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Botanik

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Proust besaß eine ganze botanische Bibliothek und kannte sich bestens auf diesem Gebiet aus. Es unterlaufen ihm keine Fehler, was Blütezeit, Befruchtung, Farben und Formen der im Roman beschriebenen Pflanzen angeht. Swann, der in Combray mit der Herzogin von Guermantes botanische Spaziergänge unternimmt, ist auch in dieser Hinsicht ein Abbild Prousts. Das Combray von Marcels Kindheit erscheint als ein Blütenmeer wildwachsender Pflanzen wie ►Weißdorn, Flieder, ►Apfelbäume und Seerosen – später in Paris begegnet er vor allem den zeitgenössisch beliebten Treibhausblumen, mit denen die Großbourgeoisie im Winter ihre Häuser schmückte: ►Chrysanthemen und Orchideen wie den ►Cattleyas. Dieser Einteilung entsprechen auch die thematischen Assoziationen, die sich mit den Pflanzen verbinden: Während Weißdorn, Flieder und Apfelblüten die eher unschuldige, schüchterne Liebe Marcels zu ►Gilberte begleiten und der Irisduft der kleinen Dachkammer seinen ►Masturbationen einen natürlichen Reiz verleiht, seine erotischen Phantasien in eine sommerliche Natur integriert, umgibt sich die Femme fatale Odette mit gezüchteten Chrysanthemen und Orchideen – ab Sodom und Gomorrha schließlich wird die zweigeschlechtliche, selbstbefruchtende Orchidee vollends zum Symbol sowohl der männlichen als auch der weiblichen ►Homosexualität. Eine Ausnahme bildet Albertine; da sie in der Phantasie Marcels immer vor der Kulisse des Meeres erscheint, vor dem er sie das erste Mal erblickt hat, stehen für ihre Schönheit – und für ihre geschlechtliche Unbestimmtheit – jene »Orchideen des Meeres« ein, die ►Quallen.

Für die Szene zwischen Jupien und Charlus zu Beginn von Sodom und Gomorrha studierte und beschrieb Proust genauestens die verschiedenen Formen der Fremd- und Selbstbestäubung bei Orchideen, vor allem zog er dazu L’intelligence des fleurs von Maurice Maeterlinck zu Rate. Die durchgängige, wissenschaftlich genaue botanische Metaphorik ermöglicht Proust hier mehrerlei: Erstens kann er ohne Zensurgefahr einen Sexualakt in ziemlich expliziten Worten schildern (weibliche Pflanzen scheiden Nektar aus, Blüten nehmen mit Freuden lange Griffel in sich auf …), zweitens entschärft er die voyeuristische Perspektive seines Erzählers, wenn dieser eine wissenschaftliche Pose in der Tradition ►Balzacs einnimmt, sich selbst als »menschlichen Pflanzenkundler« bezeichnet, und drittens enthebt ein solcher wissenschaftlich-neutraler Standpunkt den Erzähler (und damit auch Proust) der Notwendigkeit, moralische Bewertungen zu treffen. Der Blütenreichtum des Romans ist damit sehr viel mehr als ein zeittypischer literarischer Jugendstilschmuck – er trägt ein ganzes Netz von Leitmotiven und macht Proust tatsächlich zu einem »Botaniker der Seele«.

Das Proust-ABC

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