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Dogma und Kritik

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An dieser Stelle gewinnt das problematisch verstandene Wort des Dogmas seine Bedeutung und zwar zunächst im Sinne einer persönlichen Haltung. Dogmatisch bin ich dann eingestellt, wenn ich auf Autorität hin glaube, nicht aber eigenständig denke. Auf Autorität hin zu glauben impliziert bereits meine Zustimmung. Eigenständig und kritisch zu denken würde aber Zustimmung oder Ablehnung zunächst offenlassen. Zwischen Aussage und Zustimmung besteht keine Kontinuität, sondern ein Bruch, der Offenheit anzeigt. Genau diese Offenheit ist interessanterweise in der philosophischen Begriffsgeschichte des Wortes »Dogma« anfangs zu finden. Seiner Herkunft nach beinhaltet das Wort nämlich einen Doppelsinn, den zwischen einer Meinung einerseits und dem Dafürhalten oder Geltendmachen dieser Meinung andererseits.43 Während sich der eine Bedeutungsaspekt auf den Inhalt einer Meinung richtet, geht der andere auf die Geltung des Gemeinten oder den Akt der Zustimmung. In der Begriffsgeschichte, insbesondere in der heutigen Alltagsverwendung des Wortes, hat sich der zweite Aspekt verselbstständigt: Dogma ist, was unbedingte Geltung beansprucht. Demgegenüber ist an den vergessenen Bedeutungsaspekt einer neutralen »bloßen« Meinung oder neutraler Aussagen zu erinnern.

Philosophiehistorisch bekommt das Wortpaar »Dogma – dogmatisch« mit Kants kritischer Wende ein besonderes Gewicht. Damit nämlich verabschiedet Kant sich in einem Gestus der »Aufklärung« von alten dogmatischen, d. h. ungeprüften Überzeugungen und vergleicht diesen Vorgang rückblickend mit dem Prozess des Erwachens aus »dogmatischem Schlummer«.44 Einerseits beschreibt Kant mit seinen Überlegungen zu einer schlummernddogmatischen Haltung und dem Aufwachen durch Kritik eine, nämlich seine historische Situation. Aber gleichwohl beinhaltet das Moment der Aufklärung eine prinzipielle, wohl immer geltende Situation. Denn insofern wir im Prinzip jederzeit zu neuen Einsichten »erwachen« können, sind wir, potenziell auch immer von dogmatischen Überzeugungen umgeben, deren dogmatischen Charakter wir allerdings erst dann bemerken, wenn wir eine kritische Prüfungen, einen Moment des Erwachens, vollziehen und ihn als solchen erkennen.45 Insofern steht das denkerische, aufklärerische, kritische Wachwerden der dogmatischen, unhinterfragten, bloß geglaubten Meinung gegenüber. Dogma ist das Gegenteil von Kritik.

Aber bei Kant hat das Wort keine bloß pejorative Funktion. Viel mehr noch ist es Terminus für eine philosophische Methode, die nicht von der Sinneserfahrung ausgeht, sondern von nicht-sinnlichen Begriffen und deren Beziehungen.46 Kant vergleicht die dogmatische Methode insofern mit der Mathematik, setzt sie aber nicht mit ihr gleich. Für unseren Zusammenhang heißt das: Ein dogmatisches Verfahren in »reinen« Begriffen kann sehr wohl kritisch und selbstverantwortet sein.

Der Erzähler Rudolf Steiner

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