Читать книгу Einführung in die Geschichte der Religionswissenschaft - Udo Tworuschka - Страница 25
7.7 Begegnung mit den Religionen Afrikas, Amerikas, Asiens in Reise- und Missionarsberichten des 16./17. Jahrhunderts: katholische „missionary-ethnographers“
ОглавлениеEine einflussreiche religionswissenschaftliche Informationsquelle waren die Berichte portugiesischer, spanischer, niederländischer, französischer, britischer und in geringerem Maße deutscher Seefahrer. Wirtschaftliche, missionarische und wissenschaftliche Motive während zweier Entdeckungszeitalter (1492–1540; 18. Jh.) führten dazu, im Rahmen der Informationen über fremde Völker sich zugleich mit deren Sitten und Gebräuchen sowie ihren Religionen zu beschäftigen. Zwischen den Jesuiten und Asien bestand eine besondere Beziehung. Die Portugiesen hatten den Papst 1538 gebeten, die Jesuiten nach Indien zu schicken, um dort eine kurz vorher bekehrte Kaste seelsorgerisch zu betreuen. Daraufhin wurde der Jesuitenorden vom Papst bestätigt, und der Mitgründer der Jesuiten, Franz Xavier (1506–1552), begann 1541 mit seiner zwölf Jahre dauernden asienweiten Missionstätigkeit.
Katholische Missionstheologen und -ethnographen leisteten Wesentliches für das Entstehen der Vergleichenden Religionswissenschaft. Im Unterschied zu ihren protestantischen Kollegen, die zwischen ihrer eigenen Religion und den neu entdeckten Religionen durchweg nur einen Abgrund zu erkennen vermochten, setzten katholische Theologen auf religiöse Kontinuität.
Haupttendenzen der Anthropologie im 16. Jahrhundert
Drei Tendenzen prägten die Anthropologie fremder Kulturen im 16. Jh.: die legitimatorische, idealisierende und verstehende (Erdheim 1990). Die legitimatorische Tendenz bestand darin, die vorgefundenen Völker zu beherrschen bzw. auszulöschen. Ein Beispiel hierfür ist Fernández de Oviedo (1478–1557), der die von Natur aus „tierischen“ und seelenlosen Indianer für nicht fähig hielt, zum Christentum zu konvertieren (Vorwurf: mangelnde Empathie, sexuelle Ausschweifungen). Der idealisierenden Tendenz lag ein positives Bild der Indigenen zugrunde, die in mancherlei Hinsicht reiner als die Europäer seien. Diese Sichtweise vertrat der Dominikaner Bartolomé de las Casas (1499–1540), der die fremden Kulturen nicht an europäischen Werten maß. Idealisierende Tendenzen zeigen sich auch bei Michel de Montaigne (1533–1592), der zwar nie über Europa hinaus gelangte, aber das Motiv des „edlen Wilden“ popularisierte.
„Missionary-ethnographers“
Im „ersten Entdeckungszeitalter“ ragte der franziskanische Mönch und Missionar Fray Bernardino de Sahagún (1499/1500–1590) als „missionary-ethnographer“ (Laura Ammon) hervor. Als Repräsentant der verstehenden Richtung wollte er die Indigenen besser verstehen und ihre Sprachen lernen. Dabei trat das missionarische Element zurück. Über 60 Jahre lebte und forschte er in Mexiko. Nicht nur Ethnologen zählen ihn zu den Begründern ihres Faches, auch für die Religionswissenschaft gibt es gute Gründe, Sahagún zu den Pionieren des Faches zu rechnen. Eine wichtige Wurzel des Faches liegt in der Reflexion auf die Begegnung christlicher Missionare mit der nichtchristlichen Welt.
Im Vorwort seiner „Universalgeschichte der Dinge Neuspaniens“ artikuliert er sein Erkenntnisinteresse: die Vernichtung des nach der ersten Mission übrig gebliebenen „Götzendienstes“, zugleich die Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses. Sahagún stellte die aztekischen Götter und den Umgang mit ihnen dar (Buch 1), beschrieb die Riten, Feste und Opfer (Buch 2), den Ursprung der Götter (Buch 3), handelte von religiösen Spezialisten (Wahrsager, Astrologen, Zukunftsdeuter, Buch 4) und allgemein von divinatorischen Praktiken (Buch 5). Gebeteandie Götter und die aztekische Ethik behandelt Buch 6.
