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Die Hohepriesterin, Karte II der Reise

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Die Symbolik führt uns zurück in eine Zeit, in der sich die Menschen dem Ursprung nahe fühlten. Damals herrschte SIE, die große Göttin, Mutter allen Lebens, Herrin der Tiere, des Korns und der Fruchtbarkeit.

Das Männliche gilt für das Trennende, das Weibliche für das Verbindende. Weibliches Denken ist mit Gefühlen verbunden, männliches auf Eindeutigkeiten ausgerichtet.

Es ist die Karte des Unbewussten, der Heiler und Seher. Die Karte der nicht erklärbaren Kräfte, der Weisheit, der Intuition. Die hohe Priesterin ist empfänglich und meditativ. Sie ermahnt uns, aus der Tiefe der Seele zu schöpfen. Aus der Stille vermögen wir die Probleme, mit denen wir kämpfen, in einem anderen Licht zu sehen. Sie erschließt verborgene Talente und Gaben.

***

Mara

Die Oberstufe bescherte uns eine Lehrerin, die wir als unausstehlich altmodisch empfanden. Für sie waren Frauen in Hosen der Beginn des Zerfalls von Anstand, und entschlossen kämpfte sie gegen die Invasion der Sittenlosigkeit. In Jimmy Hendrix sah sie den Anti-Christen, der den Untergang des christlichen Abendlandes einläutete. Die Jugendzeitschrift „Bravo“ galt als ein Werk des Teufels.

Sittsam rodelten wir im Winter im Rock den Hang hinunter, und auf der Schulreise kletterten wir im Faltenjupe über einen Gletscher, wobei uns die Jungs den Vortritt ließen.

Ich beschloss, sie nicht zu mögen, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Zum Glück bestand die Schule nicht nur aus dem „Fräulein“, wie wir sie respektvoll anreden mussten. Da ich dort auch auf Freunde traf, fand ich sie ganz erträglich. Zudem bot sie mir die Gelegenheit, mir mein Soll an sozialen Begegnungen zu erarbeiten, weil mir das Leben in den Büchern dazu keine Zeit ließ. Während den Schulstunden pflegte ich mein Netzwerk, indem ich Zettelchen herumreichte.

Die Schulfächer Geschichte und Deutsch entschädigten mich für weitere Unannehmlichkeiten. Bei den übrigen schaltete ich ab, bis das Gesicht der Lehrerin verschwand und nur noch Geräusche zu hören waren. War die Stunde um, hatte ich mich mit Helden umgeben und mich im Labyrinth meiner Gedanken verloren.

Fremdsprachen hasste ich und fand wirklich keine Zeit, Vokabeln zu büffeln. Meine Fantasiewelt und Bücher beanspruchten mich bereits rahmenfüllend. Ich hatte begonnen, richtige Romane zu lesen. Die von der Art, die möglichst niemand bei mir finden sollte.

Die erzwungenen Samstagnachmittage bei den Pfadfindern empfand ich als verlorene Zeit, und auch andere organisierte Gruppentätigkeiten waren für mich höchst lästig.

Tagträume gehörten weiterhin zum Alltag, aber nicht mehr ausschließlich. Ich vollzog eine Abspaltung. Danach zwei Existenzen zu führen, war zeitaufwendig.

Schreiben liebte ich. Fräuleins Aufforderung, unsere Berufswünsche auszudrücken, befolgte ich begeistert.

Tags darauf retournierte sie die Aufsätze. Damit ließ sie uns nie lange im Regen stehen. Wie hätte sie auch sonst ihren Abend füllen sollen?

Mit dem Stapel Hefte in der Hand schritt sie den Gang zwischen den Bänken entlang, bekleidet mit dezentem Twin-Set aus Kaschmir, das von einer Perlenkette veredelt wurde und kariertem Faltenrock. Die Füße in beigen Gesundheitsschuhen, das Haupt gekrönt mit Lila getönter, exakt modulierter Frisur, die mich an einen Entenpopo erinnerte.

Damit wir auch informiert blieben, wer hervorragend abgeschnitten und wer versagt hatte, verteilte sie die Prüfungen dem Rang nach, der sich nie veränderte.

„Sehr gut. Lukas. Du möchtest in die Fußstapfen deines Vaters treten und Bundesrichter werden. Lobenswert.“

Lukas senkte peinlich berührt den Kopf.

