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Viele Fußball-Moderatoren haben es sich angewöhnt, ihr Wissen um fremde Kulturen unter Beweis zu stellen. Sie sagen dann „Roma“ zum AS Rom, „ManU“ zu Manchester United und betonen das „Zeh Eff“ in CF Barcelona, damit auch jeder merkt, dass dieser Verein, da er spanisch ist, natürlich „Club de Fútbol“ heißt und nicht etwa FC (also „Football Club“). Aber wie das so ist, wenn man ganz schlau sein will: Manchmal – wie im Falle Roms – klappt es, meistens aber nicht.

Kaum ein Engländer sagt „ManU“, weil das wie das englischen Wort für „Menü“ klingt. Briten kennen den Klub als „Man United“ oder meistens bloß „United“. Nur wer dem Klub Böses will, der sagt „ManU“ und haucht noch einen „R“-Laut hinterher – denn „manure“ bedeutet Mist im Sinne von Dung. Wer von „ManU“ spricht, verrät sich sofort als Kontinentaleuropäer. Das aber ist ein verzeihlicher Fehler. Bei Barcelona stellt sich die Sache ganz anders dar. Zwar heißen fast alle spanischen Klubs in der Tat „CF“ (was normalerweise hinter den Vereinsnamen gesetzt wird, also: Valencia CF oder Real Madrid CF), der Klub aus Barcelona sieht sich jedoch als katalanischer oder sogar internationaler Verein, nicht als spanischer. Er wurde von einem Schweizer gegründet und stand immer auch unter englischem Einfluss, deshalb nennt er sich „Football Club“, FC Barcelona. (Ein anderer baskischer Klub, der aus Bilbao, heißt genau deshalb auch nicht „Atletico“, sondern britisch „Athletic“.)

Ist es nun so wichtig, ob man „CF“ oder „FC“ sagt? Im Falle Barcelonas schon. Denn eine Zeitlang hieß der Klub tatsächlich „CF“. Unter Francos faschistischem Regime wurde nämlich alles Fremdartige aus den Namen der Vereine getilgt, und Barcelona musste den „Football Club“ in „Club de Fútbol“ ändern. Für die stolzen Katalanen ist also ein solch kleiner Fehler ein Verweis auf schlimme Zeiten, in denen Real Madrid hofiert und man selbst unterdrückt wurde. (In diesem Zusammenhang könnte man auch noch Internazionale Mailand erwähnen. Viele italienische Klubs nennen sich „AC“ – für „Associazione Calcio“ – oder ähnlich, Inter aber ist ein „FC“, ein „Football Club“. Und auch Inter musste für diesen englischen Einfluss unter den Faschisten büßen: Während Mussolini an der Macht war, hieß der Klub „Ambrosiana“ – nach dem Schutzpatron der Stadt, Ambrosius, dessen Namen übrigens auch die berühmte Mailänder Bibliothek trägt, die erste öffentliche Bücherei Europas.)

Lange galt Englands FC Wimbledon als das Paradebeispiel für einen gemütlichen, sympathischen Klub. Erst 1977 gelangte der Verein vom Amateurfußball in die (professionelle) 4. Division, aber schon 1986 stieg man in die höchste Spielklasse auf und gewann zwei Jahre später sensationell den Pokal. All das zwar mit einer sehr rustikalen Spielweise (der walisische Mittelfeldmann Vinnie Jones gab 1993 in dem Video „Soccer’s Hard Men“ detaillierte Hinweise, wie man am härtesten und effektivsten foulen sollte), aber so richtig böse konnte man dem kleinen Klub nicht sein.

Im Jahre 2002 jedoch wurde aus dem lieben FC Wimbledon der am meisten verachtete Verein in ganz England; auf vielen Webseiten wurde sein Name schon gar nicht mehr erwähnt, sondern durch den herabwürdigenden Ausdruck „Franchise FC“ ersetzt, und Fans hatte Wimbledon eigentlich überhaupt keine mehr. Das kam so: 1997 zog sich Wimbledons Besitzer Sam Hammam vom Fußball zurück und verkaufte seine Anteile an die norwegischen Geschäftsleute Kjell Rokke und Björn Gjelsten. Die machten zwei Jahre später ihren Landsmann Egil Olsen zum Trainer, mit dem Wimbledon prompt nach 14 Jahren in der obersten Klasse aus der „Premier League“ in die „First Division“ abstieg. Eines der Probleme des Klubs, sagten die Norweger, wäre, dass er kein eigenes Stadion besaß, sondern seine Heimspiele im Selhurst Park von Crystal Palace austrug. Da sich weit und breit kein Gelände finden ließ, um ein neues Stadion zu bauen, begannen die Besitzer, an einen Umzug zu denken.

Zunächst war im Gespräch, den Verein nach Dublin (!) zu verlegen, aber dann erschien den Norwegern und dem von ihnen eingesetzten Vorsitzenden Charles Koppel die Stadt Milton Keynes passender, die etwa 80 Kilometer nördlich von London liegt. Am Anfang untersagte der Fußball-Verband einen solchen Umzug, aber im Mai 2002 wurde dem FC Wimbledon plötzlich eine Ausnahmegenehmigung zugestanden. Nun handelten die Anhänger des Klubs, die einen Umzug immer vehement abgelehnt hatten: Ein im Jahre 2000 von der unabhängigen Fan-Gruppierung WISA („Wimbledon Independent Supporters Association“) gegründeter Fonds wurde dazu genutzt, um am 30. Mai 2002 einen eigenen Verein zu gründen: den AFC Wimbledon. Am 24. Juni 2002 wurde dem neuen Klub gestattet, den Spielbetrieb in der „Combined Counties League“ aufzunehmen, einer Unterdivision der halb-professionellen „Ryman Isthmian League“, und mehr oder weniger als 7. Liga zu bezeichnen.

