Читать книгу Der siebte Skarabäus - Ursula Arn - Страница 8

Monique

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Nie werde ich vergessen, wie ich mich fühlte, als ich das erste Mal eine Kartenlegerin aufsuchte.

„Tja. Es wird eine Scheidung geben. Schon bald“, sinnierte meine neue Bekannte über ihre Karten gebeugt. Ich schaute sie skeptisch an und fragte mich, in was ich da schon wieder reingeschlittelt war.

„Wann?“, erkundigte ich mich hämisch. Ich glaubte ihr nicht.

Monique wiegte ihren Kopf leicht hin und her. „Im Herbst. Dann wirst du deinen Mann aus dem Haus stoßen.“

Das war nicht die Antwort, die ich trotz Vorbehalten erhofft hatte, nur durfte ich nicht mehr länger den Gedanken an eine mögliche Scheidung verdrängen.

Aber doch nie durch mich veranlasst! Er ist mein Mann. Zusammen blicken wir auf eine Vergangenheit. Ohne ihn war ich ein Niemand. Vor allem finanziell. Alle Zukunftspläne wären nur noch zu Makulatur mutiert.

„Eine andere Frau spielt mit, aber das endet böse. Die beiden zerfleischen sich“, hörte ich.

Plötzlich empfand ich sie doch als überaus kompetent.

Monique starrte auf die Karten. „Du hast zwei tolle Söhne. Sie versuchen, dir das Leben zu erleichtern. Sie respektieren ihren Vater, dulden aber nicht, dass du leidest.“

Jetzt durchströmte mich eine Wärme, wie ich sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Eine alles versengende Hitze, ja, die kannte ich noch, denn im letzten Jahr wurde ich mehrfach barfuß durch die Hölle und zurückgejagt.

Diese Qualen hatten ihren Preis. In der Vergangenheit wurde ich im Schlaf durch Dämonen geplagt.

Nach einer solchen Nacht blieb mir nach dem Aufstehen nur noch die Zeit, mich wieder hinzulegen. Fassungslos über den Schmerz versuchte ich zu hecheln, wie ich es bei der Geburtsvorbereitung gelernt hatte, und dann doch nicht fähig war, diese Technik anzuwenden.

Außerstande, die Bettdecke hochzuziehen, fror ich erbärmlich und gleichzeitig rann mir der Schweiß über die Stirn. Neben mir wartete unerreichbar das Telefon, dessen Einbau ich genau für solche Notfälle durchgesetzt hatte.

„Was willst du? Einen zweiten Anschluss? Die Prinzessin wünscht einen zweiten Apparat, damit sie noch mehr schwatzen kann. Hast du eine Ahnung, wieviel der kostet?“, spuckte mein Mann Hugo verächtlich aus.

Wie stellte er sich vor, dass ich gleichzeitig mit zwei Apparaten auf zwei verschiedenen Stockwerken telefonierte?

Im Moment wähnte ich mich in einer Szene aus einem Hitchcock-Film, in dem die attraktive Blondine zehn Zentimeter vom Hörer entfernt elendiglich zu Grunde geht, und dabei bis zu ihrem Ende perfekt frisiert und makellos geschminkt bleibt. Um die Tragik der Situation zu betonen, liegt ein roter Absatzschuh neben ihrem linken Fuß. Wir alle verbringen doch unseren Feierabend in High Heels.

Eines stand fest, ich brauchte Hilfe. Millimeter für Millimeter dehnte ich meinen Arm näher zum Hörer, bis ich ihn packen konnte.

Endlich hörte ich im Untergeschoss das furchterregende Knurren eines sechs Kilo schweren Wachhundes, der über das Öffnen seiner Haustüre nicht erfreut war, und bald trat mein Arzt ein. Unerschrocken hatte er Attila in den Garten verbannt.

Gott segne meine Leichtsinnigkeit, die Haustüre nicht abzuschließen, denn wer sich einbunkert, erhält nur erschwert Hilfe.

