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4.4 Mediales Potential und kommunikative Einschränkung

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kommunikativer Rahmen

So nützlich jedes neue Medium für bestimmte Zwecke ist, so sehr schränkt es aber auch alte Gewohnheiten und Möglichkeiten ein, und das hat Folgen für die Verwendung von Sprache. Denn jedes Medium und jede Kommunikationsform bringt materielle Bedingungen mit sich, welche für die jeweilige Art der Kommunikation einen bestimmten Rahmen festlegen und ein begrenztes Spektrum an (z.B. modalen) Möglichkeiten eröffnen: In Büchern kann man nicht sprechen, im Radio nicht schreiben.

sprechen und schreiben

Oder nehmen wir überhaupt den Unterschied zwischen sprechen und schreiben. Die ursprüngliche, mündliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht in einer gemeinsamen Situation funktioniert ohne Medium, spontan, dialogisch, multimodal und ist in gemeinsames Handeln eingebunden. Hier weiß ich mein Gegenüber in derselben Situation und höre, sehe und fühle seine Reaktionen unmittelbar. Wechselseitig bekannte Bedingungen von Ort, Zeit, Raum, Anlass und Zweck des Austausches brauche ich also nicht zu versprachlichen. „Kommst Du?“ – „Ja.“ Oder: „Zwei Kilo Erdbeeren.“ – „Sehr gern.“ Das genügt. Nicht Formuliertes ergibt sich aus der Situation, Missverständnisse werden in der Regel sofort erkannt und können umgehend bearbeitet werden.

Herkömmliche schriftliche Kommunikation eignet sich für derartige, in gemeinsame Handlungen unmittelbar eingebettete Verständigung gar nicht. Wer Briefe oder gar Bücher schreibt, überbrückt Zeit und Raum, befindet sich in einer anderen Situation als die Empfängerin und muss eine Zeitlang oder gar immer ohne jede Rückmeldung auskommen. Deshalb kann sie oder er viel weniger Informationen als selbstverständlich voraussetzen, muss mehr zur Sprache bringen und deutlicher ausformulieren, um angestrebtes Verständnis möglichst gut zu sichern. Mehr oder weniger lange, grammatisch durchgearbeitete, schriftsprachlich korrekte Sätze und gut durchdacht aufgebaute Texte sind die Folge.

Sprachwissenschaft und Hochkultur

Solche schriftlich ausgearbeiteten Texte, meist aus kulturell hochstehenden Überlieferungen, dienten der Sprachwissenschaft (neben der unterstellten sprachlichen Kompetenz der Forscher selbst) lange Zeit als Hauptquelle ihrer Untersuchungen – nicht nur weil sie in ihrer fixierten Form methodisch leicht zugänglich und überprüfbar sind, sondern eben weil sie von ihren Verfassern mutmaßlich gut ausgearbeitet und für sprachlich korrekt befunden worden waren. Dadurch ergab sich eine Verzerrung der Wahrnehmung oder mindestens der Schwerpunkte: als böten lange monologische rein schriftsprachliche Texte das Maß aller sprachlichen Erzeugnisse. Erst durch ein stärkeres Bewusstsein für die medialen Bedingungen sprachlichen Austausches hat sich die sprachwissenschaftliche Perspektive in den letzten Jahrzehnten erheblich erweitert.

Denn es gibt ja nicht nur den Gegensatz zwischen spontaner, kaum redigierter, oft elliptischer mündlich-dialogischer Face-to-face-Interaktion in gemeinsam geteilter Situation einerseits und situationsentbundener, folglich reflektiert wohlgeformter und tendenziell monologischer schriftlicher Kommunikation andererseits. Sondern die meisten kommunikationstechnischen Entwicklungen nach Schrift und Buchdruck suchten Einschränkungen schriftlicher gegenüber mündlicher Kommunikation in der einen oder anderen Weise mit technischen Mitteln auszugleichen.

dritte kommunikationsgeschichtliche Revolution

Vor allem bringen im 20. Jahrhundert zuerst Telefon und audiovisuelle Massenmedien und dann Computer als semiotische Universalmaschinen die – nach Schrift und Buchdruck – dritte große Revolution in der Kommunikationsgeschichte mit sich. Nun werden auch Mündlichkeit und nicht-sprachliche Modi (Bild, Film, Ton) technisiert – zunächst mittels verschiedener Geräte, schließlich auf einer einzigen digitalen Plattform. Viele der Dimensionen ursprünglicher (Face-to-face-) Kommunikation, die mit Schrift nicht dargestellt werden konnten, können nun ebenfalls technisch realisiert und unabhängig von Raum und Zeit transportiert werden, aber sogar auch synchron und quasi-synchron.

multimodal und dialogisch

Technisierte Kommunikation wird also – je nach Kommunikationsform in unterschiedlichem Maße – erstens multimodaler und zweitens dialogischer. Damit schrumpfen allmählich die früher strikten Gegensätze zwischen Fern- und Nahkommunikation sowie zwischen interpersonaler und Massenkommunikation. Und das verringert den früher klar bewussten Abstand zwischen ‚realer‘ und ‚medialer‘ Welt. In hochzivilisierten Gesellschaften heute werden medienfreie Zeiten und Räume vielmehr als rückständig oder luxuriös empfunden.

gestörte Routinen

Doch jeder Medienwandel macht Kommunikationsteilnehmern „das sprachliche Routinehandeln problematisch“ (Frank-Job 2010: 27). Wer telefonieren und tippen kann, kann dadurch noch keine SMS verfassen. Alte Gewohnheiten müssen neuen Bedingungen angepasst, neue sprachliche Formen müssen gefunden werden; und so geschieht es auch immer wieder. Während beispielsweise im romanischen Mittelalter die distanzsprachliche Schriftlichkeit immer weiter ausgebaut wurde durch neue kommunikative Routinen, Textsorten und sprachliche Techniken, wird gegenwärtig – und das ist neu – die nähesprachliche Schriftlichkeit im WWW ausgebaut, indem etwa in Chats und Blogs (s.u. Kap. 10.4 und 10.5) Formen verwendet werden, die sonst nur aus dialogischer Mündlichkeit bekannt sind oder die sie mit schriftlichen Zeichen simulieren (Frank-Job 2010).

Einführung in die Medienlinguistik

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