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Vier Grundgesten spiritueller Erkenntnis

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Ich möchte auf diesem Hintergrund der drei von Steiner immer neu geschilderten Erkenntnisgesten vier Aspekte des Begriffs einer geisteswissenschaftlichen Hypothese unterscheiden. Der erste ist der gewöhnliche, den Steiner auch anführt und der geisteswissenschaftliche Aussagen in der Welt der Sinne und des alltäglichen Lebens als plausibel erweisen oder auch nicht erweisen mag. Auf dieser Stufe des schlichten Verständnisses von Hypothese ist zwar kein Entdecken oder eigenständiges Darstellen geisteswissenschaftlicher Inhalte möglich, wohl aber ein Nachvollziehen oder Verstehen (vgl. GA 82, 115; GA 152, 16; GA 264, 39). Wir befinden uns auf der großzügigen, Raum gebenden Ebene der Erzählung (1.). Der zweite Aspekt meint die Hypothese als symbolische Vorstellung oder Imagination (2.) verstanden, die, als aktive, tätige Annahme in die Dimension des Spirituellen einführt. Die dritte Form der Hypothese besteht in der Steigerung der zweiten Form insofern, als dass die sinnlichen Stützelemente zurückgedrängt werden und nur noch die innerlich strukturierte und strukturierende Tätigkeit als hypothetische, d.h. erfahrungsorientierte Struktur oder Abstraktion (3.) zurückbleibt. Die vierte Stufe schließlich wäre das »Aufhören« der Hypothese in der geschehenden Erfahrung.113 Sie entspricht (4.) dem aktiv vorbereiteten »Opfer des Intellekts« (GA 92, 23; vgl. GA 265, 27 ff.).114

Erst hier erweist es sich, ob das, was als Hypothese aufgebaut wurde, auch tatsächlich zu einer substanziellen spirituellen Erfahrung führt. Zu einer spirituellen Erkenntnis, überdies, kommt es dann, wenn eine in diesem Sinn mehrfach gegliederte Hypothese nicht nur aufgestellt, innerlich belebt und modifiziert sowie der Erfahrung exponiert wird, sondern wenn sie auch in einem sich vollziehenden subtilen Erfahrungsprozess gegebenenfalls verworfen, zurückgedrängt, aufgelöst, aufgehoben, modifiziert und in dieser Weise »kohärent verformt« wurde. Diesen Prozess macht die spirituelle Erfahrung selber. Es zeigt sich. Hypothese ist, in der Konsequenz, für den Geistesforscher oder die Geistesforscherin sowohl ein Mittel, spirituelle Erfahrungen darzustellen, 115 als auch, sie einzuleiten und zu orientieren. Darstellungsfunktion und heuristische oder regulative Funktion der Hypothese erscheinen dabei wie zwei Seiten ein und derselben Sache. Regulative Hypothesen lösen sich in der Konsequenz auf; darstellende Hypothesen bilden sich in der Erfahrung neu. Hier liegt für einen Forscher in der historischen Situation Steiners die Bedeutung der theosophischen Literatur als Feld oder Steinbruch möglicher Hypothesen. Und hier zeigt sich nicht zuletzt die Funktion des Studiums als Ausgangspunkt eigenständiger Forschung.116


Der Erzähler Rudolf Steiner

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