Читать книгу Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen - Ulrich Chaussy - Страница 15

MANÖVER HIER UND DORT Wehrsportler packen aus

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Einmal mehr lohnte sich der Griff in die unteren Abteilungen des Aktenstapels, in dem sich die Vermerke, die Asservatenlisten, die Gutachten und die Vernehmungsniederschriften befanden. Im Juli 1981 war einer von einer weiten Reise zurückgekehrt. Er hatte viel zu erzählen und konnte sich gut erinnern. Das hing mit seiner weiten Reise zusammen, die so hoffnungsvoll für Kamerad Arndt-Heinz Marx begonnen hatte. Jetzt war er Untersuchungshäftling und um einige Illusionen ärmer.

Seit etwa Sommer 1976 hätte der WSG-Chef aus Nürnberg ein Fähnchen auf die Landkarte bei Frankfurt stecken können. Damals fand der zu dieser Zeit 19-jährige Arndt-Heinz Marx Anschluss an die Truppe Hoffmanns. Er stellte bald etwas dar, denn er brachte Leute für den Chef auf die Beine. Der hatte was drauf, ideologisch und militärisch, der bekannte sich als aktiver Nationalsozialist ohne Herumgerede, der zeigte den Kerlen, was exerzieren heißt, und das zog auch in Frankfurts Umgebung. Das wurde der »Sturm 7«, und Kamerad Arndt-Heinz der Führer. Und eingereiht beim Chef hieß das »Stammabteilung 7«, und Kamerad Arndt-Heinz dann »Vizeunterführer«. Auf die »langen Kerls aus Hessen« war der Chef stolz. Er widmete ihnen einen reich bebilderten Bericht im Juli 1979 in Kommando. Schon vorn auf dem Titelbild ist Arndt-Heinz Marx zu sehen, in Front seiner »langen Kerls« mit präsentierten Gewehren. Marx ist deutlich kleiner als seine Männer; ein Habichtskopf sitzt auf einem langen Hals mit einem großen Adamsapfel, die Lippen schmal mit leicht nach unten weisenden Mundwinkeln, die Augen mit einer dicken Hornbrille bewehrt. Der Kopf, jeder Zoll ganz Entschlossenheit, sitzt auf einem eher hageren Rumpf mit fliehenden Schultern. Da stand er, Aug in Aug auch mit Stefan Wagner, den er aus Frankfurt zu Hoffmann nach Nürnberg mitgebracht hatte.

Mit all dem war es aus, als die Wehrsportgruppe im Januar 1980 verboten wurde.

Bis der Chef im März 1980 bei Arndt-Heinz Marx anrief und ihn zu einem Treff in die Hanauer »Ratsschenke« bestellte. Er hatte ein Angebot für den jungen Kameraden aus der ehemaligen »Stammabteilung 7«. Im Nahen Osten laufe eine große Sache, sagte er. Dort könne sich Marx einer Befreiungsbewegung anschließen. Am 1. Mai wurde der Chef bei einem weiteren Treffen mit Marx in Ermreuth konkreter. Diese Bewegung in Nahost sei auch gegen die Juden, ließ er durchblicken, und er meinte, da unten könnten sie Geschichte machen.

Diese Aussichten gefielen Arndt-Heinz Marx. Ende Juli trat er mit vier anderen Anhängern des Chefs die weite Reise Richtung Libanon an. Sie begann in einem Konvoi aus zwei alten Militär-Unimogs, die der Chef in Nahost absetzen wollte. Marx stieg kurz vor der deutschösterreichischen Grenze aus und ging illegal über die grüne Grenze. Die Grenzpolizei hätte ihn kaum passieren lassen, ein Gerichtsverfahren wegen neonazistischer Propaganda war anhängig.

Das Abenteuer im Libanon hob prächtig an und endete kläglich und gemein. Am Ende wurde aus der Verehrung für den Chef Enttäuschung und Verachtung. Am Anfang stand harte Ausbildung in einem Lager der Al-Fatah im Südlibanon zwischen Saida und Damur. Schießen. Handgranatenwerfen. Granatwerferausbildung. Bombenfallenbau. Verhalten im Gelände. Hier waren die Gewehre nicht verlötet. Hier durfte der Wehrsportmann Wehrsportmann sein.

Dann war der Schwung raus. Der Chef war meist weg. Der große Einsatz ließ auf sich warten. Das Lagerleben war stumpf. Sie hatten scharfe Waffen in der Hand. Sie wähnten sich als die kämpfende Elite eines kommenden Großdeutschlands. Sie pflegten untereinander die Hackordnung mit den vom Chef verliehenen Unter- und Ober-Titeln. Sie brannten darauf, Geschichte zu machen. Sie langweilten sich. Sie schleppten das Wasser den Berg hoch ins Lager. Sie hatten Durchfall.

