Читать книгу Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen - Ulrich Chaussy - Страница 11

SPUREN NACH RECHTS Der verdächtige Tote

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Damals, in der Nacht vor drei Jahren, als die Ärzte und Sanitäter die noch lebenden Opfer der Bombe von diesem Platz getragen hatten, schlugen die Beamten der Spurensicherung einen imaginären Kreis um den Punkt, an dem heute das Mahnmal für den Anschlag steht und der nach dem Bild der Verwüstungen und den ersten Augenzeugenberichten der Ort war, an dem die Bombe detonierte. »Etwa sechs Meter südlich des Explosionszentrums wurde ein Bundespersonalausweis, ausgestellt auf die Personalien Gundolf Wilfried Köhler, * 27. 8. 1959 in Schwenningen, wohnhaft in Donaueschingen, mit der Nummer G 9638225 aufgefunden.«

In dem Pass steckte ein Internationaler Studentenausweis auf den gleichen Namen. Das Passbild zeigte einen jungen Mann mit kurzen, dunklen Haaren, das linke Ohr frei, die Augen groß und relativ weit auseinanderstehend. Trotz des entstellten Gesichtes glaubten die Beamten, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem menschlichen Torso ohne Arme am südöstlichen Eingang und dem jungen Mann auf dem Passbild zu entdecken. Der noch unbekannte Tote aber schien mit der Bombe Kontakt gehabt zu haben. Die Papiere, so hofften die Fahnder, würden ihnen Klarheit über die Identität des Toten verschaffen – und sie vielleicht der Herkunft der Bombe auf die Spur bringen.

Am Samstagmorgen, dem 27. September 1980, um 9.20 Uhr meldete sich der Leiter der Sonderkommission Theresienwiese, LKA-Kriminaldirektor Ziegenaus, telefonisch im Lagezentrum Bayern des bayerischen Innenministeriums. Ziegenaus gab Köhlers Personalien durch. Vom Lagezentrum aus landeten die neuen Informationen in ein paar Minuten auf dem Tisch des Mannes, der im Hause die besten Kontakte zu Geheimdiensten und Verfassungsschutzämtern hatte. Dr. Hans Langemann, Leiter der Abteilung Staatsschutz im bayerischen Innenministerium, nahm die fällige Recherche sofort selbst in die Hand. Seinem Mitteilungsbedürfnis, das ihn in der Folge den Posten kostete, verdanke ich auf diversen Umwegen Informationen und Dokumente, die den hektischen Betrieb dieses Samstagmorgens und der folgenden Tage in seiner Behörde bis in die höchsten Etagen anschaulich belegen. In dem gut 60 Seiten dicken Bündel Kopien, das Langemann mehr oder weniger überlegt dem amtlichen Schleier der Geheimhaltung entriss, findet sich auch Seite 15 des »Einsatz-Tagebuches« im Lagezentrum Bayern vom 27. September 1980, dem Morgen nach dem Anschlag. Die Chronik der laufenden Ereignisse wurde hier im Minutenschritt verzeichnet.

»9.22 Uhr. Von: LZBy [Lagezentrum Bayern]. An: MR Häring. Inhalt: Information weitergegeben. Anordnung: Ermitteln, was hinter dem verd. [verdächtigen] Köhler steckt.

9.35 Uhr. Von: Dr. Langemann. Inhalt: Dr. Langemann veranlasst NADIS-Überprüfung des Köhler beim BLfV [Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz]«.

NADIS ist das in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik eingeführte »Nachrichtendienstliche Informationssystem«. In diesem Computerverbund laufen seither die Datenströme der deutschen Geheimdienste zusammen. Die damals elf Landesämter für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes und der Militärische Abschirmdienst speichern ein und fragen ab. Der Name Gundolf Wilfried Köhler war gespeichert.