„Wie immer präzise, Esther. Du wirst bestimmt eine ausgezeichnete Lehrerin.“

Der harte Kern unserer Clique bezweifelte das keinesfalls. Sie war jetzt schon gekleidet wie das Fräulein.

Und ganz zum Schluss knallte sie mir das Heft hin mit den Worten: „Du willst Autorin werden, hä? Dazu benötigst du aber mehr als nur die zwei halben Sätze, die du zustande bringst.“

Sie verstand sich nicht gut mit meinem Vater, was alles erklärte.

Leider glaubte ich ihren Worten und beschloss, mich einem Beruf zuzuwenden, der über bereits geschriebene Bücher verfügte.

Die mögliche Berufswahl interessierte uns ohnehin nicht ernsthaft. Sie war bloß eine natürliche Abfolge der Entwicklung: Schule, Beruf, Heirat, Kinder. Wir hatten sogar schon Namen für den Nachwuchs, sammelten Fotos von Brautkleidern für unsere Traumhochzeit, und erforschten in ersten Versuchen das andere Geschlecht. Dabei bewerteten wir die Jungs auf einer Skala von eins bis zehn.

Auf der Skala der Gegenpartei hatte ich einen gehobenen Stellenwert, aber mich fesselte nur der zukünftige Bundesrichter. Die anderen Mädchen auch. Wir prügelten uns beinahe darum, wer sich neben ihm aufhalten durfte. Lukas verteilte seine Aufmerksamkeit wechselnd, so dass ich früh in die Leiden der Liebe eingeführt wurde.

Im dritten Jahr stand ein Besuch bei der Berufsberatung auf dem Schulplan, in Begleitung der Eltern. „Eltern“ hieß in meinem Fall „Vater“. Mutter fühlte sich nie angesprochen.

Nach Tests, bei denen meine Stressresistenz geprüft wurde, da mir mein Vater über die Schulter guckte, bemerkte ein besorgter Psychologe: „Das Mädchen ist nicht geerdet. Sie zeichnet den Baum ohne Wurzeln. Und was die fehlenden Blätter bedeuten, kann ich nicht entschlüsseln.“ Besorgt schüttelte er den Kopf.

Da ich im Erarbeiten solcher Tests noch jungfräulich war, nahm ich an, meine künstlerischen Fähigkeiten würden getestet. Detailgetreu kopierte ich die Eiche vor dem Fenster und zufällig war es Winter, womit Blätter überflüssig wurden. Dieser Fehler unterlief mir kein zweites Mal. Von diesem Tag an konnten sich meine Bäume auf überlange Wurzeln verlassen.

„Was sind deine Wünsche, was hast du für Pläne?“, fragte der Beauftragte des BIZ.

„Ich möchte Bibliothekarin werden“, teilte ich bestimmt mit. Autorin fiel ja weg.

Entsetzt rief er: „Willst du wirklich ein vertrockneter Blaustrumpf werden, so eine alte Jungfer?“

Anscheinend hatte er traumatisierende Erfahrungen mit Bibliothekarinnen hinter sich. Als Jungfer wollte ich mit Bestimmtheit nicht enden, und auch meinem Vater gelang es nicht mehr, diese Aussage gerade zu biegen.

In der Stammbuchhandlung meines Vaters absolvierte ich daraufhin eine Schnupperlehre. Da ich mich sittenwidrig benahm, bekam ich die Lehrstelle nicht. Mein Vergehen war das Aufeinandertreffen mit meinem Nachbarjungen, der mich abends vor dem Geschäft abpasste. Er langweilte sich ohne mich. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das bereits Umgang mit Jungs pflegte, war für den Ruf der Buchhandlung nicht tragbar.

Es war wirklich an der Zeit, die 68-iger Revolution vom Stapel zu lassen.

Vater suchte sich eine neue Stammbuchhandlung, und ich wurde auf Anraten von Fräulein, wenn auch widerwillig, für die Aufnahmeprüfung des Gymnasiums angemeldet.

„Sorgen Sie dafür, dass Mara endlich lernt“, war ihr Rat an Vater gewesen.

Ich? Lernen? Ja wann denn? Wie denn?

Über Jahre hatte ich es zustande gebracht, nur selten meine Hausaufgaben zu erledigen. Eigentlich bemerkenswert.

