Ticket und hier ein wenig Reisegeld. Geh nachhause, pack Deine Koffer und sei Morgen früh am Flughafen am Sammelpunkt. Ihr fliegt um 9: 00 Uhr nach Hongkong.“

Unheiliges Leben

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