Читать книгу Lucy in the Sky und die Roten Drachen - Ulrich Markwald - Страница 14

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Yakbutter

Am nächsten Morgen erwachte Lucy, weil jemand zärtlich an ihrem Hals herumleckte. Noch im Halbschlaf murmelte sie:

Greg, nicht doch, Greg!

Dann merkte sie, dass die Zunge ziemlich groß war, sehr groß. Sie öffnete die Augen und schrie laut auf. Ein riesiges zotteliges Tier stand über ihr und fuhr mit seiner Zunge genüsslich über ihr Gesicht. Der Schrei ließ das Yak mit einem Grunzen zur Seite springen. Dann hörte sie ein lautes Lachen. Sie setzte sich auf und entdeckte einen älteren Mann mit großem Reisstrohhut, vermutlich den Hirten der Yak - Herde. Er kriegte sich vor Lachen kaum noch ein. Und rief immer wieder:

Zuò'ài … (ZooEi - Liebe machen)

Lucy erhob sich und suchte nach Justus. Sie brauchte eine Weile, bis sie ihn in einer Schlammmulde entdeckte. Sie watete träge zu ihm hin und stupste ihn mit dem Fuß an. Auch er kam nur langsam zu sich.

Aufstehen! Frühstück ist fertig! Und da will Dich jemand sprechen. Sie schaute sich um. Boah, ich habe geschlafen wie eine Bärin. Was haben die uns nur vor dem Flug eingeflößt? fragte sie ihn. Und sag mal, sind das wirklich Yaks? Ich dachte, die gibt’s nur in Nepal.

Er musste sich erst getrockneten Schlamm aus den Ohren kratzen. Sie wiederholte die Frage.

Wir werden es vermutlich nie erfahren, was die uns da verabreicht haben, antwortete er. Und ja, Yaks gibt’s auch hier. Die Chinesen kreuzen sie schon lange mit anderen Rinderarten.

Inzwischen hatte der alte Hirte sich wieder beruhigt und machte ihnen lächelnd Zeichen, ihm zu folgen. Hinter dem nächsten Hügel lagen einige einfache mit Reismatten bedeckte Hütten. Rückseitig befand sich tatsächlich eine Dusche, die von einem Bambuszaun umgeben war. Das Wasser war zwar kalt, aber die Sonne machte sich schon bemerkbar und heizte einen schwarzen Wasserbehälter auf dem Dach auf. Schnell hatte Lucy sich ihrer Kleider entledigt und genoss die Wasserstrahlen. Als sie sich sauber fühlte, bemerkte sie, dass sie weder Handtuch noch saubere Kleidung hatte. Da stand plötzlich eine kleine ältere Frau vor ihr und reichte ihr mit einem Lächeln ein großes buntes Tuch, mit dem sie sich nicht nur abtrocknen, sondern auch bedecken konnte. Sie schien die Ehefrau des lachenden Hirten zu sein.

Diese bat sie nun mit angenehm klingenden Worten und mit vielen Gesten ins Haus. Sie sollte sich auf den Teppich am Boden setzen, konnte sie aus den Gesten erahnen. Inzwischen stand wohl auch Justus unter der Dusche. Während sie auf ihn warteten, versuchte Lucy eine Kommunikation mit der Frau mit dem freundlichen Gesicht. Ihr Alter ließ sich nur erraten. Vielleicht zwischen 50 und 100 Jahren? Weder Englisch noch Französisch schien die Frau zu verstehen. So probierte sie mit Gesten und Geräuschen sich verständlich zu machen. Einige ihrer Gesten riefen bei der Chinesin Heiterkeit hervor. Sollten ihre Bewegungen in China andere Bedeutungen haben als in Europa? Als Justus, ebenfalls in ein großes buntes Tuch gehüllt, erschien, mussten sowohl Lucy als auch die Gastgeberin lachen. Bevor Justus etwas entgegnen konnte, erschien eine weitere lächelnde Frau, vielleicht die Schwester der Bäuerin, und servierte eine herzhafte Brühe, in der dicke Klumpen von Fett schwammen. Yakbutter? Auf nüchternen Magen? Ein Kaffee wäre ihr lieber gewesen, aber sie war froh, hier bei diesen gastfreundlichen Menschen gelandet zu sein. Gelandet? Langsam, ganz langsam, fielen ihr die Ereignisse der letzten Nacht wieder ein. Sie war immer noch nicht ganz klar im Kopf. Die Flucht aus dem havarierten Flieger, die Verfolgung vom Hubschrauber, ihr Handgepäck zwischen den Felsen, der Schlamm… Ihr Gepäck! Wo war das? Wussten sie noch die Stelle?