Ich bestand nicht und durfte das Fräulein noch ein weiteres Jahr ärgern.

„Mara, hör auf, mit dem Stuhl zu wippen. Konzentrier dich. Hast du nichts aus deinem Scheitern bei der Prüfung gelernt?“

Diesen Satz hörte ich vom Fräulein verlässlich bis zum letzten Schultag.

Weiterhin überraschte sie uns mit unangemeldeten Tests oder mit Arbeiten, für die wir keine Gelegenheit bekamen, uns vorzubereiten.

„Nehmt eure Deutschhefte hervor. Wir beschreiben den Traum der letzten Nacht“, eröffnete das Fräulein die Deutschstunde.

„Wieso wir?“, fragte ich meine Banknachbarin. „Schreibt die Kuh auch? Träumen Kühe überhaupt?“

„Mara! Willst du, dass ich deinem Vater melde, dass du den Unterricht störst?“

Wollte ich nicht. Meine Generation fürchtete noch die elterliche Strafpredigt.

Während Fräulein die Gänge auf und abschritt, damit alles seine Richtigkeit behielt, begannen wir, unseren Traum zu schildern.

Meine Kollegen verdrehten die Augen - mehr Tumult wurde nicht zugelassen – nur ich schrieb begeistert. In der vergangenen Nacht hatte ich von einem Jadeskarabäus geträumt, der sich im Besitz meiner Großmutter befand.

Er erschien mir oft im Traum und es fühlte sich nie wie eine Illusion an. Es fühlte sich an wie die Wirklichkeit - die Geschichte vom ersten Skarabäus.

Mein Name ist Majda und ich lebe zur Zeit des großen Pharao Horemheb I. Vor mir sehe ich den Tempel der hunderttorigen Stadt Theben.

Die Größe des Tempels und sein unermesslicher Reichtum beeindrucken mich zutiefst. Um mich herum drängen sich unzählige Personen aus allen Gesellschaftsschichten, Hautfarben und verschiedenen Sprachen nach vorne, die für ihre Geschäfte beten und Gott Amun danken, indem sie ihm Geschenke niederlegen. Diese Pracht, die wertvollen Schätze, der Duft der Öle und Weihrauch überwältigen mich. Priester mit Goldfäden durchwirkten Gewändern und Edelsteinen besetzten Kragen sorgen für Ordnung. Die Macht der Priester ist gewaltig. Sie deuten Träume, prophezeien Voraussagungen über die Ernte und warnen vor Katastrophen.

Auch ich bin hier, weil ich zu den Göttern beten möchte, damit sie mir meinen Gatten heil zurückbringen. Heute Morgen legte ich mir den besten Kragen um und salbte mich mit teuren Ölen, um die Götter nicht zu erzürnen.

Nachdem der alte Pharao gestorben ist - die Götter mögen ihm gnädig sein und ihm den Zutritt ins Land des ewigen Lebens gewähren - haben Unruhen das schwarze Land erreicht. Die angrenzenden Völker greifen uns an. So geschah es immer nach dem Tod eines Herrschers und so wird es immer sein, denn der Mensch ändert sich nie, nur seine Kleidung, die Art zu leben oder seine Sprache wechselt.

Mein Mann wird sie zurückdrängen. Er gilt als der fähigste Heerführer Ägyptens. Furchtlos wie ein Löwe ist er, bissig wie eine Schlange und misstrauisch wie ein Schakal. Nur zu mir ist er sanft wie eine Taube.

Bevor er mich verließ, übergab er mir ein Geschenk. Ein Skarabäus aus wertvollem Jadestein, den ich jeden Tag ehre, mit teuren Ölen salbe und in meinem Grab unter den Leinenbinden auf dem Herzen tragen werde.

Meine Eltern sind nicht reich, aber auch nicht arm, wir besitzen Nahrung, Kleidung und Ehrfurcht vor den Göttern. Mein Vater arbeitet als Schreiber von Totenbüchern. Ein anständiges Totenbuch kostet sechs Monatslöhne, aber seine Kunden sind nicht in der Lage, viel zu bezahlen, denn sie haben nicht genug zum Leben. Mein Vater hat Mitleid mit ihnen. Wer kein Totenbuch im Grab hinterlegt, hat keine Anleitung, wie sein Leben im Jenseits verlaufen soll. Er braucht diese Zaubersprüche und Beschwörungsformeln gegen die bösen Geister auf der Reise ins ewige Leben.