Um 10.03 Uhr meldete Dr. Langemann dem Lagezentrum Bayern: »Der verd. Köhler ist Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann. (NADIS) BLfV.«

Die brisante Nachricht wollte Hans Langemann sofort untermauert wissen. Um 10.08 Uhr verzeichnet das Einsatztagebuch: »Dr. Langemann veranlasst Bundesamt für Verfassungsschutz zur weiteren Klärung Köhler, bisherige Nachrichteninformation stammt vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg.«

Um 11.50 Uhr hielt Langemann ein Fernschreiben in der Hand, mit dem er seinem Minister Gerold Tandler konkrete Informationen liefern konnte. Absender war das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz:

»vs – vertraulich – aus dem 1977 bei karlheinz hoffmann (wsg-leiter) sichergestellten material ergibt sich, dass koehler im februar 1976 mit hoffmann im briefwechsel stand und seine absicht bekundete, in donaueschingen eine Ortsgruppe der wsg aufzubauen. koehler war laut vertraulicher mitteilung 1977 und 1979 in der wsg-kartei als aktiver anhaenger erfasst, nach einer notiz des hoffmann auf der karteikarte 1979 hat er an zwei uebungen teilgenommen.«

Die Spur des mutmaßlichen Bombenlegers führte ins rechtsextremistische Lager. Dem bayerischen Innenminister Tandler wurde ein pikantes politisches Problem bewusst. Eben noch hatten er selbst und sein Ministerpräsident dem Bundesinnenminister Gerhart Baum öffentlich Mitverantwortung für das Bombenattentat zugeschoben, hatten ihn als »Unsicherheitsminister« apostrophiert, als Skandalbesetzung in seinem Amt, da führte die neue Spur in der Sache ausgerechnet zu dem Rechtsextremisten, dessen bizarrer Karriere im bayerischen Freistaat die Landesregierung über Jahre hinweg mit einem gewissen Amüsement und nicht sonderlich besorgt zugeschaut hatte.

»Machen Sie sich doch nicht lächerlich«, hatte der Ministerpräsident, CSU-Vorsitzende und Landesvater Franz Josef Strauß am 22. März 1979 den Abgeordneten der Opposition in einer Landtagsdebatte Bescheid gegeben, »wenn Sie gewisse Gruppierungen – Sie haben heute die ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ genannt – durch Ihre ständigen, in der Öffentlichkeit vorgetragenen Darstellungen überhaupt erst der bayerischen Bevölkerung bekanntgemacht [haben] und ihnen damit eine Bedeutung zumessen, die sie nie hatten, nie haben und in Bayern nie bekommen werden.« Strauß setzte damals mit dieser und ähnlichen Äußerungen höchst selbstbewusst und unverblümt auf Vogel-Strauß-Politik: Nichtbeachtung schafft das nicht Ernstgenommene aus der Welt. Diesen Karl-Heinz Hoffmann und seine gesamte Wehrsportgruppe hatte ausgerechnet der so heftig attackierte Bundesinnenminister Gerhart Baum durchaus ernst genommen, so ernst, dass er am 30. Januar 1980 bestimmte: »Die ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Die ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ ist verboten. Sie wird aufgelöst.« – Was dann auch geschah, mit einem massiven Polizeieinsatz am selben Tag, bei dem unter anderem Waffen, Sprengstoff und NS-Propagandamaterial sichergestellt wurden. Das hinderte den Ministerpräsidenten, mittlerweile auch Kanzlerkandidat von CDU und CSU, nicht daran, sich auch noch drei Monate später, im März 1980, über Baums Verbotsaktion zu belustigen – im Interview mit Bernard Volker, dem Korrespondenten des französischen Fernsehsenders TF 1: »Dann, um 6 Uhr morgens, schickt man fünfhundert Polizisten los, um zwanzig Verrückte auszufragen. Diesen Hoffmann, der wie ein Kasper aussieht! Diese Type bekommt Fabelsummen für ein Interview. Er spielt eine Rolle, die ihm gefällt, eine Art Mischung aus Ernst Röhm, Adolf Hitler und, warum nicht, Göring. Wenn niemand von diesem Schwachkopf reden würde, wer würde seine Existenz bemerken? Gut. Warum hat man niemanden verhaftet? Weil es keinen Beweis gibt, dass sie ein Delikt begangen hätten. Ihr Panzerwagen hat keinen Motor und keine Räder, und man kann diese Art von Maschine bei irgendeiner Werkstatt oder einem Schrotthändler kaufen. Mein Gott, wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und einem mit Koppel geschlossenen »battledress« spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen.«