Anfänge empirischer Religionsphänomenologie
Sahagún ist religionswissenschaftlich aus inhaltlichen und theoretischmethodischen Gründen relevant. Er gehört zu den Pionieren der vergleichenden religionsethnographischen Methode. Dies betrifft seine Informationsgewinnung und -auswertung, die angemessene Einstellung gegenüber den Informanten, die aus der Religionsphänomenologie bekannte Zurückstellung der eigenen Meinung (Epoché). Er wandte das heute so genannte Experteninterview an. Sein Wissen bezog er aus verschiedenen Quellen, wobei er auch Frauen als Kultur- und Religionsexperten hinzuzog. Sahagún verglich die Daten miteinander, um die vertrauensvollste Information zu gewinnen. Weil er die Sprache der Azteken, das Nahuatl, beherrschte, minimierte er die Problematik von Übersetzungen. Sahagún verwendete auch standardisierte Verfahren, zum Beispiel Fragebögen. Im ersten Buch über die Götter und ihr Wesen stellte er Fragen nach: Titeln, Attributen und charakteristischen Eigenschaften der einzelnen Götter, nach den besonderen Zeremonien, nach ihrem Aussehen.
Die ersten differenzierten Informationen über Lateinamerika („West Indies“) lieferte der spanische Jesuitenpater José de Acosta (1539/40–1600) in seiner „Historia natural y moral de las Indias“ (1590). 16 Jahre lang hielt er sich im westlichen Teil Südamerikas auf, reiste durch Peru, Bolivien, Chile und Mexico. Als der wohl erste Europäer systematisierte er die Geographie der „Neuen Welt“. De Acosta interpretierte den fremden Glauben – auf der Folie der christlichen Deutung antiker heidnischer Religionen – als Einfluss satanischer Mächte. Dem religionsvergleichenden Ansatz stand er aufgeschlossen gegenüber und verglich Rituale der Inkas mit kirchlichen. Auch jüdische, islamische und antik-polytheistische Anschauungen lieferten komparatistische Möglichkeiten des Religionsverstehens. Schon vor De Acosta verwendeten Autoren systematisch den komparatistischen Ansatz (Vossius, Bochart, Kirchner, Huet). Die Reiseberichte der „missionary-ethnographers“ beeinflussten auch die Aufklärungsphilosophen: So wurde De Acostas Idee der Naturreligion von den englischen Philosophen Thomas Hobbes und John Locke rezipiert.
In seinem Werk „Conformités des ceremonies modernes avec les anciennes“ (1667) legte der hugenottische Pfarrer Pierre Mussard (1627–1686) eine religionswissenschaftlich-vergleichende Abhandlung mit anti-katholischer Ausrichtung vor. Mussard verglich antike und moderne Kultbräuche und Einrichtungen (Papsttum, Fegfeuer, Kultbilder), um katholische Konzepte auf heidnische Ursprünge zurückzuführen.
Protestantische Missionare
Die protestantische Missionsbewegung, die insbesondere auf bereits kolonisierte Gebiete ausgerichtet war, begann erst Anfang des 18. Jh. mit der Entsendung des lutherischen Missionars Bartholomäus Ziegenbalg (1682–1719) nach Tranqebar (im heutigen südindischen Bundesstaat Tamil Nadu). Obwohl Ziegenbalg engen Kontakt zur indischen Bevölkerung suchte und die Hälfte seines Lebens in Indien verbrachte, hielt er die Inder stets für Heiden. Für die Missionare war der heidnische Glaube blanker Unsinn, dem durch Konversion ein rasches Ende bereitet werden müsse.
Über 30 Jahre vorher veröffentlichte der für die „Vereenigde Oostindische Compagnie“ (VOC) tätige calvinistische Prediger Philippus Baldäus (1632–1671) seine „Wahrhaftige Ausführliche Beschreibung …“ (1672). Dort stellte er die hinduistische Religion sowie die „Zehn Inkarnationen Vishnus“ dar. Baldes Werk war für das Hinduismus- und Buddhismusbild der Europäer über längere Zeit maßgebend. Baldaeus war wohl der erste, der die Krishnageschichten und die großen Hinduepen (Ramayana, Mahabharata) einem weiten Leserkreis zugänglich machte.
Der französische Missionar Abbé Jean Antoine Dubois (1766–1848) beschrieb in „Moeurs, Institutions et Cérémonies des Peuples de l’ Inde“ (2 Bde. 1825) anders als frühere Autoren die Kasten-, Religions- und Lebensverhältnisse in Südindien unter religiösen, ethnologischen und soziologischen Aspekten. Die Leser erhielten einen lebenskräftigen Einblick in Alltagsleben und Brauchtum der Hindus.