„Ihr Körper signalisiert Ihnen: Bis hierher und keinen Schritt weiter. Unternehmen Sie etwas“, mahnte er mich.

Was redet der da! Mich hat bloß die Hexe getroffen. Doch tief im Innern fand ich seinen Gedanken nicht abwegig.

„Und was soll ich machen? Sobald ich weiß, wie sich mein Leben entwickelt, komme ich schon wieder ins Lot.“

„Ich bin für Ihre Schmerzen zuständig, nicht für Ihre Ehe. Wie die sich entwickelt, kann ich nicht prophezeien. Ich bin ja kein Hellseher.“

„Und wo find ich den?“, fragte ich mit dem Rest an Sarkasmus, den ich in meiner Lage noch aufbringen konnte.

„Weiß nicht. Aber manchmal inserieren sie in der Rubrik ‚Gemischtes‘ in der Zeitung“, antwortete er. Internett war noch kein Thema.

Und sowas nennt sich Arzt!

Nachmittags sorgte eine Nachbarin dafür, dass Atilla zu seinen Rechten kam. Kurz schaute sie bei mir vorbei und fand mich selig lächelnd im Bett. Wie wunderschön das Leben doch war! Die Atemluft war kühl und samtig, mein Körper schwebte leicht über der Matratze. Das herrliche Licht, das Schattenspiele an die Wand warf, die zwitschernden Vögel im Garten, mein eigenes Gekicher, alles entzückte mich.

Vielleicht lässt mich dieser seltsame Doktor noch mehr von dem Zeugs nehmen, das er mir gegeben hat, hoffte ich.

Zuerst kichernd, dann prustend, und zum Schluss lauthals grölend erzählte ich ihr vom Rezept meines Arztes, mir die Zukunft prophezeien zu lassen.

„Sag mal, was hat der dir denn gespritzt?“ Ebenfalls Ärztin war sie einem Berufsbild verpflichtet, dessen Vertreter davon überzeugt sind, jeder Kollege sei bloß ein Depp mit hohem IQ.

„Weiß nicht. Kann ja einen Hellseher fragen.“ Diesen Satz fand ich besonders gelungen und schaute sie lobheischend an.

Doch die Frau Doktor antwortete: „Schau mal, Mara. Nach dem Krieg kreuzte in meiner Heimat die australische Marine mit Hellsehern über das Meer, um Minen zu orten. Es gibt Dinge, die kann der gesunde Menschenverstand nicht nachvollziehen. Da ist noch mehr, als wir beschreiben können. Vielleicht ist es hilfreich, vielleicht auch nur amüsant. Geh einfach mal dahin.“

Mein gesunder Menschenverstand meldete mir: Heute bist du von akademischen Idioten umgeben.

Allerdings sagte mir derselbe Verstand auch, dass die Welt eine Scheibe sein muss, da ich sonst in Südafrika mit den Füssen nach oben auf dem Boden stünde.

Ein Hellseher? Bis zu diesem Tag waren für mich Kartenlegerinnen suspekte Zigeunerinnen, die auf Jahrmärkten ihre Kunden um ihr Geld prellen. Die ziehen dich in ein dunkel-violettes Zelt, das einzig durch tropfende Kerzen in Kandelabern beleuchtet wird, sitzen auf bordeauxroten Samtkissen und berieseln dich mit besorgter Miene: „Ich seeehe …, ich seeehe einen wunderbaren Mann. Pscht! Ich höre eine Glocke schlagen. Sie schlägt ein-, zwei-, dreimal. Ja. Genau. Um drei Uhr begegnet ihr euch. Oje, wird schwierig. Eure Verbindung ist karmisch.“

Selber schuld, wer dahin geht.