Das alles hatte der Kandidat und Ministerpräsident Franz Josef Strauß in die Welt gesetzt, und sein Innenminister Gerold Tandler konnte sich unschwer ausrechnen, dass sich bald die kritische Aufmerksamkeit der interessierten Öffentlichkeit vom Bundesinnenminister Gerhart Baum in Bonn abwenden und sich dafür ihm selbst, dem bayerischen Innenminister, und der Person des bayerischen Ministerpräsidenten zuwenden würde. Lästige Journalisten würden diese unangenehme Art von Fragen stellen: Herr Staatsminister, Sie haben am 30. Januar 1980 anlässlich des Verbotes der Wehrsportgruppe durch den Bundesinnenminister bemerkt, ich zitiere Sie wörtlich, »dass diese Gruppierung schon wegen ihrer äußerst geringen Mitgliedschaft niemals eine echte Bedrohung unseres Staatsgefüges dargestellt habe«. Würden Sie diese Ihre Einschätzung im Rückblick als Fehler betrachten?

Gerold Tandler war sich offensichtlich bewusst, dass der Angriff auf Bundesinnenminister Baum zu einem gefährlichen Bumerang für ihn selbst und erst recht für den kurz vor der Wahl stehenden Kanzlerkandidaten Strauß zu werden drohte. Und er wusste sich im Fortgang des Wochenendes mithilfe seines Staatsschutzchefs Hans Langemann und dessen Improvisationstalent dagegen zu wappnen.

In den Schlussakten des Verfahrens verspüre ich von der Aufgeregtheit des Samstagmorgens nach dem Attentat nichts mehr.

Gerade sieben Seiten von 187 Seiten insgesamt sind im »Schlussvermerk« genannten Abschlussbericht des Bayerischen Landeskriminalamtes den Kontakten des mutmaßlichen Attentäters Gundolf Köhler zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« gewidmet. Der Anfangsverdacht wird noch einmal wiedergegeben, so wie er schon am Morgen nach der Tat vom Verfassungsschutz-Computer NADlS ausgespuckt worden war:

»Aus dem 1977 sichergestellten Material der WSG Hoffmann ergab sich, dass Köhler im Februar 1976 mit Hoffmann im Briefwechsel stand und seine Absicht bekundet haben soll, in Donaueschingen eine Ortsgruppe der WSG aufzubauen.«

Warum aber ist nicht ein einziger Satz aus diesem Briefwechsel mit einem so wichtigen Thema zitiert? Der Hauptverdächtige eines Bombenanschlages holt Ratschläge bei einem Experten für bewaffneten Kampf ein. Wie klingt das? Wer regt wen wozu an?

An anderer Stelle – vor der vergleichsweise kurzen Passage im Schlussvermerk über Köhlers Kontakt zu Hoffmann und seiner WSG – ist anhand eines anderen Briefwechsels jeder Stimmungsschwankung des Verdächtigen nachgespürt.

