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2. Griechische Religions- und Mythenkritik 2.1 Vorsokratiker und Sophisten

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Religionssystematik

Die Anfänge einer gelehrten Beschäftigung mit Religion/en gehen auf die griechische und römische Antike zurück. In der Hesiod (um 700 v. Chr.) zugeschriebenen „Theogonie“ („Entstehung der Götter“) ordnete und erklärte Hesiod die Götterwelt, um zugleich eine moralische Weltordnung zu begründen. Seine Systematisierung des empirischen Materials macht ihn zu einem Vorläufer religionswissenschaftlicher Forschung.

Auch bei den Vorsokratikern (ca. 600–380 v. Chr.) von Thales von Milet bis Demokrit von Abdera lassen sich religionsdenkerische Tendenzen beobachten. Die Vorsokratiker waren nicht nur „Philosophen“, sondern wirkten auch als Dichter, Politiker, Charismatiker und Denker. Dabei wandten sie sich an ein breiteres Publikum.

Aufklärung in Griechenland

Versteht man den Begriff Aufklärung nicht in einem epochenspezifischen Sinne (18. Jh.), so kann man auch von aufklärerischen Elementen in der griechischen Philosophie sprechen. Sie sind zu beobachten in Medizin, Naturwissenschaft, Geschichtsschreibung, Länder-, Völker- und Religionskunde. Die ionische Naturphilosophie und die Mythendeutung der Vorsokratiker enthalten aufklärerische Elemente. Gemeinsam waren den miteinander konkurrierenden Denkschulen ein rationalistischer Denkansatz und die Kritik an den überlieferten Mythen und der Religion.

Mythendeutungen

Die Geschichte der Mythendeutung begann mit den Sophisten. Xenophanes (576–480 v. Chr.) kritisierte die polytheistischen Götter auf dem Hintergrund seiner Lehre vom einzigen (kugelförmig vorgestellten) Gott. Xenophanes erkannte die Ähnlichkeit der Göttervorstellungen mit den anthropomorphen Vorstellungen der Gläubigen. Er nahm Vorstellungen der modernen Religionskritik (Ludwig Feuerbach: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“) vorweg, ohne jedoch deren atheistische Grundlage zu teilen.

Wirtschaftlicher Aufschwung, Demokratisierung und hegemonialer Anspruch machten im 5./4. Jh. v. Chr. die athenische Polis zu einem Zentrum ökonomischen und kulturellen Austausches. Die Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen zwang viele Intellektuelle dazu, über Natur, Gott, menschliche Ordnungen nachzudenken. Die Sophisten („Weise“) standen philosophiegeschichtlich zwischen den Vorsokratikern und den philosophischen Systemen von Platon und Aristoteles. Sie wirkten in die Öffentlichkeit hinein, galten als Vorreiter eines neuen kritischen Denkens. Sie übertrugen die Erkenntnisse der ionischen Naturphilosophen in die praktische Philosophie. Die Sophisten pflegten die Kunst des Streitgesprächs, hoben die Grenzen der Wahrnehmung und menschlichen Erkenntnis hervor. Sie betonten die menschliche Eigenverantwortung, schufen ein neues Bildungsideal und praktisch-pädagogische Reformen. „Die Entgöttlichung des athenischen Menschen ist die Folge politischer und weltanschaulicher Krisen. Aufklärung und Sophistik haben den Glauben an die Götter untergraben. Das Individuum zieht sich auf sich selbst zurück und ergibt sich einer Verstandeskultur, die alles und jedes zu begreifen und zu unternehmen vermag“ (Koch 1960: 102).

Prodikos von Keos (um 410 v. Chr.) verband die Frage nach der Existenz der Götter mit der nach dem Ursprung der Religion. Auch wenn er die Ursprungsfrage stellte, wollte er nicht den überkommenen Glauben an die olympischen Götter beseitigen. Prodikos ging von der Nützlichkeitserwägung aus: Die Menschen hätten die Götter als das verehrt, was für sie am nützlichsten war – Sonne, Mond, Gewässer, außerdem die großen Kulturbringer, die zuerst den Anbau von Wein, Getreide und anderen Nutzpflanzen gelehrt hatten.