Nur war ich so verzweifelt, dass selbst der Gedanke, von halbseidenen Trickbetrügern über den Tisch gezogen zu werden, mich nicht davon abhalten konnte, am nächsten Morgen die Inserate durchzusehen.

Ich litt unter der Folge meiner ersten Drogenerfahrung mit anschließendem Entzug. Dass ich auf den Anrufbeantworter sprechen musste, fand ich unerhört, und übel gelaunt ließ ich meine Pläne wieder fallen.

Doch sie antwortete tatsächlich.

Mit schlechtem Gewissen vereinbarte ich einen Termin bei einer Monique und mein Herzschlag verdoppelte sich, als ich vernahm, wie viel er mich kosten wird. Wenn das mein Mann erfährt! Er quetscht doch jeden Rappen aus, bis er schreit.

Schockiert über mein baldiges Sakrileg wartete ich auf diesen Tag. Endlich hatte der Schrecken ein Ende, denn bestimmt würde sie mir liebevoll den Arm tätscheln und flüstern: „Mach dir keine Sorgen. Er kommt bald zurück.“

Wie die meisten Kunden erwartete ich eine positive Antwort. Wer bezahlt schon gerne für schlechte Ergebnisse?

In meinen Gedanken sah ich eine schwarzhaarige Frau in wallendem Rock und riesigen Creolen. Das brachte mich zum Kichern, als ich endlich an ihrer Haustür klingelte. Die Stärke meines Kicherns galt schon immer als Stressbarometer, und leider misst er auch in unangebrachten Situationen. Eine Angewohnheit, der ich nicht entrinnen kann.

Eine Frau, die meinen Vorstellungen einer Hellseherin nicht unähnlicher sein konnte, öffnete in schwarzen Leggins und oranger Bluse die Tür. „Komm herein, Mara.“

Nun doch etwas enttäuscht registrierte ich, dass im Haus der erwartete Hauch von Esoterik fehlte. Kein Geruch nach Weihrauch hing in der Luft, kein Zimmerbrunnen plätscherte in der Ecke, keine Nerv tötenden Klänge füllten die Stille.

Unsicher setzte ich mich im Wohnzimmer an den Esstisch und Monique, blond, mischte energisch ihre zerflederten Karten. Fest entschlossen, kein Wort preiszugeben, um ihr die Antworten nicht in den Mund zu legen, saß ich etwas zu gerade auf der Stuhlkante und wartete.

Wie es sich herausstellte, brauchte ich nicht erst zu soufflieren, denn Monique wusste bereits alles. Ungläubig starrte ich sie an und fragte mich, wie es ihr möglich war, nach wenigen Minuten des Zusammenseins derart hinter meine Fassade zu blicken.

„Deine Schwiegereltern lassen dich fallen. Sie fordern ihre Geschenke zurück, selbst wenn es sich nur um einen Aschenbecher handelt.“

Ich schwieg, aber insgeheim stimmte ich ihr zu.

„Du wirst das Haus verlassen und dir eine neue Bleibe suchen.“

Ich schwieg weiter, obwohl es mir schwerfiel, denn das war nun wirklich das Letzte, das ich tun würde.

„Und hier, hier vor dir“, energisch klopfte sie mit dem Zeigefinger auf eine Karte, „steht schon dein nächster Partner. Er ist mindestens zehn Jahre jünger als du und ihr kennt euch bereits. Er wartet nur noch, bis du frei bist. So ein dunkelhaariger, rattenscharfer Typ.“

Jetzt vergaß ich definitiv zu schweigen. Genau genommen wurde ich laut. „Nie im Leben! Ein Jüngerer! Ich bitte dich! Ich will mich doch nicht für meine Falten genieren. Das Alter ist etwas Natürliches.“

„Eben. Darum brauchst du dich auch nicht zu schämen.“

„Nein! Niemals.“

„Da kommst du aber nicht drum herum. Euch verbindet ein rotes Band und so, wie ich diesen Mann sehe, wird er es eines Tages aufwickeln.“

Der Gedanke, meine Seele vor einem neuen Partner zu entblößen, versetzte mich in Panik. Ein anderer sollte mich berühren, dazu noch einer, der - wie Monique es ausdrückte - rattenscharf sein soll! Meine Ehe steckte lediglich in einer Krise. Nicht angenehm, kam aber in den besten Familien vor, nicht wahr? Ich wollte doch nur von ihr wissen, wie lange ich noch zu leiden hatte.