Es fing an mit gegenseitiger Gereiztheit, mit Anbrüllen und Intrigen. Vier aus der Gruppe wagten einen Fluchtversuch. Die Polizei der Al-Fatah schnappte sie und brachte sie ins Lager zurück. Jetzt verhörten sie die Oberführer und ließen sie durch die Unterführer foltern. Anfang Oktober kam der Chef selbst ins Lager. Er erklärte, er werde den Sauhaufen hier schon wieder auf Vordermann bringen. Der historische Einsatz bestand jetzt im Zementschleppen und im Bunkerbau. Eines Morgens erschien Arndt-Heinz Marx unrasiert. Hoffmann schickte ihn mit einem Hohlblockstein im Rucksack über eine Hürdenpiste. Die Strafe gefiel dem Chef; Marx musste oft so laufen. Ab und zu schoss Hoffmann hinter ihm her, um das Tempo zu beschleunigen.

Das Libanon-Abenteuer endete mit einem zu Tode gefolterten Mitglied der Gruppe, Kay-Uwe Bergmann. Einer der engsten Hoffmann-Vertrauten, Uwe Behrendt, beging Selbstmord. Behrendt soll bei einem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Deutschland im Dezember 1980 den in Erlangen lebenden Juden Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke auf Hoffmanns Auftrag hin ermordet haben. Der Rest der Gruppe floh auf allen möglichen Wegen zurück nach Westeuropa, als die Nachricht durchsickerte, dass Hoffmann im Juni 1981 auf dem Frankfurter Flughafen verhaftet worden war (siehe Kapitel: Rache für München).

Als Arndt-Heinz Marx im Juli 1981 an der deutschen Grenze verhaftet wurde, war die Zeit des kameradschaftlichen Schweigens für den Chef vorbei. Plötzlich konnte sich der WSG-Mann Arndt-Heinz Marx an Gundolf Köhler erinnern, an ein Wochenende Ende Juli 1976 bei einer Wehrsportübung in Heroldsberg. Erstaunlich daran war, dass Karl-Heinz Hoffmann selbst Marx’ Erinnerung auf die Sprünge geholfen hatte. Der Chef war wenige Wochen nach dem Anschlag im Oktober 1980 in den Libanon gekommen. Hoffmann, der sich den Ermittlern der Soko gegenüber angeblich nur schwach an Köhler erinnern konnte, erinnerte Arndt-Heinz Marx an ein prägnantes Auftreten Köhlers bei der WSG:

»Das war also folgendermaßen: Der Hoffmann brachte eine Illustrierte mit in den Libanon. Es war die Quick oder die Bunte. Da war ein großes Bild, ich glaube, über eine Seite ging das, von Köhler drin. Der Name sagte mir nichts. Das Bild kam mir irgendwie bekannt vor.

Und als der Alte sagte, dass das der wäre, der damals die Handgranate geworfen hätte, da hat’s bei mir gedämmert. Da wusste ich, wer es war.

Ich glaube, es war eine selbstgebastelte Handgranate. Die Hülle sah aber ziemlich profihaft aus. Sie war silberfarbig und sah aus wie eine Eierhandgranate. Der Köhler sagte, dass er den Sprengstoff selbst hergestellt habe. Er sagte, dass es sein Hobby wäre, so etwas herzustellen. Er hat auch gesagt, dass er bei einem Experiment schon einmal einen Unfall gehabt hat. Er sagte, dass er bei sich im Keller basteln würde. Über Handgranatenfabrikate, Stückzahlen oder Herkunft von Handgranaten hat er nichts gesagt. Als der Köhler seine Handgranate geworfen hat, waren alle Übungsteilnehmer dabei. Das waren ungefähr zwanzig Leute. Ich bin nicht bereit, diese namentlich zu benennen. Der Hoffmann war aber auch dabei.

Alle Mann waren natürlich geschockt, als sie hörten, dass der Köhler eine Handgranate mit sich herumtragen würde.

Der Alte sagte noch: Mensch, sind Sie wahnsinnig! Wenn uns jemand überprüft oder wenn das Ding in die Luft geht, dann ist der Teufel los!

Der Hoffmann wusste nichts von der Granate. Das hat ihm der Köhler erst im Laufe der Übung erzählt. In einem Wald konnte der Köhler dann seine Handgranate werfen.

Er war ganz geil darauf, das Ding zu schmeißen. Wir alle sind hinter Holzstößen in Deckung gegangen. Das war geschlagenes Holz, wie es im Wald herumsteht. Die Handgranate ist explodiert. Es erfolgte eine ziemlich laute Detonation. Köhler hat den Sicherungsring abgezogen und hat sie weggeschmissen. Halt so, wie man eine Handgranate wirft.

Die anderen Übungsteilnehmer nannten Köhler einen Daniel Düsentrieb, weil er halt so Experimente machte.«

Einen weiteren Teilnehmer dieser Übung benannte Arndt-Heinz Marx im Lauf der Vernehmung doch: Ralf Rößner. Auch der hatte nach dem Libanon-Abenteuer mit Hoffmann gebrochen. Rößner gab dem Vernehmungsbeamten die gleiche Schilderung ab wie Marx: Köhler, dessen Namen er damals noch nicht wusste, habe der Gruppe gegenüber berichtet, dass die mitgebrachte Handgranate ein Eigenbau gewesen war. Rößner gab auch an, Köhler schon auf mindestens einer weiteren Wehrsportübung davor gesehen zu haben.

