Читать книгу Das Proust-ABC - Ulrike Sprenger - Страница 40
Cattleya
ОглавлениеGattung aus der Familie der Orchideen, prachtvolle Gewächse im tropischen Amerika, auf Bäumen und Felsen wachsend, mit steifen, konsistenten Blättern und prächtig gefärbten Blüten, deren sehr große, kapuzenförmige, an den Rändern wellig gekräuselte Lippe nach oben gerichtet ist. Die Cattleya-Arten blühen leicht und lassen sich selbst im ►Zimmer kultivieren, so Meyers Konversationslexikon von 1899.
Cattleya-Blüten ermöglichen Swann die erste Berührung der begehrten Odette: Als das Gespann der Kutsche scheut, in der sie beide sitzen, gerät Odettes Blumenschmuck durcheinander, und unter dem Vorwand, das Gesteck in ihrem Ausschnitt wieder zurechtzurücken, liebkost Swann ihren Hals, ihre Schultern und ihre Brüste. Für beide ist diese Form der indirekten Annäherung etwas Besonderes: für Swann, weil er auf diese Weise bis in die erotische Berührung hinein die begehrte Frau als Kunstwerk empfinden kann – die prächtigen, aber geruchlosen und künstlichen Blüten verleihen ihr den Charakter eines kostbaren Blumenarrangements –, und für Odette, weil sie es nicht gewohnt ist, dass Männer viele Umstände machen. So bleibt die erste Berührung deswegen reizvoll, weil sie den Umweg »durch die Blume« nimmt, noch keinen endgültigen Besitz bedeutet – weil die Blumen den individuellen Phantasien und Sehnsüchten der Liebenden eine Projektionsfläche bieten. Als die Liebe zwischen Swann und Odette erkaltet und Sex längst zur körperlichen Routine geworden ist, bewahren zwei Dinge noch die Erinnerung an eine einzigartige Leidenschaft: Die kleine Phrase aus der ►Musik Vinteuils und der Ausdruck »Cattleya machen«, den Odette und Swann seit der ersten Berührung für die körperliche Liebe verwenden. Weit mehr als bloß prüde Metapher für einen obszönen Vorgang, bezeichnet der Ausdruck jenen Augenblick, in dem die Liebe nicht mehr nur Phantasie, aber noch kein Besitz ist, jenen kurzen Augenblick, in dem das Begehren seinen ureigenen Gegenstand zu finden scheint: »Zitternd hatte er an jenem Abend gehofft […], dass es der Besitz dieser Frau sein würde, was aus den großen malvenfarbenen Blütenblättern hervorginge; und die Lust, die er bereits verspürte und die Odette, so dachte er, vielleicht nur duldete, weil sie sie noch nicht bemerkt hatte, erschien ihm gerade deswegen […] wie eine Lust, die es zuvor noch nicht gegeben hatte, die er zu erschaffen versuchte, eine Lust – deren besonderer Name, den er ihr gab, eine Spur davon bewahrte –, die ganz und gar einzigartig und neu war.«