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IST PLATTDEUTSCH EINE EIGENE SPRACHE?
ОглавлениеHessisch, Bairisch, Badisch, Sächsisch … all das sind Dialekte, also regionale, mundartliche Einfärbungen des Deutschen. Plattdeutsch (besser eigentlich: Niederdeutsch) jedoch ist eine ganz eigene Sprache.
Zumindest behaupten das jene rund vier Millionen Menschen, die »op Platt snacken« – also die Muttersprachler. Ein paar Sprachwissenschaftler halten allerdings dagegen, dass Platt nicht sooooo weit weg vom allgemeinen Deutschen entfernt sei, dass man es als eine eigene Sprache ansehen könnte.
Nun, darüber lässt sich streiten: Immerhin hat Nedderdüütsch eine Grammatik, die sich ziemlich von der hochdeutschen unterscheidet, eine ganze Menge eigene Wörter, die sich eher im Niederländischen (was ja anerkanntermaßen eine eigene Sprache ist!) als im Hochdeutschen wiederfinden lassen, und sogar ein paar Laute, die kaum ein Mensch sonst verwendet.
Der harmoniebedürftige Norddeutsche gibt im Zweifelsfall jedoch gerne zu, dass Plattdüütsch ein »interessanter Grenzfall« zwischen eigener Sprache und Dialekt sei. Dabei freut er sich insgeheim einfach nur, dass zum Beispiel ein Bayer sich zwar zur Not mit einem Sachsen im jeweiligen Dialekt verständigen kann, bei einem Plattsnacker aber vermutlich schnell resigniert – und vielleicht lieber auf Englisch ausweicht.
Ein nordfriesischer Bauer zum Beispiel kann mit einem Engländer durchaus via Platt kommunizieren – weil die Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben: das Altsächsische.
Dieses hat wenig mit der heutigen Region Sachsen zu tun. In der Völkerwanderungszeit, also vor bummelig 1600 Jahren, lebte ein gleichnamiger germanischer Volksstamm ungefähr in der Region des heutigen Holsteins. Irgendwann begannen dann diese Stammeskrieger, ihr Siedlungsgebiet in sonnigere Gefilde auszudehnen. Südlicher Stopp war erst bei den Mittelgebirgen – die dem Flachländer offenbar schon damals ein Graus waren. Im Westen war mit dem IJsselmeer die natürliche Grenze der Expansion erreicht, im Osten hielten die Slawen die Volksbewegung auf.
Weil ihre (Aus-)Wanderlust damit aber noch nicht befriedigt war, stiegen etliche Sachsen zusammen mit den Angeln, ihren Nachbarn aus der Region rund um Schleswig, auf ihre Schiffe und fuhren nach England, um sich dort anzusiedeln. Als »Angelsachsen« bezeichnen wir die Engländer ja noch heute.
Aus diesem Grunde ist die Sprache der »Cousins auf der Insel« sehr eng mit dem Platt verwandt. Allerdings flossen ins Englische noch viele weitere Idiome ein: Nach den Sachsen kamen als Eroberer die Wikinger aus Skandinavien, ab dem Jahre 1066 auch noch die Normannen aus Frankreich. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die keltische Urbevölkerung sowie die Nachfahren der alten Römer, die dort drei Jahrhunderte ansässig waren, buchstäblich weiterhin etwas zu sagen hatten.
Im Norden Deutschlands jedoch geschah lange … einfach nichts. Keine Invasion, keine Sprachexperimente, kein anderes Bier.
Das Niederdeutsche blieb einfach so, wie es war.
Damit separierten sich die Nordmenschen von der Sprachentwicklung der restlichen germanischen Stämme, bei denen zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert die sogenannte zweite Lautverschiebung stattfand: Zum Beispiel wurde aus dem »p« ein »f«, aus dem »t« ein »s« und aus »th« ein »d« – alles Dinge, die den Klang des Hochdeutschen heute prägen.
Aber so einen neumodischen Kram wollte im Norden keiner haben.
Wozu auch? Niederdeutsch – dieser Name bezieht sich tatsächlich auf die Region des flachen Deutschlands – sprachen doch so viele! Es war im Mittelalter sogar offizielle Handelssprache der Hanse: Zwischen Hull in England, Riga im Osten, Bergen im Norden und Antwerpen im Süden befleißigte man sich bis ins 16. Jahrhundert hinein des Plattdeutschen. So wie heute Englisch – und wahrscheinlich schon bald Chinesisch – die Verkehrssprachen des internationalen Handels sind.
Mit dem Niedergang des Handelsbundes jedoch und der parallel damit einhergehenden Globalisierung kam mehr und mehr das Hochdeutsche, das Martin Luther geprägt hatte, in Gebrauch. Es galt als Sprache der Gebildeten.
Plattdüütsch aber wurde degradiert und zur Sprache des »einfachen Volkes« – darauf bezieht sich auch das »platt« in dem Wort an sich: Es bedeutet im Niederländischen, aus dem der Ausdruck stammt, nicht so sehr »flach« (für die Landschaft), sondern vielmehr »einfach« (für das gemeine Volk). Was aber selbst heute die Menschen im Norden nicht davon abhält, untereinander munter in dieser kraftvollen, uralten Sprache zu schnacken.
Rein juristisch hat das Niederdeutsche sogar einen gewissen Artenschutz: In Schleswig-Holstein darf man Anfragen an die Behörden auch op Platt stellen; diese müssen auch op Platt beantwortet werden. Und wenn man etwas beim Deutschen Patentamt anmelden will, darf die Gebrauchsanweisung für die Erfindung gern in Niederdeutsch sein. Allerdings muss dann eine beglaubigte hochdeutsche Übersetzung beiliegen. Was übrigens wiederum beweist, dass Platt tatsächlich eine eigene Sprache ist …