Gundolf Köhlers Interesse an Sprengstoff war also innerhalb der »Wehrsportgruppe Hoffmann« bekannt. Er hatte es damit sogar zu einem Spitznamen gebracht: Daniel Düsentrieb.

Im Oktober 1981 berichtete Helmut Krell, der in Neuburg an der Donau einer Untergruppe der WSG Hoffmann angehört hatte, er habe Gundolf Köhler nicht auf einer Übung, sondern auf einer Versammlung der WSG im Jahr 1977 oder 1979 im Raum Ingolstadt oder Neuburg getroffen. Krells Tipp an die Beamten, doch einmal Hoffmanns Ingolstädter WSG-Unterführer Bernd Grett zu fragen, förderte eine weitere Erinnerung zutage.

Bernd Grett konnte sich an eine WSG-Übung in der Nähe von Eitensheim im Landkreis Eichstätt entsinnen. Damals habe ein 14 bis 15 Jahre alter Jugendlicher auf offenem Feld eine Rauchbombe gezündet. Es habe eine Rauchwolke gegeben, aber keine Detonation. Der Junge, der diese Rauchbombe gezündet hatte, wurde später von einem anderen Übungsteilnehmer zum Nürnberger Bahnhof gebracht, weil er mit dem Zug nach Donaueschingen zurückfahren musste. Aus Donaueschingen ist bisher kein anderer Interessent an der WSG Hoffmann als Gundolf Köhler bekanntgeworden.

Mit jedem dieser Berichte war klar geworden: Die Wehrsportgruppen-Mitglieder hatten in den Tagen unmittelbar nach dem Oktoberfest-Attentat den Soko-Ermittlern gegenüber gemauert oder sie belogen, als sie behauptet hatten, Gundolf Köhler weder gekannt noch je in der WSG gesehen zu haben. Doch in meinen Unterlagen und Aktenstücken war kein Hinweis darauf zu finden, dass die Frage, wie eng oder lose das Netz der Kontakte zwischen der WSG Hoffmann und Gundolf Köhler gewesen ist, noch einmal aufgerollt wurde. Immerhin liefen die Ermittlungen in Sachen Oktoberfest-Attentat noch ein ganzes Jahr lang.

Noch einmal zurück ins Manöver in der Fränkischen Schweiz, Ende Juli 1976. Da ist in den Städten der Bundesrepublik schon Wahlkampf. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt preist das »Modell Deutschland«. Nicht wenige junge Leute verstehen nicht, was da Vorbild sein soll, über 100 000 von ihnen sind damals ohne Arbeit. »Falls Sie, öffentliche und private Arbeitgeber und verantwortliche Politiker und Volksvertreter, noch irgendein Interesse an uns haben, schreiben Sie uns bitte«, so inserieren im März des Jahres 50 Schülerinnen und Schüler der Freiburger Vigeliusschule II nach ihrer über Wochen und Monate erfolglosen Lehrstellensuche in der Badischen Zeitung, die auch in Gundolf Köhlers Heimatort Donaueschingen erscheint. Schmidts Gegenkandidat ist der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl.

Er verspricht, er werde der Jugend das Abenteuer wiedergeben. Da liegen der Drucker-Lehrling Arndt-Heinz Marx und der Gymnasiast Gundolf Köhler draußen im Wald und denken über Deutschland nach.

Marx: »Der Köhler trug bei der Übung einen Bundeswehrdrillich und darüber einen Salamandertarnanzug. Der war gelb-schwarz. Er hatte auch, so glaube ich, einen Stahlhelm bei sich. Dann trug er noch Springerstiefel, da bin ich mir aber nicht ganz so sicher. Weiterhin trug er halt noch Koppelzeug. Es waren aber alles nur Sachen, die jeder Übungsteilnehmer getragen hat. Mir ist nichts Besonderes aufgefallen.

Wir haben dann ja auch in der Nacht zusammen biwakiert. Wir hatten beide unsere Schlafsäcke auf eine Plane gelegt und nebeneinander geschlafen. Ein Zelt hatten wir nicht. Das gab es nicht bei der WSG.

Wir haben während der Übung immer wieder einmal zusammen gesprochen. Es war eigentlich fast immer ein allgemeines Gespräch. Nur einmal unterhielten wir uns über die Möglichkeit eines Bürgerkrieges in Deutschland. Wir kamen zu dem Schluss, dass wohl ein Guerillakampf die beste Möglichkeit wäre. Am Ende der Übung war der Ralf Rößner noch dabei, als wir uns im Keller noch etwas unterhalten haben, zum Beispiel über Wagner-Musik und über die Bundestagswahl.«

So parliert man im Wald und im Keller, und draußen läuft das Räderwerk der Republik.

Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen

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