Justus! rief sie, weißt Du noch, wo unsere Cases liegen?

Bevor er etwas sagen konnte, kam der Hirte herein, in jeder Hand eins ihrer Gepäckstücke, offensichtlich ungeöffnet. Sie sprang auf und umarmte den Mann, der wieder zu lachen begann.

Sie öffneten ihre Taschen. Sogar Lucys Handy lag noch darin.

Nicht einschalten! rief Justus. Die haben bestimmt etwas eingebaut um uns zu orten. Ich hatte mein Handy nicht im Gepäck, sondern in der Hosentasche, vielleicht ist das noch unbehandelt.

Lucy durchforstete ihr Case und sagte: Komm, wir haben viel zu viel Zeug, lass uns hier etwas verschenken. Sie wühlte ein bisschen, fand saubere Slips, T-Shirts und etwas Schmink-utensilien, die sie den Frauen überreichte. Justus schenkte dem Mann zwei seiner Hemden und seine Hausschuhe. Alle waren begeistert, lachten und überschütteten sie mit Wortschwallen. Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, gab es noch Tee und Gebäck. Justus konnte sogar schon mit einigen wenigen Worten seinen Dank in dieser fremden Sprache ausdrücken.

Dann gingen Lucy und Justus vor die Tür um sich zu besprechen. Waren sie jetzt auf der Flucht? Sollten sie sich lieber stellen und auf einer Ausreise bestehen? War es möglich unerkannt weiter zu kommen? Was wäre der nächste Schritt?

Die Leute aus dem Flugzeug – die mit den Roten-Drachen-Kisten – würden sie sicher noch suchen. Lucy meinte:

Wir müssen in Bewegung bleiben, brauchen unauffällige Kleidung und …

… sollten Chinesisch lernen! rief Justus. Alle Schilder und überhaupt alles hier ist meist nur mit chinesischen Schriftzeichen versehen. Nur in großen Städten gibt es manchmal englische Beschriftungen für die Touristen. Und wir benötigen neue Handys. Unsere sind sicher registriert, und sobald die sich in einer Zelle einbuchen, können wir geortet werden.

Also verabschiedeten sie sich von ihren freundlichen Gast-geberinnen und machten sich auf einen Pfad in das nächste Dorf. Die Hirtenfamilie hatte ihnen den Weg mit vielen Gesten beschrieben und ihnen noch jede Menge Wegzehrung mitgegeben. Sogar ihre Kleidung war inzwischen gewaschen und getrocknet worden.

Der Himmel war zwar bewölkt, aber es war warm und die Vögel zwitscherten. Ein leichter Wind hielt die Insekten ab, und sie fühlten sich wie auf einer netten Wanderung, wären da nicht ihre Bordcases gewesen. Sie mussten diese in der Hand tragen, mal rechts, mal links, mal auf der Schulter, dann wieder vor dem Bauch. Die Rollen funktionierten auf den schmalen Trampelpfaden nicht.

Als sie nach etwa drei Stunden in ein größeres Dorf gelangten, waren sie erschöpft, verschwitzt und setzten sich auf eine Mauer an dem kleinen Marktplatz. Es war wohl Feierabendzeit. Etliche Menschen fuhren auf Fahrrädern an Ihnen vorbei, warfen zwar einen Blick auf sie, waren aber nicht besonders beeindruckt. Anscheinend kamen hier öfter Touristen vorbei. Vielleicht waren sie nicht weit von einer größeren Stadt entfernt.

