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Der Magier, Karte I der Heldenreise

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Wie oben, so unten.

Alle Völker besitzen in der Mythologie zwei Elternpaare. Die Himmlischen sowie die Irdischen. Sie verkörpern die Polarität. Urprinzipien wie männlich – weiblich; hell – dunkel; Gut – Böse; Yin - Yan.

Der Magier gilt als unser göttlicher Vater. Er besitzt die magischen Werkzeuge des Tarots, welche die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde symbolisieren, unsere Bausteine der materiellen Welt, und verkörpert den aktiven Teil in uns. Die Karte erscheint, um dem Leben eine Richtung zu geben, Ziele zu setzen, Einsichten und Ideen zu erlangen.

Unseren Weg starten wir mit den Werkzeugen, die uns der Magier zugeteilt hat. Auf ihrer Heldenreise fallen die einen durch die Maschen des Glücks, andere werden von Personen geleitet, die sie weiterentwickeln oder in ein psychisches Gefängnis sperren, aus dem sie nicht mehr herausfinden. Oft erreichen nur diejenigen ihr Ziel, die über Kraft und Willen verfügen.

***

Aram

Aram erhielt alle Werkzeuge des Magiers. Die Entbehrungen lehrten ihn Bescheidenheit, die Armut verlieh ihm einen eisernen Willen.

Mit zwölf Jahren verließ Aram seine bisherige Welt, um eine fremde zu betreten. Schweren Herzens ließ er eine weinende Mutter, wehklagende Tanten und erleichterte Onkel zurück, die ihn mit vielen Anweisungen in einen Zug steckten.

„Vergiss nicht, wo immer du auch hingehst, du bleibst für alle Zeiten mein Sohn. Versprich mir, dass du zurückkommst, sobald du deine Schule beendet hast“, schluchzte seine Mutter.

Alle drückten sie ihren Liebling, diesen Teufel, den sie insgeheim bewunderten, fest an die Brust.

Vom ersten Anblick an liebte er Kroatien. Obwohl noch ein Kind, war er bereits fähig, die außergewöhnliche Schönheit dieser Landschaft aufzunehmen.

An den Wochenenden wurde Dubrovnik sein Zuhause, denn seine Schule war nicht weit davon entfernt, und hier wohnte einer der zahlreichen Verwandten.

In den 60er Jahren startete in Europa eine neue Völkerwanderung. Nicht die Hunnen vertrieben die Völker, sondern der Hunger. Oft nur mit einem Gebet im Gepäck verließen sie ihre Heimat. Jeder Mensch besitzt das Recht auf einen Platz an der Sonne, und Arams Familie lebte auf der Schattenseite. Alles, was sie besaßen, waren viele Kinder und leere Mägen. Auch sie suchten eine Zukunftsperspektive und strebten nach ein bisschen Glück.

Zuerst verteilten sich die Albaner in Jugoslawien, bevor etliche weiterzogen. Mit ihnen verließen nicht nur die Guten ihr Land.

Tito verspürte den Wunsch, den Staat verbrecherfrei zu halten. Das war schwierig, denn Jugoslawien neigte dazu, die brutalsten Kriminellen hervorzubringen. Tito schloss mit der Unterwelt einen Pakt: „Ihr könnt nach Belieben agieren, und wir drücken beide Augen zu. Aber arbeitet gefälligst im Ausland.“

Gewalt war nicht erwünscht. Es sei denn, sie wurde vom Staat ausgeübt. Die Verbrecher durften jederzeit straffrei zurückkehren. Sie bauten prunkvolle Häuser an der Adria, wo sie sich von ihren anstrengenden Geschäften im nahen Ausland erholten. Doch vor allem brachten sie Devisen und spendeten an die richtigen Stellen.

In den Westen kamen Männer, die unter unsäglichem Heimweh litten und auf den Bahnhöfen herumstanden, um mit den abfahrenden Zügen zu träumen.

Von der Wirtschaft gewünscht, von der Bevölkerung verachtet, denn der Westen bewundert gerne diejenigen, die es zu etwas gebracht haben und nicht, wer noch mehr leisten muss, nur um zu überleben.

Auch seine Familie verteilte sich, wodurch er an den Wochenenden bei einem Onkel in Dubrovnik wohnen durfte. Mitglieder einer Großfamilie mit eisernem Gastgebergesetz finden überall Unterschlupf. Drei Monate ließen sie ihm Zeit, im zwanzigsten Jahrhundert anzukommen und Kroatisch zu lernen, bevor die Schule begann.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Armut mit stoischem Gleichmut ertragen. Er hatte sich nie nach einem anderen Leben gesehnt. Er kannte kein anderes. Doch jetzt beanspruchte er den Magier. Er verlangte mehr und erhielt es in Form von Hosen, die bis zu den Knöcheln reichten, und von Schuhen, seinen ersten Schuhen. Mit ihnen an den Füssen konnte er sogar schmerzfrei Fußball spielen.

