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Sensible Behauptungen

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Es versteht sich, dass in diesen komplexen Vermittlungsprozess des Bildens und Entbildens von Hypothesen mannigfache Irrtumsmöglichkeiten eingebunden sind. Jede Hypothese selber stellt immer die Kehrseite eines möglichen Irrtums dar. Sie kann im Prinzip jederzeit durch die Erfahrung korrigiert und durch die Reflexion modifiziert werden. Deshalb vergisst Steiner in unserem Kontext nicht zu sagen, »im Einzelnen können selbstverständlich die Behauptungen der … Geistesforscher die größten Irrtümer enthalten« (GA 35, 129). Der Anteil der Irrtums- und Deutungsmöglichkeiten in der spirituellen Methode Steiners ist bislang wenig erforscht.117 Der hypothetische, oft auch oberflächliche und vielfach zeitgebundene Charakter seiner Aussagen wird besonders dort gerne übersehen und falsch eingeschätzt, wo man ihnen den fragilen Modus von Forschungsaussagen, Hypothesen oder potenziellen Fragen nimmt und sie als nicht deutbare, unendlich überlegene, fraglos aufzunehmende Mitteilungen oder Angaben eines »Hellsehers« – oder, in anderer Perspektive eines obskuren Charismatikers – auffasst. Seine Aussagen werden auf diesem Weg nicht nur verdinglicht und verfestigt; es wird auch ihre didaktische Vermittlungs-, ihre künstlerische Darstellungsfunktion und damit ihre erfahrungsbezogene Vorläufigkeit vernachlässigt. Es ist eine Funktion, die sich in den behandelten Aspekten der Hypothese auf doppelte Weise zeigt: in ihrer Geltungsfunktion als Behauptung, die einen Wahrheitsanspruch erhebt, aber unvermeidlicherweise sensibel, potentiell irrtumsbehaftet und erfahrungsbezogen-vorläufig bleibt; und in jener Art von Behauptung, die in sich, wenn sie gut ist, die Sensibilität erzeugt für das, wovon sie redet. Hypothesen also sind sensible Behauptungen.

Der Erzähler Rudolf Steiner

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