Dann kamen die Kinder. Sie waren doch ein wenig neugierig geworden. Erst umkreisten sie sie mit ihren Rollern, Inlinern und Fahrrädern. Da Lucy sie aufmunternd mit ihren blauen Augen anschaute, kamen sie näher, lachten und stellten Fragen, von denen sie keine verstanden. Erst als ein paar Jugendliche dazu kamen, sich lässig Zigaretten anzündeten und auf Englisch ein paar Brocken hervorbrachten, kam eine einfache Kommunikation zustande. Justus erkannte, dass bestimmte Gesten und Worte international sind. Als er gestikulierend laute Schnarchgeräusche machte, lachten alle Kinder. Sie hatten verstanden und brachten sie unter lautem Gejohle zu einem kleinen Hotel. Dort bedankten sich die beiden. Die Kinder zogen lachend wieder ab. Sie checkten ein. Ausweise wollte der Hotelier erst später sehen, was er dann aber vergaß. Ehe sie sich‘s versahen, hatten sie ein Zimmer mit einem Doppelbett bekommen. Irgendwie fühlte sich das fremd, aber weder peinlich noch komisch an.

Essen gab es auch: Das Hotel hatte eine kleine Gaststube, in der auch Einheimische aßen. So gegen 19 Uhr trafen immer mehr Männer und Frauen ein. Waren es Neugierige oder war es immer so voll? Es gab für alle das Gleiche: Reis mit einer reichhaltigen Soße und Gemüse. Tee trank man dazu. Einige Männer bestellten auch Bier in kleinen Flaschen. Justus sagte, er tränke fast nie Alkohol. Lucy hätte gerne ein Bier genommen, beließ es aber beim Tee, da sie keine Frau mit einem Bier sah.

Justus entdeckte ein kleines Terminal, an dem er über einen alten Computer ins Internet konnte. Zuerst musste er aber die Tastatur und die Schriftart auf Englisch einstellen. Nach einigem Probieren hatte er es heraus. Lucy wäre gerne noch ein wenig durchs Dorf spaziert, aber sie dachte, es sei besser, sich ein wenig bedeckt zu halten. Sie legte sich ins Bett. Es roch fremd, nach Gewürzen, nach Weichspüler, aber es hielt sie warm. Sie begann ihre Gedanken zu sortieren.

Sie waren tatsächlich schanghait worden. Das geschah bis ins 19. Jahrhundert mit Seeleuten auf der ganzen Welt. Zuerst wohl in Schanghai. Sie wurden mit Drogen und Alkohol, manchmal auch mit Gewalt, auf ein Schiff gebracht. Wenn sie dann aufwachten, waren sie schon auf hoher See und konnten nicht mehr zurück.

Waren Justus und sie in Gefahr? Was würde geschehen, wenn man sie wieder einfing? Würden sie ins Gefängnis gesteckt? Gefoltert? Würden man sie für immer verschwinden lassen? Der Welt erzählen, sie seien bei dem Absturz ums Leben gekommen?

Oder sollten sie kooperieren? Wobei sich Lucy die Frage stellte, was ihre Rolle dabei sein konnte. Sie hatte doch keine Ahnung von Genforschung. Sie wusste so gut wie nichts über dieses 10x-Gen, außer dass es jeder haben wollte, und sie fand, dass es viel zu gefährlich für das Ökosystem sei.

Was war mit Greg? Wo war er wohl jetzt? Plötzlich spürte sie, wie sie ihn vermisste. Seine ruhige Art, sein braun gebrannter Körper, seine Fähigkeit in schwierigen Situationen die Nerven zu bewahren, sein Respekt ihr gegenüber, sein Lachen. Sie bedauerte, dass sie in Südafrika nicht die Möglichkeit hatte, ihm näher zu kommen. Gentlemanlike hatte er sie am letzten Abend noch zu Bett gebracht, als sie nach ein paar Bier draußen im Park eingeschlafen war. Allerdings konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, er hatte sie schlafend ins Hotel getragen. Und – er roch gut!

Tränen schossen ihr in die Augen. Und wenn sie ihn nun niemals wiedersehen würde? Wäre Justus ein Ersatz? Sie setzte sich auf. Was für ein blöder Gedanke! Ja, Justus war nett und klug. Auch attraktiv. Aber das war‘s auch schon. Außerdem hatte er sie in doch in diesen Schlamassel hineingezogen. Wenn er dieses Gen nicht entwickelt hätte, sie nicht in diesen Geheimdienst-Shit hineingezogen hätte, dann …

…in diesem Moment stürzte Justus herein und rief: Ich weiß jetzt, wo wir sind! In der Nähe von Shanghai, gar nicht, wie wir ursprünglich gedacht haben, in der Nähe von Beijing.

