Читать книгу Zwischen "nicht mehr" und "noch nicht" - Ulla Peffermann-Fincke - Страница 6
ОглавлениеDie Phasen eines Übergangs
Der deutsch-französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873–1957) hatte vor allem bei indigenen Völkern beobachtet, dass beim Übergang von einer Lebensstufe zur nächsten (zum Beispiel vom Jugendlichen zum Erwachsenen) besondere Rituale eine große Rolle spielen, die sogenannten Rites de Passages (Übergangsriten), die in den Zwischenräume zur Geltung kommen. Es sind Zeiten, in denen wir spüren, dass eine Veränderung im Leben ansteht, aber noch nicht da ist. Victor Turner, ein Ethnologe mit Schwerpunkt Ritualforschung, benutzt für diesen Zustand den Begriff »liminal space«. Dieser drückt aus, dass es sich um einen Grenzraum handelt, einen Zustand auf der Schwelle, in dem das Alte nicht mehr gilt und das Neue noch nicht greift. Es geht darum, diesen Spannungszustand bewusst zu durchleben. Nichts verläuft wie immer oder normal, weil es in dieser Phase keine Normalität mehr gibt. Alles ist anders und deshalb wird eine erhöhte Aufmerksamkeit von uns gefordert. Wir werden mit uns selbst auf eine neue Art konfrontiert. Ein Beispiel: Wenn ich mich auf eine neue berufliche Herausforderung beworben, eine Zusage erhalten habe und meinem neuen Arbeitgeber bestätigen muss: Ja, ich werde die Stelle antreten. Plötzlich werde ich unsicher. Soll ich das wirklich tun? Soll ich meinen Wohnort wirklich wechseln? Was ist mit meinen Freunden? Jeder kennt wohl solche Situationen.
Vor sieben Jahren – ich war zu dem Zeitpunkt 59 Jahre alt – befand ich mich genau in einer solche Situation. Ich hatte damals mit meiner Frau lange Diskussionen über unsere Zukunft geführt. Wir hatten zwölf Jahre in Lübeck gelebt, einer wundervollen Stadt an der Ostsee und der Trave. Ich sah überhaupt keinen Grund, von hier wegzugehen. Doch meine Frau – eine überzeugte Rheinländerin – bat mich inständig darum, zu versuchen, eine Pfarrstelle im Rheinland zu finden. In einem Alter, in dem andere intensiv an den Ruhestand denken, sollte ich noch einmal als Pfarrer in einer neuen Stadt, einer anderen Landeskirche, einer anderen Kultur anfangen. Dann wurde tatsächlich eine Stelle in Bad Godesberg frei.
Von da an befand ich mich in einem »liminal space«: Die Gemeinde in Bad Godesberg hatte Interesse, meine alte Gemeinde hätte mich gerne behalten. Ich hatte einige schlaflose Nächte, war hin- und hergerissen, habe die Frage »durchkaut«, wie es Ignatius von Loyola in seinen Exerzitien vorgibt. Ich kam damit aber nicht weiter. Geholfen hat mir dann der heilige Franz von Assisi.
Einer unserer spirituellen Lehrer, den wir in unserem Buch öfters erwähnen, ist der Franziskanerpater Richard Rohr. Wir mögen seinen wertschätzenden, aber gleichzeitig kritischen Blick auf unsere christliche Tradition und seine Offenheit für andere spirituelle Wege. In seinem »Center for Action and Contemplation« in New Mexico lehrt er die franziskanische Spiritualität, bei der es um einen praxisbezogenen Weg geht und weniger um theoretische Überlegungen theologischer Art. Er beschreibt beispielsweise die Lösung von Problemen bei einer Entscheidungsfindung gerne so: Wenn der Heilige Franz auf einer Wegkreuzung stand und nicht wusste, wo er hingehen sollte, streckte er seinen rechten Arm aus, drehte sich, und dort, wo der Arm am Ende des Drehens hinzeigte, ging er lang. Wenn der Weg richtig war, dankte er Gott. Und wenn der Weg falsch war, drehte er wieder um und dankte ebenfalls Gott, der ihn nun rechtzeitig hatte umkehren lassen und ihn jetzt ganz sicher den richtigen Weg führen würde. Ich nahm die Stelle also an, ging mit meiner Frau ins Rheinland, unsere Tochter fing an zu studieren und ich erlebte noch sechs intensive und erfüllende Jahre als Pfarrer bis zum Ruhestand.
Zwischen jeder der Lebensstufen gibt es solche Zwischenräume. Es sind Zeiten, in denen wir eine besondere Klarheit finden, Mut und innere Kräfte, um das, was uns hemmt und unfrei macht, abzugeben. Und es sind Zeiten der Offenheit und Gottesnähe. Ich muss durch diese Zwischenräume kommen. Es führt kein Weg daran vorbei.
Van Gennep beobachtete in diesen Zwischenräumen bestimmte, immer wiederkehrende Abläufe von ritualisierten Handlungen. Diese Rituale können sehr hilfreich sein für die Bewältigung von Krisenzeiten. Man kann drei Abschnitte unterscheiden, die man am besten am Beispiel einer Brücke und eines Flusses zeigen kann.