Durch diesen unglaublichen Reichtum litt er nie unter Heimweh.

Stolz auf seine Füße blickend erkundete er die Gegend. Die setzen doch tatsächlich in der Stadt Stühle hin!

Er beschloss, seinem Onkel eine Freude zu bereiten und ihm eine Bank mitzubringen. Da sie sich nicht abmontieren ließ, auch nicht mit Kraft, legte er sich erstmal hin. Den Blick durch die Bäume gegen den Himmel gerichtet verspürte er ein Glücksgefühl, das er fest in sich einschloss.

Die Stadtmauer war sein neuer Spielplatz. Die ideale Kulisse für einen Jungen mit Kriegergenen, um seinen Fantasien freien Lauf zu lassen und die Festung vor imaginären Feinden zu verteidigen. Ununterbrochen rannte er den zwei Kilometer langen Wehrgang entlang. Überzeugt davon, an der Kadettenschule im Schwertkampf ausgebildet zu werden, begann er schon mal zu trainieren, und suchte sich dafür die taktisch vorteilhaften Stellen aus.

In seinen Gedanken wurde er zu Achilles, zu Jason, zu Hektor, ohne je von ihnen gehört zu haben, denn Mythen entspringen dem Unterbewusstsein. Er begab sich auf die Suche nach dem goldenen Fließ, und seine Argonauten folgten ihm bedingungslos.

Die Mädchen auch. Langsam erblühten seine Hormone und zu den Träumen gesellte sich eine wunderbare Frau.

Von sanftmütigem Wesen war sie, so blond wie er schwarz, herrlich duftend erwartete sie ihn, wenn er siegreich aus der Schlacht zurückkehrte. Niemand würde es wagen, ihr zu nahe zu treten, denn sein Schwert wäre bekannt. Für keinen König würde er so erbittert kämpfen wie für sie, seine Königin.

Genügend Zeit für Träume besaß er. Er musste nicht mehr auf dem Feld arbeiten, keinen blöden Büffeln nachrennen, nur weil er kurz anderweitig beschäftigt war. Alles versetzte ihn in Euphorie. Das herrliche Panorama über dem Meer, die aromatischen Düfte, die Männer in den Kaffees, die darauf warteten, dass ihre Frauen gekocht hatten.

Drei Monate gewährten sie ihm, in der fremden Sprache Fuß zu fassen. Arams Onkel fotografierte jeden Gegenstand und notierte auf der Rückseite des Bildes das betreffende Wort auf Kroatisch. Diesen Stapel trug er immer bei sich und büffelte auf Parkbänken, denn lernen war seine zweite Leidenschaft.

Bald besaß er eine Menge Spielkameraden aus jeder Glaubensrichtung. Niemand kam auf den Gedanken, ihnen den Umgang untereinander zu verbieten. Ethnien oder Religionen waren bedeutungslos. Sie wuchsen zusammen auf, spielten zusammen, feierten zusammen.

Nach drei Monaten steckte ihn sein Onkel mit denselben Anweisungen, die er schon in seiner Heimat über sich rieseln ließ, in den Zug. Die so ersehnte Internatsschule begann.

Wieder begleitete ihn niemand bis zum Zielort. Dazu bestand auch keine Notwendigkeit, denn wer in der Wildnis aufwuchs, verfügte über ein eingebautes GPS.

Die neue Stadt versprach aufregendes. Vor allem Bänke, die getestet werden mussten. Weil sie sich so herrlich anfühlten, übernachtete er darauf, und am nächsten Morgen erkundete er erst mal die Stadt, bis es Zeit für eine weitere Nacht auf einer Bank wurde.

Ohne jegliches Schuldgefühl trudelte er mit zwei Tagen Verspätung in der Schule ein. Nicht ganz freiwillig, die Polizei half ein wenig nach und bald wurde ihm klar, dass seine erste Lektion nicht wie erwartet am nächsten Morgen im Schulzimmer stattfand.

Trotz der Abstrafung wähnte er sich im Paradies. Lediglich ein wenig Bauchschmerzen plagten ihn zu Beginn, da er zu hastig und ohne Grenzen aß. Es dauerte seine Zeit, bis er begriff, dass er sich jeden Tag satt essen durfte.

An einem Tisch zu sitzen hatte er bereits beim Onkel gelernt, doch das Besteck hielt er wie Heugabeln in den Händen. Er verstand es besser zu kämpfen, als mit Messer und Gabel umzugehen.

