Читать книгу Da! - Ulrich Wessinger - Страница 10

Оглавление

Mamas Liebling

Mein Betreuer Li geht mit mir zur Mensa im neuen Campus. Ich komme mir etwas seltsam vor, weil ich so groß wirke neben dem kleinen schmächtigen Mann, der aussieht wie ein verstörter und von den Eltern etwas vernachlässigter Knabe. Und obwohl er so klein ist, reckt er sich nicht hoch und streckt sein Kreuz aufrecht empor sondern scheint sich noch zu ducken, sich vornüber gebeugt in sich zu verkriechen.

Er erzählt, dass ihn seine Eltern als kleines Kind nicht mal alleine unbeaufsichtigt mit anderen Kindern spielen ließen, weil sie Angst hatten, er könne in den nahegelegenen Fluss fallen und ertrinken. Auch eine Frucht der Einkind-Politik. Die Einzelkinder sind die Götter der Eltern, die alle ihre Hoffnung auf Aufstieg und ein besseres Leben in dieses eine Kind hineinlegen, das dann umhegt und umsorgt, auf Händen getragen wird und einen Schal tragen muss, wenn nur ein kühles Lüftchen weht.

Zwei Jahre war er in Deutschland, hat Betriebswirtschaft studiert. Aber, wie es vielen chinesischen Studenten geht, war er so von der neuen Freiheit überwältigt, dass er gar nichts mehr arbeitete, sondern zu Hause faul herumlungerte und vor dem Computer die Tage verbrachte, in Spiele, Mails, Chats und Filme vertieft, von Pornos ganz zu schweigen.

Er hat keinen Abschluss in Betriebswirtschaft gemacht, aber immerhin doch in den zwei Jahren in Deutschland ganz gut Deutsch gelernt, das er jetzt als Lehrer einsetzen kann. Weil er sich mit seiner Frau und seinem Kind, das nur ein paar Wochen jünger ist als unsere Anna, eine Wohnung und ein Auto gekauft hat, reicht das bescheidene Lehrergehalt nur wenn er viele Unterrichtsstunden ableistet, deshalb ist er immer sehr müde. Er hat über dreißig Wochenstunden, ich nur zwanzig. Seine Brillengläser sind so dick, dass ich mich wundere, ob er mich überhaupt noch sehen kann. Wir setzen uns in die Mensa für Lehrer und essen ein langweiliges Essen mit trockenem Reis und Zutaten in kleinen Schälchen. Er hat meist ein schiefes Grinsen auf dem Mund beim Sprechen, und quetscht die Worte so aus sich heraus, dass sie gepresst klingen und nur schwer verständlich sind.

Wir unterhalten uns über unsere Kinder, seine Tochter ist wenige Tage nach meiner geboren worden. Im Gegensatz zu mir hat er viel weniger Arbeit mit seiner Tochter, weil seine Mutter bei ihm eingezogen ist, um sich um die Kleine zu kümmern.

Ich erzähle ihm, dass ich jeden Tag in deutschen Online-Zeitungen herumlese, aber nicht mehr daran glaube, dass ich viel von der Wirklichkeit durch sie erfahre, weil die Presse so gesteuert sei, dass fast nur noch Propaganda in ihr verbreitet werde, jedenfalls in den wichtigen Fragen wie Finanzsystem, politische Ausrichtung Deutschlands, Europa. Das sei in China nicht besser, sagt Li, es sei eigentlich so wie in der Qin Dynastie. Das war die letzte in China, sie wurde von einer Revolution Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hinweg gefegt. Das jetzige System sei wie im Kaiserreich auch eine Beamtenrepublik. Alle Beamten seien bestechlich, es komme nur darauf an, genug zu bezahlen und die richtigen Leute zu bezahlen, dann könne man alles bekommen.

Ich bin misstrauisch…halte mich mit Kritik am chinesischen Regierungs-System zurück, wahrscheinlich ist er gehalten, seinem Chef über mich Bericht zu erstatten. Also erzähle ich ihm Dinge, die der vermutlich gerne hört, etwa, wie sehr ich mich darüber ärgere, dass die deutschen Medien immer Propaganda für ein militärisches Eingreifen des Westens in Syrien machen. Und dabei mit keinem Wort erwähnen, dass die Verbündeten des Westens in diesem Bürgerkrieg, radikale Islamisten aller Herren Länder, Christen terrorisieren und vertreiben. Und das obwohl die Christdemokraten in Deutschland in der Regierung sind und wie froh ich bin, dass wenigstens einer diesem Treiben Einhalt gebietet: Russland und der Verbündete Russlands: China.


Nachts schlafe ich unruhig, nicht nur weil Anna immer wieder aufwacht und weint oder sich nass gemacht hat, auch das Haus ist unruhig, sehr hellhörig, die Wände sind dünn, manchmal schreien sich Leute an, bis spät nachts übt jemand Klavierspielen, Fernseher laufen zu laut, Schritte hallen auf dem Gang, Türen knallen, die Wohnblöcke sind nah beeinander, der gegenüberliegende nur zwanzig bis dreissig Meter entfernt.

Sympathisch an diesen alten Wohnblöcken finde ich, dass sie nicht hoch sind, fünf Stockwerke. Die neuen Wohnbezirke haben alle Hochhäuser, 12 bis 20 Stockwerke hoch ist die Regel, manche sind noch höher. Für die reicheren Leute gibt es jetzt aber auch Siedlungen mit Einzelhäusern, sogar regelrechte Villen in italienischem oder englischen Stil gibt es im Angebot und zwar als Reihenhäuser, eine Villa neben der anderen, entweder genau gleich oder doch nur leicht variiert.

Da!

Подняться наверх