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Kloster Ettal bei Oberammergau, Bayern mehr als 2000 Jahre später ...

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Das fahle Licht des Vollmondes tauchte das Tal südwestlich von Oberammergau in ein silbernes, unwirkliches Licht. Im Schatten der Notkarspitze mit ihren fast zweitausend Metern Höhe lag die mächtige Benediktinerabtei in der trügerischen Ruhe der Nacht. Schritte hallten durch den Kreuzgang. Hastige Schritte, gehetzte Schritte, Schritte, die die Angst des Flüchtenden im weiten Rund der Klostermauern widerhallen ließen. Wie ein Schatten floh die dunkle Gestalt durch die Nacht. In ihrem schwarzen Mönchsgewand verschmolz sie mit der Umgebung, und nur wenn das silberne Mondlicht über die flatternde Robe strich, konnte man erahnen, dass sich ein Mensch darunter verbarg. Ein Mensch, dem die Angst im Nacken saß, ein Mensch, der den Tod fürchtete, vor dem es kein Entrinnen gab.

Das Bellen eines Hundes drang durch die Nacht und verlor sich in dem ehrwürdigen Gemäuer. Sein Atem ging rasch, sein Herz raste, als er sich im Schatten der Kapelle in eine dunkle Ecke zwang. Er war am Ende seiner Kräfte. Er blickte sich ängstlich um und lauschte in die Finsternis. War er seinen Verfolgern entkommen?

Das Bellen des Hundes war verstummt. Es war still geworden. Alles schlief, nur die beiden Laternen gegenüber dem großen Tor verströmten ihr gedämpftes Licht. Er atmete tief ein. Langsam kam er wieder zu Atem.

Als er sich vor ein paar Wochen mit dem alten Mann in der Nähe von Garmisch getroffen hatte, hätte er sich nie träumen lassen, dass er bald schon um sein Leben fürchten musste. Der alte Mann mit den wässrigen blauen und wachsamen Augen, die lebendig und mitunter auch listig hin und her flogen und trotz des fortgeschrittenen Alters zeigten, wie viel Kraft und Energie noch in seinem Körper steckten. Er wusste, dass er sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatte, doch in welcher Gefahr er wirklich schwebte, dessen war er sich nicht bewusst, als er die beiden Fragmente an sich genommen hatte.

Früh schon hatte er Gott sein Leben geschenkt und seine Alltagskleider gegen die Kutte des Benediktinermönches eingetauscht. Lange standen Gott und der Glaube im Mittelpunkt seines Lebens, bis die Jahre an der kirchlichen Fakultät in Erlangen seinen unstillbaren Hunger nach Wahrheit geweckt hatten und ihm der Glaube allein nicht mehr genügte. Wissen wollte er, wissen um die Dinge, die sich vor mehr als zweitausend Jahren am anderen Ende der Welt abgespielt hatten. Viele Reisen führten ihn an die Stätte, an der Jesus von Nazareth gewirkt hatte. Im Auftrag der Kurie hatte er nach Spuren, nach Artefakten, hatte er nach Antworten auf alle seine Fragen gesucht. Doch die Funde hatten nur weitere Fragen aufgeworfen und seine Zweifel bestärkt. Er wusste, dass er sündig geworden war, sündig gegenüber seinen Brüdern, gegenüber der Kirche, sündig gegenüber Gott, dem Allmächtigen, dessen Diener er einst geworden war. Doch Gott hatte ihn bestraft. Er war gestürzt, und Gott hatte ihn nicht aufgefangen. Ein komplizierter Knochenbruch, der nie mehr richtig verheilen wollte und ihm das Gehen erschwerte, hatte seiner sündigen Suche nach der Wahrheit ein Ende bereitet. So war er an den Ort zurückgekehrt, an dem er damals, vor unzähligen Jahren, seinen heiligen Bund mit Gott geschlossen hatte. Er wollte Frieden finden, doch die Rastlosigkeit und die Suche nach Antworten auf seine bohrenden Fragen hatten ihn nie zur Ruhe kommen lassen. Und er wusste, dass die Verletzung am Bein ein Stigma Gottes für ihn war.

Sein Atem ging tief, das Herz pochte ruhig im gleich bleibenden Rhythmus. Beinahe eine halbe Ewigkeit war vergangen. Von seinen Verfolgern war nichts mehr zu hören. Er trat einen Schritt vor und spähte aus seinem Versteck. Das metallische Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Er wandte sich um, doch schon schien sein Kopf in einem grellen Lichtstrahl zu explodieren. Er spürte noch den Aufschlag auf dem kalten, steinernen Boden, bevor ihn die Dunkelheit umgab.

Als er wieder erwachte, brannten seine Glieder. Langsam öffnete er die Augen. Das Kerzenlicht flackerte. Er versuchte sich zu konzentrieren, doch der Schmerz hielt ihn gefangen. Ungläubig schloss er die Augen. Die ganze Welt um ihn hatte sich verkehrt.

Die Bruderschaft Christi

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