Читать книгу Lerntherapie – Geschichte, Theorie und Praxis (E-Book) - Ueli Kraft - Страница 6
1.1 Zur Sache
ОглавлениеDer Versuch, wenigstens Teile der Entstehungsgeschichte der Lerntherapie zu rekonstruieren, setzt aus Schweizer Perspektive zunächst bei Armin Metzger (1945–2019) an – und stösst auf unerwartete Schwierigkeiten: bevor er 2011 sein von ihm 1990 gegründetes Institut für Lerntherapie verkaufte, liess er das Institutsarchiv aus unbekannten Gründen entsorgen. Abgesehen von seinen beiden Buchpublikationen – «Lerntherapie. Wege aus der Lernblockade – Ein Konzept» (2001) und «Lerntherapie in Theorie und Praxis» (2008) – hat er vergleichsweise wenig publiziert. Er erwähnt eine unveröffentlichte Diplomarbeit in Heilpädagogik aus dem Jahr 1972 («Schach in der Hilfsschule»), welche «Wechselwirkungen zwischen Kognition und Emotion» fokussiert (2008, S. 137). Eine zweite – ebenfalls unzugängliche – Diplomarbeit in Erziehungs- und Schulberatung aus dem Jahr 1975 («Apropos Beobachtungsklasse») wird lediglich im Literaturverzeichnis angeführt (2008, S. 408). Seine zeitnah zur Institutsgründung eingereichte Dissertation («Begegnung und Beziehung als Auslöser von Entwicklung und Genesung – Zur Bedeutung der Psychotherapie für die Sonderpädagogik» (1990) beinhaltet zwar Ansätze einer theoretischen Grundlegung – das Thema «Lernen» wird aber nur ganz am Rande aufgegriffen und der Begriff «Lerntherapie» kommt gar nicht vor. Zu dem von einer ehemaligen Studentin des Instituts herausgegebenen Buch «Lerntherapie in der Praxis» steuert er ein kurzes Vorwort und eine Darstellung seines Vierstufenmodells bei (Suter, 2003, S. 14–20). Ein Tagungsbeitrag «Lerntherapie – Auf den Spuren der Persönlichkeit» wurde 2003 veröffentlicht, ein kurzer Handbuchartikel («Lerntherapie») 2014.
Verweise auf die in Deutschland seit den Achtzigerjahren bestehende Tradition der Lerntherapie sind bei Metzger äusserst spärlich. 2008 erwähnt er – ohne inhaltliche Bezüge – Betz und Breuninger, welche den Begriff der Lerntherapie bereits 1987 verwenden. In seinem Handbuchartikel findet sich lediglich ein Satz: «Weitere Ausdifferenzierungen der lerntherapeutischen Konzepte lassen sich derzeit im Ansatz der ‹strukturellen Lerntherapie› (vgl. Betz & Breuninger, 1987), in der ‹integrativen Lerntherapie› (vgl. Nolte, 2008) und in der ‹bewältigungsorientierten Lerntherapie› (vgl. Ruff, 2007) erkennen» (Metzger, 2014, S. 153). Aus historischer Perspektive helfen die erwähnten Autorinnen und der Autor auch nicht weiter, abgesehen vom Ergebnis einer bereits 1987 belegten Verwendung des Begriffs.
Wer dann mit gleichschwebender Aufmerksamkeit zu Expeditionen in die Tiefen des World Wide Web aufbricht, häuft zunächst ein kaum überblickbares Konvolut an überwiegend unbrauchbaren Texten an, macht aber auch unerwartete Entdeckungen. Die erstaunlichste sei vorweggenommen: Idee und Praxis dessen, was wir heute als Lerntherapie bezeichnen, haben offenbar eine wesentlich längere Vorgeschichte, als die aktuelle Fachliteratur suggeriert. Wer diese allerdings detailliert beschreiben wollte, würde einige Lebensjahre übrig haben und einen potenten Financier oder eine potenten Financière finden müssen. Wer beides nicht hat, kann sich – in der Sprache der Archäologie – immerhin darauf konzentrieren, Sondiergrabungen vorzunehmen, welche das Feld wenigstens in einigen Hinsichten strukturieren helfen.