„Ich kenne keinen schwarzhaarigen, rattenscharfen Mann“, rief ich entschieden. Jetzt schwebte ich nicht mehr eingeschüchtert auf der Stuhlkante.

Monique beherrschte ihr Metier. Gerade erst hatte ich beschlossen, nichts zu sagen und jetzt öffnete ich die Schleusen.

„Wenn es hier steht, ist es so. Es ist nicht euer erstes gemeinsames Leben, und er sucht dich immer wieder, bis eure Aufgabe erledigt ist. Dem kannst du nicht entgehen. Ihm schon gar nicht. Dieser Mann weiß, was er will, und wohin er will.“

Zu Monique getrieben hatte mich die Frage, wann mein Ehemann endlich einsehen würde, dass er sein wahres Glück längst gefunden hatte. Und jetzt? Jetzt beunruhigte mich dieser Jüngling.

„Du hast noch einen langen Weg vor dir. Sobald du alle Hindernisse weggeräumt hast, wirst du zum ersten Mal frei leben.“

Verwirrt und durch Schuldgefühle geplagt, weil ich ihr glauben wollte, rannte ich die Treppe hinunter.

Sie hat gesagt, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. Und das kann nur bedeuten: Hugo findet den Weg zurück. Zurück zu mir.

Fasziniert von den Karten schlich ich tags darauf in das Esoterikgeschäft, an dem ich bisher mit abschätzigem Blick vorbeigeschritten war, schnappte mir ein Spiel und eilte in der Hoffnung, dass mich niemand erkannt hatte, wieder davon.

Zu Hause quälte ich mich durch die Plastikhülle und breitete die befreiten Karten auf dem Bett aus, nur um sie dann wie ein lästiges Insekt von der Decke zu wischen.

Das hier war ein anderes Kartendeck, als Monique benutzt hatte, und mir trotzdem nicht unbekannt. Aber ich verstand nicht, woher ich es kannte, und weshalb die Karten mich so erschreckten.

Qualvolle Monate vergingen, in denen mir nur noch die Hoffnung Kraft gab.

Hoffnung ist eine mächtige Droge. Trotzdem schrumpfte mit der Zeit mein Vorrat an Demut und ich hatte genug von Hugos haarsträubenden Lügen, mit denen er mir bewies, für wie beschränkt er mich hielt.

Ich setzte ihn vor die Tür. Erst danach dachte ich wieder an Monique. Es war Herbst!

Nach längerer Suche befreite ich die Tarot Karten aus ihrer Verbannung. Unsicher legte ich sie, wie ich es bei Monique beobachtet hatte, und las darin wie in einem offenen Buch. Schockiert darüber suchte ich die Telefonnummer von Monique heraus. Ich hatte viele Fragen.

Ist der Schüler reif, erscheint der Meister.

Wir machten einen Termin aus und in der Folge brachte sie mir ihr Wissen bei.

Mein Umfeld reagierte erschrocken über mein neues Interesse, sah sich in der Meinung über mich bestätigt und versuchte, mich wieder auf den rechten Pfad zu lenken.

Unbeeindruckt davon las ich von der ältesten Geschichte, die in allen Sprachen und Kulturen wieder und wieder erzählt wird.

Von der Heldenreise, die in Märchen und Mythen eingewoben ist, und sich niemand ausgedacht hat.

Vielmehr entspringt sie dem Unterbewusstsein.

Der siebte Skarabäus

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