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»Wann wird das symbolische Gewand fallen?« (Martha Asmus)

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Martha Asmus, die kritische Denkerin, hat Steiners Veröffentlichungen ab Juni 1904 wohl kaum noch verfolgt. Aber sie dankt ihm sehr bald (am 6. Februar 1904) lebhaft dafür, dass er sich ihres Bruders Werk in der Zeitschrift »Luzifer-Gnosis« angenommen hat. Und der Dank ist ihr Anlass, kritisch auf die Diskrepanz hinzuweisen, die ihr zwischen dem philosophischen Duktus ihres Bruders und dem übrigen Inhalt der Zeitschrift (vorwiegend aus Steiners Feder) auffällt. Es ist die symbolische Ausdrucksweise, an der sie sich stößt und die sie auch im Widerspruch zu dem sieht, was sie von Steiner sonst kennt. Sie erinnert an ein Gespräch, das sie beide während einer Bahnfahrt über die maßgeblichen Frauen der Theosophischen Gesellschaft, Elena Petrowna Blavatsky (1831–1891) und Annie Besant (1847–1933) gehabt hatten, in dem es um deren symbolische Ausdrucksweise gegangen war. Steiner hatte diese Ausdrucksweise nach Asmus’ Worten damals so erklärt, dass »diese Frauen alle solche Lehren, die gegen die Wissenschaft stritten … als Symbole ihrer Vernunft-Erlebnisse der Masse darböten, der die Mysterien nicht anders zugänglich werden können.«52

Symbolische Ausdrucksweisen wären demnach strenge Begriffe fürs Volk.53 Dem widerspreche allerdings Steiners eigene Position, wie Asmus sie aus Vorträgen Steiners kannte, in der dieser unter anderem Buddha und Christus als »große Initiatoren« dargestellt hatte: »Danach war es die Mission dieser Initiatoren, die esoterischen Lehren den Exoterikern zu bringen und so die Weisheit unsymbolisiert zu verbreiten.«

Die Symbolisierung hat demnach etwas Verschleierndes, die unsymbolisierte Form einen aufklärerischen Duktus. Diesen vermisst Asmus aber jetzt bei Steiner, nachdem er sich offensichtlich der Linie von Blavatsky und Besant angeschlossen hat. Deshalb mündet ihr Brief in die beiden Fragen:

»Haben Ihr Denken [=Begriffe, Begriffssprache, U.K.] und Ihre Lehre [=Dogmen, symbolische Ausdrucksweise, U.K.] verschiedene Formen? Und wenn es so ist, wann wird das symbolische Gewand fallen?«

Die beiden Fragen formulieren in aller Deutlichkeit zwei Probleme bzw. eine innere Spannung, der sich Steiner offensichtlich in diesen Jahren nicht entziehen kann. Das eine ist, wie die starke und gezielte »Verbildlichung« (GA 28, 447) der Erkenntnis, die Steiner in jenen Jahren auf unterschiedlichen Ebenen vollzieht, im Verhältnis steht zum begrifflichen Denken. Es betrifft die symbolischen Formen der Darstellung, egal, ob sie nun auf ausgeprägte Metaphorik, Mythologie, figuratives Wissen oder performative Handlungen und Rituale zurückgreift. Das andere ist die Frage der autoritativen Geltung bei diesem Wissenstyp theosophischer Aussagen, zu denen eben auch die theosophischen Atlantis-Darstellungen gehören.

Die symbolischen Formen bei Blavatsky und Besant wertet Asmus negativ als eine Verschleierung, während sie Steiner als Möglichkeit oder Chance der Mitteilung an »die Masse« beim Gespräch im Bahnabteil angesehen haben wird. Formuliert Asmus einen unaufhebbaren Widerspruch zwischen »Denken« und »symbolischem Gewand«, lässt sich Steiner auf deren Spannung wie auf einen immanenten Widerspruch, eine unvermeidbare Beziehung ein, die nur angemessen gehandhabt werden müsse. Wie Steiner an seiner Einschätzung von Goethes »Märchen« deutlich macht (GA 28, 391–393), gehört der bildhafte Ausdruck essenziell zur Darstellung esoterischer Themen. Aber er ersetzt das Denken in Begriffen nicht, verwandelt es allenfalls und setzt es immer voraus.

Das symbolische Gewand, so füge ich hinzu, kann nur durchsichtiger werden, aber nicht fallen, weil es mit seinem »Träger« eine Einheit bildet. Deshalb kann, um Martha Asmus’ treffende Frage zu modifizieren, das symbolische Gewand nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt fallen, es muss gewissermaßen permanent fallen. Es fällt immer dann, wenn die Figur in Bewegung ist. Es ist das Fallen des Kleides, die Bewegung der Falten, das Changieren des Stoffes, was die Erkenntnis ermöglicht, nicht aber das Gefallen-Sein. Nur der Moment des Fallens ist der der Erkenntnis. Und Erkenntnis wird, als Kultivierung des Fallens, zur Bewegungskunst, wenn Anschauen des Kleides und Bewegen des Kleides – zusammen fallen.54 Wie ist das genauer zu denken?

Der Erzähler Rudolf Steiner

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