»Fändest Du es schön, wenn wir uns mal wieder sehen?«, schreibt Gundolf Köhler an seine Bekannte Gabi*. Ganze drei Seiten seiner Korrespondenz an sie sind im Wortlaut abgedruckt. »Die Beziehung zwischen beiden«, schreiben die Ermittler, »und insbesondere das Gefühlsleben Köhlers dokumentieren sich« in diesen Briefen. Hier wird erstmals sichtbar, welche Ermittlungsrichtung von der Soko Theresienwiese kaum beachtet und welche aufwendig und mit Macht verfolgt wird: Das Motiv wird in Köhlers privatem Bereich gesucht. Die Individualpsychologie der Verzweiflung wird bemüht. An der Beziehung Köhlers zur WSG Hoffmann und den Rechtsextremisten, denen er dort in den vergangenen Jahren begegnet ist, erlahmt das Interesse der Ermittler binnen weniger Tage, als sie feststellen, dass die aktuellen Aktivitäten Hoffmanns und seiner Anhänger am 26. September mit dem Anschlag in München nichts zu tun hatten. »Es war bekanntgeworden«, resümiert der Schlussvermerk, »dass Angehörige des Kreises um Karl-Heinz Hoffmann im Begriff standen, am 26. 9. 1980 einen Konvoi aus mehreren ausgesonderten Militärfahrzeugen bei Schwarzbach / Salzburg über die bayerisch-österreichische Grenze nach Jugoslawien zu verbringen. Zur Überführung solcher Fahrzeuge in die Bestimmungsländer greift Hoffmann auf Angehörige der ehemaligen WSG zurück. Es entstand aus damaliger Sicht der Eindruck, dass dieses Vorhaben dazu diente, eventuellen Tatbeteiligten die Flucht ins Ausland zu ermöglichen oder Beweismittel beiseite zu schaffen.« Staatsschutzchef Hans Langemann hatte als Erster über das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz von diesem Konvoi erfahren, den Verfassungsschützer von seinem Beginn an verdeckt observierten. Wie verdeckt und wie sorgfältig die Beamten ihre Arbeit getan haben, ist im Nachhinein fraglich. Sie hielten einen der vier Männer im Konvoi für Karl-Heinz Hoffmann selbst, und das, obwohl sie so nahe an sie herangekommen waren, dass die Beobachteten von Anfang an um die Observation wussten und sich sogar die Autonummern der Verfassungsschützer notierten.

Am Samstag um 13.50 Uhr hatte der Konvoi mit seinen drei Unimogs, auf die VW-Kübelwagen aufgeladen waren, die deutsch-österreichische Grenze an der Bundesstraße in Schwarzbach erreicht. Die Grenzpolizisten komplimentierten vier junge Männer aus den Fahrzeugen, Walter Ulrich Behle, Rudolf Klinger, Robert Funk und Stefan Faber. Alle außer Behle waren lange Zeit Mitglieder der inzwischen verbotenen Wehrsportgruppe gewesen, jetzt, so sagten sie, transportierten sie lediglich Fahrzeuge für ihren ehemaligen Chef ins Ausland. Der selbst befand sich nicht in den Fahrzeugen des Konvois, und es bleibt das Geheimnis der Verfassungsschützer, wie sie einen der vier zwischen 20 und 28 Jahre alten jungen Männer mit der durchaus markanten Erscheinung des zu dieser Zeit 43-jährigen Karl-Heinz Hoffmann verwechseln konnten.

Die bayerische Grenzpolizei ließ die vier nach einer kurzen Personenkontrolle weiterfahren, doch die österreichischen Grenzer verweigerten ihnen die Einreise. Der Konvoi musste kehrtmachen. Erst am nächsten Morgen hielt die Polizei das Quartett in Garching bei München an, durchsuchte die Fahrzeuge, fand nichts mit Bezug zu der Tat in München, bat die vier zur Vernehmung und erfuhr nichts von Bedeutung.

