Читать книгу Lerntherapie – Geschichte, Theorie und Praxis (E-Book) - Ueli Kraft - Страница 8
1.3 Zur Frühgeschichte dessen, was wir heute Lerntherapie nennen
ОглавлениеDatiert vom 3. März 1910, erhält Paul Häberlin, der spätere Ordinarius für Philosophie, Pädagogik und Psychologie der Universität Bern, einen Brief von Sigmund Freud. Dieser hoffte, ihn in seinen Kreis aufnehmen zu können, und schreibt unter anderem die folgenden Zeilen: «Ich weiss, dass die Psychoanalyse in Beziehung zur Pädagogik treten muss, kann aber selber nichts da für thun. Ich weiss auch, dass sie zur Selbsterziehung mächtig anregt und dass man grosse innere Widerstände überwinden muss, ehe man sich ganz mit ihr befreunden kann …» (zit. nach Hegg, S., 1977, S. 77).
Bevor Häberlin 1914 in Bern Professor wurde, hatte er in Basel Theologie studiert und in Philosophie, Zoologie und Botanik promoviert. Seine Beziehung zu Freud hatte sich über seine Freundschaft mit den Psychiatern Robert und Ludwig Binswanger angebahnt und war für seine Theoriebildung von grosser Bedeutung – obwohl er sich mit der Lehre Freuds nie völlig hat befreunden können. «Trotz aller Hochschätzung der durch die Psychoanalyse gewonnenen psychologischen Einsichten musste er die Lehre in ihren Grundlagen ablehnen, da die Weltanschauung und die Anthropologie, welche dahinter standen, einseitig naturwissenschaftlich-biologisch orientiert waren» (a.a.O., S. 77). Häberlin selber schreibt:
Religiöser Glaube, ethische Norm, und was damit zusammenhing, durfte nicht zu Recht bestehen, musste ‹zeranalysiert› werden, bis nichts anderes übrig blieb als nackter Trieb. Die psychoanalytische Theorie war mehr als Psychologie, sie entsprang aus anti-autoritativer Einstellung und mündete wieder in eine Art von kulturellem Nihilismus oder Relativismus. (Dies gilt sicher nicht von der Persönlichkeit Freuds, wohl aber von seiner Theorie.) (1959, S. 55).
Diese Reserviertheit hinderte ihn allerdings nicht daran, Person und Werk hoch zu schätzen, den Diskurs mit Freud auch persönlich zu führen und von ihm «starke Anregungen» für eine «wirklich psychologische Psychologie» zu gewinnen, welche ihm vorschwebte (a.a.O., S. 52). Seine Studenten hatten sich mit der Psychoanalyse vertraut zu machen – so auch Hans Hegg, der nachmalige Mitintiator und Leiter der bernischen Erziehungsberatung, deren Geschichte seine Tochter Suzanne Hegg minutiös aufgearbeitet hat (Hegg, S., 1977).