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Badeanzug

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Peinliches Kleidungsstück des kindlichen Erzählers, das den Spott von ►Charlus herausfordert, als Marcel auf seine Avancen nicht so reagiert, wie Charlus sich dies wünscht, sondern stattdessen die Liebe zu seiner Großmutter beschwört: »›Mein Herr‹, sagte er mit eisiger Miene und trat einen Schritt zurück, ›Sie sind noch jung, Sie sollten die Gelegenheit nutzen, zwei Dinge zu lernen: zum ersten sollten Sie davon Abstand nehmen, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die zu natürlich sind, als dass sie sich nicht von selbst verstünden; zum anderen, nicht hitzig auf Dinge, die man Ihnen sagt, zu antworten, bevor Sie deren Bedeutung erfasst haben. Wenn Sie eben gerade diese Vorsicht hätten walten lassen, hätten Sie sich erspart, den Eindruck zu erwecken, Sie redeten ungereimtes Zeug daher wie ein Gehörloser, und damit eine zweite Albernheit zu der ersten hinzuzufügen, nämlich den gestickten Ankern auf Ihrem Badeanzug.‹« Dieser Spott wirkt zunächst nur wie ein beliebiger Hieb unter die Gürtellinie, mit dem Charlus seinem Ärger darüber Luft macht, dass Marcel den »tieferen Sinn« seiner Scherze, nämlich deren erotischen Charakter, nicht begriffen hat. Auf den zweiten Blick jedoch greift der zurückgewiesene Charlus mit seiner Häme nicht nur Marcel an, sondern in einem verbitterten autoaggressiven Akt wendet sich seine Enttäuschung hier gegen ihn selbst. An vielen anderen Stellen des Romans erscheint gerade der Baron als ein Liebhaber diskreter Stickereien auf Taschentuchrändern, Socken, Kragen usw. Während er nach außen hin rigorose Männlichkeit vertritt, jeden hübschen Jüngling für eine verweichlichte »Kanaille« hält und einem Mann »nicht einmal das Tragen auch nur eines Ringes zugestehen« will, blitzt in den Stickereien, den Farbrändern, den Socken unter seiner elegant schlichten Kleidung eine geheime, von ihm selbst als unmännlich verdrängte Identität auf, im Verborgenen der Wäsche knospt seine ganz persönliche Mädchenblüte: »In diesem Augenblick bemerkte er, dass ein besticktes Taschentuch seinen farbigen Rand aus seiner Tasche hervorlugen ließ, und schob es rasch mit der erschreckten Miene einer schamhaften, aber keineswegs unschuldigen Frau zurück, die Reize verbirgt, die sie in übertriebener Bedenklichkeit für anstößig hält.«

Die Schmähung der kleinen gestickten Anker offenbart also eine wichtige Grundregel im scheinbar so unberechenbaren Verhalten des Barons: Jede Grausamkeit, jede Aggression seinerseits ist immer auch eine Aggression gegen ihn selbst, in der der konventionelle, zwanghaft angepasste Teil seiner Persönlichkeit den anderen, verborgenen straft und sich die geheimen Lüste verbietet. Gegen Ende des Romans wird die Selbstbestrafung von Charlus sehr viel krassere Formen annehmen als die Verdammung hübscher Ornamente – nur indem er sich in Ketten gelegt auspeitschen lässt, kann der stets Zurückgewiesene und nun auch gesellschaftlich Geächtete noch sexuelle Befriedigung finden. Diese Entwicklung ist für Marcel umso bestürzender, als gerade Charlus’ Beobachtungsgabe, seine Liebe zum Detail, sein Formensinn und sein unübertreffliches Gedächtnis für Stile und Moden ein Vorbild für künstlerische und insbesondere schriftstellerische Tätigkeit sein können. Charlus trägt in der Gesellschaft den Spitznamen »die Schneiderin«, und Proust wird in Die wiedergefundene Zeit die Arbeit an seinen Manuskripten, an deren Rändern er Teile anstückt, mit ►Françoises Näharbeiten vergleichen. Letztlich ist es also auch die Verdrängung seiner Lust an Stickerei und Ornament, die verhindern wird, dass der so intelligente, wendige und außergewöhnliche Baron vom Dilettanten zum Künstler werden kann.

Das Proust-ABC

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