Lapidar verzeichnet der Schlussvermerk den Rest der Bemühungen, die Beziehungen zwischen Gundolf Köhler und Hoffmanns Wehrsportgruppe auszuleuchten: »Noch am 27. 9. 1980 erfolgten deshalb in den entsprechenden Bundesländern vorläufige Festnahmen, Alibiüberprüfungen, Durchsuchungen und Vernehmungen in größerer Zahl. Im Einzelnen handelte es sich um 16 Festnahmen, 52 Durchsuchungen und 45 Vernehmungen.«

Karl-Heinz Hoffmann selbst wurde in seiner Wohnung in einem Schloss in Ermreuth festgenommen. Dort sei er auch am Tag des Bombenanschlages gewesen. Er gab Alibizeugen an, die ihn den Tag über bis in die Nacht gesehen hatten: Schreibwarenhändlerin, Rechtsanwalt, Tierarzt und Angestellte einer Diskothek. Auch die anderen überprüften Hoffmann-Anhänger konnten für die Tatzeit Alibis nachweisen. Das Abfallprodukt der Hausdurchsuchungen waren, wie so oft und gewohnt, Sprengstoff- und Waffenfunde und Stapel von Nazi-Propagandamaterial. Immerhin fanden sich in der Wohnung des Konvoi-Begleiters Robert Funk 10,5-cm-Granaten und ein Kilogramm militärischer Sprengstoff, bei Karl-Heinz Hoffmann Munition und Zündkapseln. Aber kein Fundstück, kein Verhör ließ für die Fahnder einen direkten Bezug zum Attentat am Vortag erkennen.

Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, der die Ermittlungen am Samstag, 27. 9., um 14.10 Uhr wegen des Verdachts auf eine terroristische Gruppentat übernommen hatte, musste die vier Begleiter des Fahrzeugkonvois sowie Karl-Heinz Hoffmann und seinen bei ihm angetroffenen Anhänger Michael Ruttor am Montag, dem 29. 9., wieder auf freien Fuß setzen.

Schon ein Jahr vor dem Münchner Anschlag hatten Polizisten bei einem anderen Wehrsportler einen merkwürdigen Fund gemacht. Zeltlager, Odalsrunen, Lagerfeuer, markige, völkische Worte waren Odfried Hepp aus Achern in Baden nach kurzer Zeit nicht mehr genug gewesen. Eine »Kampfgruppe Schwarzwald« hob er aus der Taufe und geriet bald mit neonazistischen Aktionen ins Visier der Justiz. Seine Wohnung wurde im September 1979 durchsucht. Die Polizei fand Adressenlisten, eine umfasste 200 Personen, Gundolf Köhlers Name war dabei. Und sie fand einen handgeschriebenen Zettel mit weit weniger Namen, schwer lesbar. Zu entziffern war »WSG (testen) … 3. Gundolf Köhler«, und die Anmerkung: »Mitgl. an 2 Übg. teilg., letzter Kontakt 19. 5. 77«.

Und was bekamen die Ermittler heraus, abgesehen davon, dass sie die Herkunft des Adressenmaterials von Karl-Heinz Hoffmann bestimmen konnten? – »Zu einer Kontaktaufnahme zwischen Odfried Hepp und seinen Anhängern einerseits und Gundolf Köhler andererseits ist es nicht gekommen.«

Nun war der Stand der Dinge, den die bayerische Sonderkommission im Mai 1981 in ihrem Schlussvermerk verzeichnete, nicht das letzte Wort. Schließlich hatte der Generalbundesanwalt eineinhalb Jahre weiterermitteln lassen, bis zum November 1982. Doch finden sich die weitgehend gleichen, schütteren Erkenntnisse über Gundolf Köhlers Beziehungen zu rechtsextremen Gruppen und der Wehrsportszene, ergänzt lediglich um zwei Nachträge.