Euhemeros und der Euhemerismus

Euhemeros von Messene (um 340–ca. 260 v. Chr.) wurde durch seine „Heiligen Aufzeichnungen“ und einen nur fragmentarisch erhaltenen utopischen Reiseroman bekannt. Er berichtete von der Reise zu einer im indischen Ozean gelegenen Inselgruppe. Dort stieß er nicht nur auf eine utopische Gesellschaftsordnung, sondern erhielt Einblicke in die Entstehung der olympischen Religion. Euhemeros systematisierte zum ersten Mal eine altorientalische Mytheninterpretationsmethode. Er behauptete, dass die Götter als Wohltäter und Erfinder, Helden und Eroberer verdiente Menschen gewesen waren, die man nach ihrem Tod als Götter verehrte. Die Mythologie war für Euhemeros eine Ansammlung von Dichtungen. Viele Theorien über Religionen bis in die Neuzeit, bei denen die Verehrung der Ahnen und der Totenkult im Mittelpunkt stehen, haben euhemeristischen Charakter.

Religionstheorien

Sporadisch über Göttliches und Götter sprach Demokrit (460–370 v. Chr.). Seine Ansicht, dass Angst und Schrecken vor Gewittern, Sonnen- und Mondfinsternissen die Ursprünge von Religion und Göttern gewesen wären, korrelierte mit seiner Eidola-Theorie. Durch diese versuchte er, die Vorstellung von der Gottheit bei den Menschen der Urzeit zu erklären: Die Eidola („Bildchen“) fließen kontinuierlich von den sichtbaren Dingen ab, treffen auf die Sinnesorgane und erzeugen Wahrnehmung. Die empirischen Gegenstände führte Demokrit materialistisch auf die Verbindung zwischen den im leeren Raum befindlichen, unterschiedlich großen, schweren, gestalteten, unteilbaren Atomen zurück. Auch die Vorstellung von den Göttern deutete Demokrit auf dem Hintergrund der Eidola- und Atomlehre. Bilder übermenschlicher Wesen, Dämonen pflanzen sich durch die Luft fort und werden manchmal von den Menschen aufgenommen. Dass diese Götter („Dämonen“) der alten popularen Religiosität, die sich etwa durch Träume dem Menschen kundtun, unsterblich sind – dafür gibt es keine zweifelsfrei überlieferten Worte Demokrits.

Von Kritias (460–403 v. Chr.) stammen wohl die 42 Zeilen aus dem Satyrspiel „Sisyphos“. Kritias schilderte die Urzeit, als die Menschen bar jeder Ordnung waren und rohe Gewalt herrschte. Dann gaben sie sich Gesetze, bestraften Verbrecher: „Wenn jemand ein Verbrechen beging, so wurde er nun gestraft. Als so die Gesetze hinderten, dass man offen Gewalttat verübte, und daher nur insgeheim gefrevelt wurde, da scheint mir zuerst ein schlauer und kluger Kopf die Furcht vor den Göttern für die Menschen erfunden zu haben, damit die Übeltäter sich fürchteten, auch wenn sie insgeheim etwas Böses täten oder sagten oder (auch nur) dächten. Er führte daher den Gottesglauben ein: Es gibt einen Gott, der ewig lebt, voll Kraft, der mit dem Geiste sieht und hört und übermenschliche Einsicht hat; der hat eine göttliche Natur und achtet auf dies alles. Der hört alles, was unter den Menschen gesprochen wird und alles, was sie tun, kann er sehen. Und wenn du schweigend etwas Schlimmes sinnst, so bleibt es doch den Göttern nicht verborgen. Denn sie besitzen eine übermenschliche Erkenntnis“ (Kritias, VS 88 b25).

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