Hab‘ ich mir gedacht, sagte sie genervt und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ist etwas mit Dir? fragte er.


Und ob etwas mit mir ist! Ich bin schanghait worden. Und jetzt in irgendeinem chinesischen Kaff! Ohne Dein Scheiß-Gen wäre ich jetzt in Berlin, würde meine Freundinnen treffen oder mit meiner Lieblings-musik auf meinen Kopfhörern durch einen Park laufen: A thousand Miles!

Lucy, ich habe mich bei Dir schon in Pretoria entschuldigt, dafür, dass Du in diese Sache hineingezogen worden bist. Aber ich kann nichts für die Entführung nach China. Da kannst Du Dich bei Urs beschweren, der hat Dich aus dem Flugzeug geworfen.

Themenwechsel! rief sie. Ob wir Kontakt zu Greg oder Urs oder Evelyn aufnehmen können?

Die Frage ist, wie? Jegliche Aktivität, ob über Handy, Internet, Telefon, würde sofort bemerkt. Wir sind hier in einem Überwachungsstaat!

Was ist mit Brief, oder besser noch Ansichtskarte – so urlaubsmäßig?

Das ist eine gute Idee. Selbst wenn sie abgefangen würden, könnte man sie nur schwer zurückverfolgen. Justus überlegte. Wir sollten unsere Bordcases gegen kleine Rucksäcke tauschen. Unten an der Straßenkreuzung ist ein Laden, in dem gibt es alles. Auch andere Kleidung.

Nach dem Essen wurde ihnen wieder bewusst, dass sie nur ein Bett hatten. Es war zwar breit genug, und es gab zwei Decken, aber so dicht beieinander? Sie kleideten sich etwas verschämt im Bad um. Dann lagen sie nebeneinander im Bett.

Lucy dachte, er ist ja ganz süß, aber irgendwie könnte es zwischen mir und ihm nie richtig funken. Er fühlt sich eher an wie ein Bruder, den ich allerdings nie hatte. Sie musste an ihren Mitschüler Moritz denken, den sie in der 10. Klasse kennengelernt hatte. Er war auch wie ein Bruder für sie. Er war sitzengeblieben, war ein Jahr älter und anfangs verschlossen und schüchtern. Am Wandertag war Lucy mit ihrem Fuß umgeknickt. Sie fragte ihn einfach, ob er ihren Rucksack tragen wolle. Von da an liefen sie zusammen zur Schule und zurück. Machten Hausaufgaben zusammen. Sie hatten sich 1000-mal berührt, aber es war nichts passiert. Und es hatte ihr auch nichts gefehlt. Dann zog er eines Tages weit fort. Lucy hatte ihn zum Abschied geküsst. Moritz sagte, davon werde er nun ein Leben lang träumen.

Justus dachte, ich müsste das jetzt mal ansprechen, dass ich sie zwar nett finde, aber dass ich ein Typ bin, der eigentlich gar keine Beziehung möchte, Sex schon. Oder vielleicht eine Beziehung, aber nicht so dicht, nicht symbiotisch. Und Lucy kommt mir gefühlt eher vor wie eine Schwester.

Dann begannen beide zur gleichen Zeit:

Du, ich möchte Dir was sagen… Sie lachten. Und nachdem sie das alles ausgesprochen hatten, was ihnen vorher im Kopf herumgegangen war, sahen sie die Nacht und die Beziehung zueinander entspannter. Bevor sie einschlief, dachte Lucy: Waren sie vielleicht wirklich verwandt? Geschwister? Sie kamen schließlich beide aus Berlin. Ihr fiel der Film „Zurück in die Zukunft“ ein. Da küssen sich Marty McFly und seine zukünftige Mutter Lorraine Baines in der Vergangenheit und beide spüren, dass es irgendwie nicht stimmig ist.

Lucy in the Sky und die Roten Drachen

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