Читать книгу Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen - Ulrich Chaussy - Страница 14
SCHLÜSSEL UND SCHLOSS Die Soko ermittelt in Donaueschingen
ОглавлениеAm Morgen nach dem Attentat, am Samstag, dem 27. September, hatte alles, was wahrscheinlich oder gar greifbar war, nur auf den jungen Mann Köhler gewiesen. Ihn hatte die Bombe aus nächster Nähe getötet, ihn hatte Frank Lauterjung in seiner ersten Schilderung des Geschehens in der letzten Minute vor der Detonation mit jener bis zum Zerreißen schweren Plastiktüte auf den Tatort zugehen sehen. Noch hatte Lauterjung in seiner ersten nächtlichen Aussage die zwei Unbekannten in Köhlers Begleitung nicht erwähnt. Wahrscheinlich hatte also der junge Mann Köhler die Bombe zum Tatort gebracht. Hatte er sie auch selbst gebaut? – Oder ließen sich dort, wo er herkam, Spuren finden, die den Computerhinweis auf die Kontakte des jungen Mannes zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« erhärteten?
Am Samstagnachmittag bestieg Kriminalkommissar Dirnberger vom LKA in München einen Hubschrauber der Grenzpolizei. Auf seinem Flug nach Donaueschingen hatte er den Schlüsselbund dabei, der bei Köhlers Leiche gefunden worden war. In Donaueschingen traf sich der Kommissar aus München mit Spurensicherungsbeamten vom Stuttgarter Landeskriminalamt. Die Polizeikollegen aus Donaueschingen brachten die auswärtigen Besucher in die Wohnung der Familie Köhler. Die Straße liegt ein wenig außerhalb des Stadtkerns. Beiderseits der schmalen Fahrbahn verdecken hochgewachsene Hecken den Blick auf die einzelnen Grundstücke und Häuser. Auch von dem Haus, in dem die Familie Köhler wohnt, ist nur ein Teil von außen einsehbar. Die Zeitungsfotos der kommenden Tage zeigten hinter hochaufgeschossenen Sommerblumen die Fassade eines einstöckigen, modernen Zweifamilienhauses mit flachem Ziegelwalmdach, ein paar Fenster im ersten Stock, einen pergolaähnlichen Vorbau. Die Schlüssel, die Kommissar Dirnberger aus München mitgebracht hatte, passten genau in die Schlösser der Türen des Hauses. Die Hausdurchsuchung begann.
Dreieinhalb Stunden später schickte Dirnberger ein Telex nach München: »(…) ausserdem fuehrte die durchsuchung zur auffindung zahlreicher flaschen und aehnlichen behaeltnissen mit chemikalischen substanzen. Auch umfangreiche literatur bzg. der sprengstoffherstellung u. ae. konnte sichergestellt werden (…).«
Asservate, kiloweise, nummeriert, in Listen eingetragen, die Fundstelle bezeichnet. Asservat V. J. 57 fand sich in Gundolf Köhlers Zimmer. Ein Spiralblock DIN A5. Eine bunte, mit der Hand ausgeführte Zeichnung prangt auf einem Blatt, über dem in Blockschrift die mit einem Lineal eingerahmte Überschrift: »Handgranate« zu lesen steht. Mit dem Lineal unterstrichen sind auch die wichtigen Merkpunkte zu der Zeichnung, die in krakeliger Handschrift darüber stehen: »Hülle: Zink mit Drahtspiralen. Sprengstoff: TNT, eingegossen. Form: Französischer Nachbau«. Mit dem Lineal sind die Linien gezogen, die Einzelteile der Zeichnung erläutern, die blaue, flaschenförmige Granathülle, das rote Zündhütchen an dem aus der Sprengfüllung ragenden schwarz gezeichneten Aluminiumrohr, an dessen unterem Ende sich die orange ausgemalte Sprengkapsel mit Bleiazid befindet. Da hat einer ein Fleißbild gemalt, aber nicht für den Lehrer, nur in der Art, wie es in der Schule gelehrt wird. Das riecht nach Experimentierkasten und Jungforscherfleiß. Das geht todbringend in Stücke, wenn es einer richtig nachbaut. Auf anderen Blättern ist Chemie und Formelkram wie auf Spickzetteln zusammengeschrieben, doch solch ein Thema hat kein Lehrer abgefragt: »Schwarzp. in Geschossen mit Zündhütchen zünden. Bei Sprengstoffen eine starke Zündung. Initialsprengstoff in flüssigem Zustand in Zündkapsel einfüllen. Sprengkapsel: dünnwandige Hülsen mit 0,3 bis 3 g Initialsprengstoff.« Detaillierte chemische Formeln für Nebelbomben und den Sprengstoff Dynamon folgen, zum Schluss: »TNT kann gefahrlos in Geschosshohlräume eingegossen werden (81°).«
»Zu Aufzeichnungen der in der Rede stehenden Art«, so schrieb zwei Jahre später Oberstaatsanwalt Holland im Schlussbericht des Generalbundesanwaltes, »ist nach sachkundiger Bewertung nur in der Lage, wer sich mit beachtlichem Interesse über die Herstellung hochbrisanter Sprengsätze unterrichtet hatte.« Aber die Polizisten fanden und beschlagnahmten mehr als Papier. Fotos zeigten Gundolf Köhler beim Abschuss selbstgefertigter Raketentreibsätze. Einzahlquittungen und Schriftwechsel mit verschiedenen Firmen belegten, dass sich Köhler Fundmunition, Sprengstoff-Chemikalien und Sprengstoff-Zubehör hatte schicken lassen. Alte Fundmunition stand noch in seinem Zimmer, und im Chemielabor im Keller befanden sich auch noch Zündleitung, eine Anwürgzange für Sprengkapseln und einige Chemikalien, aus denen man Sprengstoff herstellen konnte.
Wenn Gundolf Köhler die Bombe von München gezündet hatte, so war diese Aktion gewiss nicht sein erster Kontakt mit Sprengstoff gewesen. Die Wahrscheinlichkeit war gewachsen, dass Gundolf Köhler aus Donaueschingen beim Oktoberfest-Attentat eine entscheidende Rolle spielte. Doch die erhofften Indizienbeweise, aus denen eindeutig hervorging, dass dieser Mann in dieser Werkstatt mit diesen Materialien die Bombe von München gebaut hatte, fanden sich am Samstagabend, dem 27. September 1980, trotz eingehender Suche nicht: keine Reste des hochexplosiven Sprengstoffes TNT, der in München verwendet worden war. Keine Aufzeichnungen, in denen die Bauweise der Münchner Bombe so vorgezeichnet war wie bei anderen Sprengkörpern, die Köhler im Laufe der Zeit gebaut hatte. Die Beamten fanden auch kein Schriftstück, in dem diese Tat angekündigt, auf welch wirre Weise auch immer gerechtfertigt, oder ein mörderisches und selbstmörderisches Fanal irgendeiner Art auch nur angedeutet wurde.
Die Suche der Ermittler nach Indizien musste weitergehen, die Suche nach Zeugen beginnen.