Damaskus, Anfang Oktober 1980. Im Hotel Byblos sind zwei Gäste aus Deutschland abgestiegen. Der Barkeeper Hamsi Mohamad Salah wird sie bei einem späteren Verhör als Karl-Heinz Hoffmann und Walter Ulrich Behle identifizieren. Hoffmann ist unterwegs, Behle abends an der Bar zu Gast. Er trinkt und ist gesprächig. Salah und Behle kommen auch auf das Oktoberfest-Attentat zu sprechen, das in diesen Tagen international in die Schlagzeilen geraten ist. »Das waren wir selbst«, vertraut Behle dem Barkeeper an. Die eine Bombe sei in einem Papierkorb deponiert gewesen, eine zweite habe in einer Abflussrinne gelegen. Der Barkeeper berichtet das an die deutschen Behörden. Die bekommen Behle im Juli 1981 nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik zu fassen und befragen ihn zu seinen Äußerungen an der Hotelbar. Sie kommen zu dem Schluss, »dass es sich insoweit nur um alkoholbedingte Aufschneidereien gehandelt hat«. Diese Einschätzung stützt sich allein auf das Dementi Behles, der sich selbst oder andere Mitglieder der »Wehrsportgruppe Hoffmann« mit einer Bestätigung der Aussage Salahs schwer belastet hätte. Er sei im Suff gewesen und wisse nicht mehr, was er geredet habe. Diese Version von den »alkoholbedingten Aufschneidereien« übernimmt die Bundesanwaltschaft.

Frankfurt am Main, 2. August 1982. Um 22 Uhr läuft im Ersten Fernsehprogramm eine kritische Dokumentation über die »Hitler-Jugend« mit dem Titel »Blut und Ehre«. In einer Hochhauswohnung im Vorort Rodgau-Niederroden ärgert sich ein junger Mann über diesen Film. Er hat anderes über diese großdeutsche Vergangenheit gehört. Sein Ziehvater, der den von seinen Eltern nach der Scheidung abgeschobenen Jungen aufgenommen hatte, hat ihm Bücher gegeben. »Die Auschwitz-Lüge« von Thies Christophersen ist dabei, der über das Massenmordlager schreibt: »Hitler wollte gar nicht die Juden umbringen und hat niemals einen Befehl zur Ausrottung gegeben, auch nicht zur Ausrottung anderer Völker. Es gab keine Vergasungslager. Das sind alles Erfindungen krankhafter Hirne.« Der Ziehvater war in Hitlers Partei und trauert – mit den Plastiken des Führers und seines Reichsmarschalls Göring an der Wohnzimmerwand – seiner besten Zeit nach. Er rennt ihr hinterher auf den Versammlungen der NPD. Er schleppt seinen Ziehsohn mit in die verschwitzten Säle voller deutscher Sprüche. Im Kopf seines Ziehsohnes Stefan formt sich die vage Idee eines großen Betruges. Das geht los mit dem großdeutschen Sentiment bei den Sonnwendfeiern der »Wiking-Jugend«, das bleibt da nicht stehen, weil aus den völkischen Sprüchen und Liedern das Reich, das ersehnte, nicht wiederersteht. Kamerad Frank Schuberth redet auch so, aber der redet nicht nur, der baut die »Kampfgruppe Großdeutschland« auf und Kamerad Arndt-Heinz Marx den »Sturm 7«. Die üben mit der Waffe, da wird nicht nur geschwätzt wie bei den anderen nationalen Hosenscheißern. Da geht es ab nach Heroldsberg zu Kamerad Hoffmann, da ist er einer von den langen Kerls aus Hessen in einer schmucken Uniform – die Bundeswehr hat ihn doch nicht haben wollen –, da hat er einen Rang, wo er doch kein Hauptschulzeugnis hat. Nachts, zu Hause, zieht er rum, dem Gegner mal zeigen, dass wir wieder da sind, »Rotfront, verrecke/jagt sie raus, die Judenbrut« an die Trafostation gepinselt. Tags zeigt er sich auch schon mal den Leuten in der Stadt in Uniform und mit Waffen. Stefan kommt vor den Richter, fängt sich Strafen ein, bleibt aber auf freiem Fuß. Ab Januar 1980 darf er nicht mehr üben, Kamerad Hoffmanns Truppe ist verboten und damit auch sein Frankfurter »Sturm 7«. Es wird ruhig um Stefan.

