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3.4 Gibt es eine Welt diesseits der Medien?

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materielle und semiotische Welt

Wir eignen uns die Welt an durch Arbeit und Interaktion (vgl. Habermas 1968). Dabei schaffen wir eine Welt aus Zeichen und verstehen die materielle Welt auch als Zeichen. Medien tragen dazu bei, dass sich reale und semiotische Welt in unserem Erleben immer mehr angleichen. Kann schon ein Buch, Hörbuch oder Lied in virtuelle Welten versetzen, so umso mehr Kinofilme, multimodale soziale Netzwerke, Computerspiele und digitale Datenbrillen (augmented reality). Umgekehrt gibt es kaum Wirklichkeit, die nicht von Zeichen durchzogen und selbst als Zeichen gelesen wird. Vor allem unsere visuelle Kultur, schreibt Rogoff (1998: 24), eröffnet eine ganze Welt der Intertextualität, in der Bilder, Töne und räumliche Ordnungen einander wechselseitig lesbar machen; und in jeder Begegnung, die wir mit Film, Fernsehen, Werbung, Kunstwerken, Gebäuden oder städtischen Umgebungen haben, entstehen ständig neue Schichten von Bedeutungen und subjektiven Antworten, die ihrerseits Zeichen verbreiten.

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich dazu zu verhalten. Entweder geht man unbesorgt in der Zeichenwelt auf, ohne weiter darüber nachzudenken. Oder man betrachtet die Spannung zwischen realer und semiotischer Welt kritisch und geht ihr auf den Grund. Das ist der anstrengende, aber auch kreative Weg der Aufklärung. Medienlinguistik geht ihn mit wissenschaftlichen Mitteln.

durch das Medium und auf das Medium schauen

Doch auch mediale Erzeugnisse können selbstreflexiv angelegt sein. Bolter/Grusin (1999: 20ff., 272f.) unterscheiden zwei gegensätzliche Repräsentationsstile. Transparente Unmittelbarkeit (transparent immediacy) ist ein Stil visueller Darstellung, der den Zuschauer das Medium vergessen machen soll, so dass er sich möglichst unmittelbar in der Gegenwart des dargestellten Objektes wähnt. In der anderen Strategie namens hypermediacy soll der Blick des Nutzers gerade umgekehrt auf das jeweilige Medium gelenkt werden. Die beiden Varianten – durch das Medium und auf das Medium schauen – sind in verschiedenen Zeiten und verschiedenen Medien auf unterschiedliche Weise wirksam. Im World Wide Web beispielsweise, so Bolter/Grusin, werde der Blick des Nutzers beim aktiven Klicken auf die vielfältigen Differenzen zwischen unterschiedlichen medialen und modalen Repräsentationen gelenkt. Und man kann hinzufügen, dass avantgardistische Werbung (auch in herkömmlichen Massenmedien) gerade mit dem Wechsel von Mittel- und Unmittelbarkeit spielt, um die Aufmerksamkeit des Lesers/Betrachters zu fesseln. Luginbühl (2008) untersucht Fernsehnachrichten darauf hin, unter welchen Umständen sie ihre eigene Entstehung thematisieren.

Zu Recht wird damit die alte Frage nach der Aufgabe von darstellender Kunst auf Medien übertragen: Soll der Erzähler, Dichter, Schauspieler oder Maler Wirklichkeit abbilden, idealisieren oder verfremden? Soll er seine Darstellungsmittel zeigen oder verbergen? Alexandre Dumas hielt die Skulpturen seines Freundes Jean-Baptiste Carpeaux für lebendiger als das Leben („plus vivant que la vie“; Beyer 1975: 24), während beispielsweise Gerhard Richter in seinen Bildern unterschiedlichste Darstellungstechniken irritierend zur Schau stellt: immediacy vs. hypermediacy. Im ersten Fall lassen wir uns gern vom Augenschein des Richtigen täuschen („decipimur specie recti“, Horaz), im zweiten können wir aktiv – durch Arbeit und Interaktion – mitwirken an der Konstruktion von Alternativen.

Transparenz

In diesem Sinne gehört es auch zu den Aufgaben der Medienlinguistik, Status und Funktionsweise medialer Kommunikation transparent zu machen. Das Internet beispielsweise mag als eigenständige virtuelle Realität erscheinen; tatsächlich aber ist es nicht mehr und nicht weniger als ein neuartiges Kommunikationsmittel.

Einführung in die Medienlinguistik

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