Was die verwöhnten Kinder aus gutem Hause als eine düstere Anstalt ansahen, bewunderte er als üppige Pracht. Die Schüler weinten in der Nacht, er schlief selig, denn mit 80 Kindern in einem Raum zu liegen, kannte er bereits. Bitter klagten die Schüler über die harten Betten mit Kissen aus Stein.

„Willst du meins? Es fühlt sich an wie eine Wolke. Ich schlafe auch gerne auf dem Boden“, bot er ihnen an.

Die Tradition der Älteren, Neuankömmlinge zu piesacken, schaffte er gleich in der ersten Nacht ab.

Weil ihnen seine wilden Locken missfielen, drangen sie in der Nacht in den Schlafsaal der Jüngsten ein. Sie waren zu fünft. Vier sollten ihn festhalten, während ihm der Fünfte den Kopf rasierte. Es kam anders. Am nächsten Tag versuchten sie, ihre mehr oder minder starken Blessuren zu verheimlichen. Aram allerdings hatte kaum welche, und seine Locken wurden zu gegebener Zeit ordentlich vom Hausfriseur gestutzt.

Durch den neu erlangten Respekt bei seinen Kollegen besaß er ein hochgehandeltes Tauschmittel: Kampfbereitschaft gegen schulisches Wissen.

Jugendliche aus allen Landesteilen und kulturellen Schichten waren seine Kameraden. Von ihnen lernte er, Dialekte auseinanderzuhalten und nachzusprechen, eignete sich Redewendungen an, die weder in Wörterbüchern zu finden waren, noch sich übersetzen ließen. Er verinnerlichte sich Sprachmelodien, die auf keiner Universität gelehrt wurden, die jedoch unverzichtbar waren, wollte er als einer von ihnen gelten.

Dank seiner Beobachtungsgabe erkannte er, dass jede Herkunft eine eigene Körpersprache auswies. Aram begann, die Ausdrucksweise und Haltung anderen Kinder zu imitieren, wobei er sein schauspielerisches Talent entdeckte.

Wie ein Schwamm sog er alles Wissen auf. Sein Verstand arbeitete doppelt so schnell wie der der Mitschüler, und Informationen verschlang er wie andere Süßigkeiten. Aus jeder beantworteten Frage entstanden vier Neue. Er lernte nicht für die Schule, er lernte für sich. Auch wenn er sich von den anderen abzuheben begann, weil seine Leistungen bald über dem Durchschnitt lagen, so unterschied ihn in der körperlichen und charakterlichen Entwicklung nichts von den anderen Jungs. Auch er mühte sich mit den typischen Problemen seiner Altersgruppe ab: Pickel, Liebeskummer, Lehrer.

Und bald wurde er zum stolzen Träger des wichtigsten Pokals: Er siegte im Wettbewerb als Frauenheld.

Mit 18 Jahren schloss er die Schule ab, in der Kinder zu Soldaten gedrillt und ihnen eingeimpft wurde, dem Vaterland mit Hingabe bis in den Tod zu dienen.

Aram absolvierte anschließend die Rekrutenschule, wobei er für zwölf Monate verpflichtet wurde. Ein Jahr lang unterwiesen sie ihn im perfekten Putzen.

Im Osten lernen die Rekruten, Bügelfalten so zu bügeln, dass sie damit Zwiebeln schneiden können, die Schuhe so blank zu polieren, dass man sich darin spiegelt. Den Umgang mit Waffen beherrschen sie seit ihrer Kindheit. Ist Teil ihrer DNA.

Im Westen lernen die Rekruten, eine Waffe zu laden, ohne sich dabei selbst zu erschießen. Ordnung zu halten beherrschen sie seit ihrer Kindheit. Ist Teil ihrer DNA.

Im Militär wird beides benötigt.

Sie polierten, marschierten, salutierten und versuchten, irgendeinen Sinn darin zu finden. Aram langweilte sich. Exerzieren kannte er bereits seit seinem 12. Lebensjahr.

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Ausbildung war das Abzählen der Granaten in russischer Sprache. Sie zu handhaben bereitete weniger Schwierigkeiten, einfach wie Steine werfen. Eine Technik, die seit Jahrhunderten im Osten perfektioniert wurde.

Mit 19 Jahren begann Aram in der Militärakademie mit der Ausbildung zum Elitesoldaten und Offizier. Diese war anspruchsvoller als das Polieren von Schuhen.

Die Werkzeuge, die ihm der Magier mitgab, hatte er getestet und seinen Platz gewählt. Jetzt beanspruchte er einen Meister, der ihn ausbildete.

Der siebte Skarabäus

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