Am 29. Juni meldeten sich 230 Fußballer, um für die erste Mannschaft vorzuspielen, am 10. Juli bestritt der neue Klub sein erstes Spiel. Der FC Wimbledon hatte mittlerweile Probleme bekommen, weil der Umzug nach Milton Keynes nicht so reibungslos klappte, wie man gedacht hatte. Vor allem aber, weil der Verein von den Fans boykottiert wurde – sogar von denen der Gästevereine. Am 26. Oktober 2002 spielte der kleine AFC Wimbledon in der 7. Liga gegen Cobham und gewann 4:0. Dieses Spiel sahen 3.377 Zuschauer. Drei Tage später traf der große FC Wimbledon in der 2. Liga auf Rotherham und gewann 1:0. Vor 849 Zuschauern.

Erstaunlich viele Fußballer, die es zu Ruhm und Ehre gebracht haben, hätten auch in einer Versehrten-Elf auflaufen können. Wilfried Hannes verlor als C-Jugendlicher durch einen Tumor sein rechtes Auge, trotzdem feierte er mit Mönchengladbach Erfolge und war bei der WM 1982 im deutschen Kader. Bei seinem ersten Länderspiel, 1981 gegen Albanien, stand er übrigens nach seiner Einwechselung neben Bernard Dietz in der Abwehr. Dietz, der Europameister von 1980, machte als junger Kerl eine Ausbildung zum Schmied – und verlor dabei zwei Finger der rechten Hand. (Raymond Kopa, 1958 Europas Fußballer des Jahres, wurde übrigens als Bergmann der Zeigefinger der linken Hand zertrümmert und oberhalb des ersten Gelenks amputiert.)

Aber Hannes und Dietz sind nicht die beiden berühmtesten deutschen Nationalspieler, die nicht mehr so antreten konnten, wie Gott sie geschaffen hatte. Der große Richard Hofmann aus Dresden, das Idol einer ganzen Generation, büßte bei einem Autounfall im Anschluss an eine Karnevalsfeier sein rechtes Ohr ein und spielte fortan mit einer Binde quer über dem Kopf. (Kaum zwei Monate nach jenem Unfall lief er im Mai 1930 so gegen England auf – und erzielte beim legendären 3:3 alle deutschen Tore.)

Ein Unglück widerfuhr auch Robert Schlienz vom VfB Stuttgart. Der Stürmer schoss in der Oberligasaison 1947/48 31 Tore für seinen Klub und galt als kommender Superstar des deutschen Fußballs, da geriet er im August 1948 mit seinem Wagen von der Straße ab. Das Gefährt stürzte um und zertrümmerte den linken Arm des Spielers, der daraufhin im Krankenhaus amputiert werden musste. Doch Schlienz spielte weiter und wurde sogar von Sepp Herberger in die Nationalelf berufen. Es gibt Leute, die behaupten, dass Herberger den Stuttgarter nur deshalb nicht mit zu einer WM (zum Beispiel 1954) nahm, weil er nicht wollte, dass ein Gegner der Meinung war, er müsse sich gegen Schlienz zurückhalten. Dabei wäre ein Einarmiger bei einer Weltmeisterschaft nichts Neues gewesen. Im Gegenteil: Hector Castro wurde trotz dieser Behinderung nicht bloß Weltmeister 1930 mit Uruguay, sondern schoss sogar das entscheidende vierte Tor im Finale gegen Argentinien.

Das Team der Gehandicapten ließe sich übrigens durchaus komplettieren. Ins Tor könnte man zum Beispiel Andy Goram stellen, der 43-mal für Schottland spielte. Allerdings passt er nicht ganz auf diese einsamste aller Positionen im Fußball, denn Anfang der neunziger Jahre wurde bei Goram eine harmlose Form der Schizophrenie festgestellt. Dass die Fans der gegnerischen Mannschaften danach gerne „Es gibt nur zwei Andy Gorams“ sangen, ist leider eine Geschichte, die nie belegt werden konnte. Belegt ist hingegen, dass Goram in der Tat eine gespaltene Persönlichkeit war: Er brachte es nämlich auch im Cricket zum Nationalspieler, als linkshändiger Batsman (Schlagmann) und rechtshändiger „Bowler“ (Werfer).

Noch besser wäre es aber, den Amerikaner Tim Howard zwischen die Pfosten zu stellen, der vier Jahre lang für Manchester United spielte. Er leidet am „Tourette-Syndom“, einer neuropsychiatrischen Erkrankung, die sich in unkontrollierbaren motorischen und verbalen Ausfällen äußert. Am bekanntesten ist wohl die Ausprägung, bei der ein Patient zwanghaft in Fäkalsprache verfällt. Unter dieser Variante leidet Howard nicht, obwohl sie für ihn am leichtesten zu kaschieren wäre – gehört es bei modernen Torhütern doch zum akzeptierten Verhalten, Leute zu beschimpfen … (Besonders lustig – der zartfühlende Leser mag den Ausdruck in diesem Zusammenhang entschuldigen – wäre die Sache, würde man den Mainzer Verteidiger Stefan Markolf vor Howard positionieren. Der ist nämlich von Geburt an zu 90 Prozent taub. Sein mehrere Tausend Euro teures Hörgerät ist auf dem Platz nur bedingt nützlich, daher hat er es sich angewöhnt, Kommandos von den Lippen abzulesen.)

Wie Österreich Weltmeister wurde

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