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3.2 Mediatisierung und Hybridisierung

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homogenisierende Differenzierung

Diese wechselseitige Durchdringung von medialem und unmittelbar-persönlichem sowie von interpersonalem und massenmedialem Sprachgebrauch wirkt zugleich homogenisierend und differenzierend: Einerseits wächst der Bestand grundlegender standardsprachlicher Normen, die Anschluss und Verständigung auch über regionale und soziale Unterschiede hinweg ermöglichen; andererseits bilden sich auf dieser gemeinsamen Grundlage immer mehr Abweichungen und Varietäten aus. Zog das Aufkommen der Tagespresse die „Demokratisierung der Schriftsprache“ nach sich, was Eggers (1977: 128f.) als das herausragende Ereignis in der deutschen Sprachgeschichte des 19. Jahrhunderts ansah, so bringt die Mediatisierung der gesamten Kommunikation heute eine Demokratisierung, Technisierung und Differenzierung sämtlicher Sprachgebrauchsweisen mit sich (vgl. Lundby (ed.) 2014). Das bedeutet nicht, dass auch das Kommunikationssystem mit seinen Institutionen demokratisch verfasst wäre; teilweise ist das Gegenteil der Fall.

hybride Kommunikationsformen

Diese technologische Tendenz wird durch Digitalisierung noch verstärkt, weil massenmediale Formen nun in vielfältiger Weise von fast jedermann simuliert und erweitert werden können. Im Übergangsfeld zwischen interpersonaler und massenmedialer Kommunikation bilden sich immer neue hybride Kommunikationsformen aus, die auch die hergebrachten Unterschiede zwischen schriftlichen Texten und mündlichen Gesprächen mit den üblicherweise zugeordneten Graden an gepflegter und spontaner Sprache immer stärker auflösen zugunsten einer unüberschaubaren Fülle auch neuer Textsorten mit zahllosen Varianten und Mischformen:

Öffentlich zugängliche mono- und multimodale Blogs bespielen das gesamte Spektrum von Romanen über wissenschaftliche Publikationen bis zu schnell hingeworfenen, trivialsten und intimsten privaten Aufzeichnungen; Schüler produzieren Podcasts (kleine Hörfunkbeiträge mit gepflegter Mündlichkeit) für sehr kleine Hörergruppen; Wissenschaftler kommentieren komplizierte Sachverhalte in spontaner Umgangssprachlichkeit für ein großes Fernsehpublikum; Rundfunksender bitten Fußgänger um spontane Buchoder Konzertrezensionen; herkömmliche Unterschiede zwischen (tendenziell längeren, schriftsprachlich ausformulierten, monologischen) E-Mails, (tendenziell kürzeren, formal schlampig erscheinenden, monologischen) SMS und (sehr schnellen, spontanen, dialogischen) Chats treten zurück. Mediale Texte werden im Alltag aufgenommen, und umgekehrt bemühen sich massenmediale Institutionen um Alltagsnähe gerade auch in den sprachlichen Formen. Allein – um ein letztes Beispiel für die Auflösung alter Grenzen und die Vermischung traditioneller Formen zu nennen – die zahlreichen Dienste von Google spannen ein fortwährend wachsendes Universum höchst unterschiedlicher Kommunikationsformen, Textsorten, Sprach- und Zeichengebrauchsweisen im Internet auf; und sie werden in vielen Alltagssituationen intensiv genutzt.

überall Medien

Massenmediale, interpersonale und immer mehr in dieser Hinsicht hybride Kommunikationsformen prägen den Alltag längst nicht nur der Städte in ökonomisch führenden Gesellschaften, sondern in unterschiedlichen Graden mittlerweile der großen Mehrheit der Weltbevölkerung und selbst an entlegenen Orten. Alles, was technisch möglich ist, wird auch realisiert – mit jeweils entsprechenden Folgen für Kommunikationsformen, Textsorten, Zeichenmodi und Sprachgebrauchsweisen.

Alte Formen und Gewohnheiten passen sich den neuen Bedingungen so weit an, wie das den Kommunikationsteilnehmern sozial angemessen und kommunikativ effizient erscheint. Beispielsweise werden auch weiterhin persönliche Gespräche geführt, Briefe geschrieben und Print-Zeitungen gelesen. Doch wie oft wird das persönliche Gespräch durch Telefonate unterbrochen, beziehen sich Briefe auf andere mediale Formate, passen sich Print-Zeitungen multimodalen Erscheinungsformen und Rezeptionsweisen an, wie sie avantgardistischer im öffentlichen Raum und im Internet erprobt wurden. Das muss nicht Verfall, sondern kann Bereicherung bedeuten. Doch ganz anders als noch vor drei oder gar vier Generationen sind öffentliches und privates Leben von technisierter Kommunikation durchzogen; und die bürgerlich errungene Grenze zwischen öffentlich und privat (Habermas 2013), folglich auch zwischen öffentlichem und privatem Sprachgebrauch, wankt.

öffentliche Räume

Am hör- und sichtbarsten wird das in öffentlichen Räumen. Die drei oder vier Dutzend Reisenden in fast jedem Bahnwaggon nutzen aktiv und rezeptiv diverse Kommunikationsformen in Papiermedien, auf Computern und Smartphones, unterhalten sich face to face, hören parallel Lautsprecherdurchsagen und lesen Schilder und Plakate diesseits und jenseits der Fensterscheibe. Jede Straße, jeder Platz, jedes Gebäude ist, ganz abgesehen von mündlichem Sprachgewimmel und anderen bedeutungstragenden Geräuschen, gefüllt mit ortsfesten, meist sprachverbundenen Zeichen jeglicher Art: von Orientierungstafeln, Verkehrs- und Namensschildern sowie Werbeplakaten über Kleidungen und andere Waren bis zu Graffiti, Aufklebern und persönlichen Kritzeleien (Auer 2010, Domke 2010).

Einführung in die Medienlinguistik

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