Bis er sich eben heillos erregt über dieses neue Stück antideutscher Gräuelpropaganda – so heißt das unter den Kameraden –, mit dem das Fernsehen im eigenen Land die ruhmreiche Geschichte besudelt. Also die Uniform angezogen, schwarz und mit Adler und Hakenkreuz auf der Brust, das Koppel geschlossen und die Waffe genommen. Raus auf den Balkon und in Stellung gegangen und Feuer.

Als die Polizei anrückt, haut er ab in das Nebenhaus, hoch in den 13. Stock, auf das Kiesdach. Dort ist ein Penthouse, darin eine Sauna. Über eine eiserne Fluchttür dringt Stefan ein. Er trifft auf den Saunabesitzer, reißt sein Gewehr hoch, sagt: »Ist dir die ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹ ein Begriff? – Die Polizei ist hinter mir her. Lebend bekommen die mich nicht. Wenn die mich greifen, kriege ich mindestens zehn Jahre Zuchthaus. Ich war bei der Aktion gegen das Oktoberfest in München dabei.«

Sie kriegte ihn nicht lebend. Stefan Wagner, 21 Jahre alt, entkam später in der Dunkelheit aus dem von der Polizei umstellten Haus, legte sich ein paar Häuser weiter zwischen einem Springbrunnen und einer Bank auf den Boden, steckte sich den Gewehrlauf in den Mund und drückte ab.

Stefan Wagners Selbstbezichtigung fanden im August 1982 nicht Polizisten, sondern die Stern-Reporter Rudolf Müller und Peter Höbel heraus. Auf ihre offizielle Anfrage bei der Bundesanwaltschaft erhielten die beiden Journalisten die Auskunft: Stefan Wagner habe für den Tag des Oktoberfest-Attentats ein eindeutiges Alibi. Die Stern-Reporter beriefen sich jedoch auf einen nicht genannten hohen Beamten des Bundeskriminalamtes. Der gab an, man habe das Alibi des Stefan Wagner für den 26. September aus taktischen Gründen nie überprüft. Hier steht bis heute Aussage gegen Aussage.

Im Schlussbericht des Generalbundesanwaltes zum Oktoberfest-Attentat sind Stefan Wagners Geschichte nur 20 Zeilen gewidmet. Seine Selbstbezichtigung, so heißt es dort, »ist indessen nachweislich unwahr. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgte Nachforschungen haben zweifelsfrei ergeben, dass er sich zur Tatzeit bei einer Familie in Rodgau-Niederroden aufgehalten hatte. Zudem fehlen Anzeichen, die bei Wagner auf eine Tatbeteiligung anderer Art schließen lassen könnten.« (Hervorhebung U. C.)

Im Parterre meines Aktenstapels finde ich den Abschlussbericht der Sonderkommission Theresienwiese »für den Spurenkomplex WSG Hoffmann« vom 30. März 1981. Unter Punkt 3.1. sind alle Personen aufgeführt, »die von exekutiven Maßnahmen betroffen wurden« – gemeint sind damit Alibiüberprüfungen, Wohnungsdurchsuchungen, Festnahmen und Vernehmungen. Unter den 70 Namen sind verschiedene Gesinnungsgenossen von Stefan Wagner aus Frankfurt und Umgebung, zum Beispiel Frank Schuberth und Arndt-Heinz Marx. Stefan Wagner aber ist in den Tagen nach dem Attentat in München nach dieser Aufstellung nicht als Anhänger der WSG Hoffmann überprüft worden.

Immer das gleiche Bild. Ein Milchgesicht, das in eine Uniform will und an eine Waffe. Rumspielen und gelegentliche Ausbrüche, immer Schielen nach einer festen Hand. Oft irgendwann Abmarsch zu dem schnauzbärtigen Mann im Nürnberger Land. Dort verlötete Gewehre geschultert, Nahkampf geübt, das Antreten und das Grüßen. Das will zur Ordnung und das ist harmlos, von außen belächeltes Kasperltheater. Dann passieren Einzeltaten. Juristisch fügt sich da nichts zusammen. Beweise bitte schön, Beweise!

Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen

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