Durch meine Heirat hat sich unser Dasein verbessert. Jetzt wohnen wir in einem Haus aus Stein mit etlichen Zimmern und nicht mehr in einer Lehmhütte. Meine Mutter bezahlt eine Wäscherin und Wasserträger, die ihr das beste Wasser aus dem Nil in die Küche tragen.

Vor dieser Zeit sind wir jeden Morgen in der kühlen Stunde zum Nil gelaufen. An einer geschützten Stelle, an der weder Krokodile noch die Blicke der Männer uns störten, badeten wir. An einem Tag ließ meine Mutter mich alleine, denn sie stand unter dem Bann des roten Mondes.

Als ich das Wasser verließ, sah ich ihn. Schön wie ein Gott wartete ein junger Mann auf mich, umgeben vom strahlenden Licht der in seinem Rücken aufgehenden Sonne. Er trug einen Speer in der Hand, was ihn als Soldaten des Pharao auswies. Ich fürchtete mich nicht, sondern fragte ihn nach seiner Herkunft, denn er sah anders aus als unsere jungen Männer. Seine Gestalt war kraftvoll wie die eines Löwen und seine Blicke blitzten. Neidisch dachte ich an die Frauen, denen er die Einsamkeit vertrieb. In gebrochenem Ägyptisch, das von fremden Worten durchsetzt war, sagte er: „Ich komme aus Syrien. Mein Name ist Ariid der Kampfkommandant.“

Du bist kein Kommandant, du trägst einen Speer, keine Peitsche, schon gar nicht eine goldene“, antwortete ich verärgert.

Du verstehst nicht. Ariid der Kampfkommandant. So lautet mein Name. Ich bin hier, um mich in die Dienste des Pharaos zu begeben. Ein Traum hat es mir befohlen. Darum bin ich in das Haus des Lebens eingetreten, um das Handwerk der Offiziere zu erlernen.“

Misstrauisch musterte ich ihn. „Was ist mit deinen Füßen geschehen?“

Sie steckten sie in Sandalen, die ich nicht gewohnt bin. Sie sind voller schmerzender Blasen.“

Komm mit mir, ich verstehe mich auf die Kunst des Heilens.“

Es stimmt, ich besitze das Wissen, das mich unter Berücksichtigung des Standes vom Mond und den Sternen Kräuter für die Zubereitung von heilenden Extrakten pflücken lässt. Ich kenne auch die richtigen Zaubersprüche, wenn die Tinkturen nicht helfen.

Doch in Wahrheit wollte ich den jungen Gott nicht mehr ziehen lassen. Dieser Mann gehörte zu mir.

In unserem Haus wurde er zuerst mein Patient, dann mein Geliebter. Als seine Wunden geheilt waren, verließ er mich mit schwerem Herzen.

Ich weiß, dass ich als Befehlshaber über viele bestimmt bin. Ägypten und Syrien werden mich brauchen. Ein Traum hat es mir erzählt. Gib mir ein Mittel, mit dem ich meine Liebe besiegen kann, eins, das mein Herz zu Stein macht und mir Ruhe vor dir schenkt, damit ich ins Haus des Lebens zurückkehren kann und zum Offizier ausgebildet werde“, bat er mich.

Ich gab ihm eine Medizin, aber ich log ihn an. Es war Granatapfeltee.

Jeden Morgen erwachte ich, wenn Amun in seiner goldenen Barke über den Himmel ruderte, doch trotz der Sonnenstrahlen war mein Herz kalt wie Asche. Nur in Ariids Armen fühlte ich grenzenloses Glück.

Erst viele Monde später sah ich ihn wieder. Schließlich kam der Tag, an dem er in königlichen Linnen gekleidet, mit durch eine schwere Goldkette geschmücktem Hals und einer Peitsche in der Hand - das Zeichen für die erlangte Offizierswürde - in unsere Lehmhütte trat. Er legte meiner Mutter sein Kleiderbündel vor die Füße, wodurch wir als verheiratet galten.

Ein Offizier verdient gutes Gold. Er kaufte uns ein geräumiges Haus und für die Eltern das kostbarste Gut: eine Grabstätte. Damit war ihre Unsterblichkeit, ihr Sein im ewigen Leben gesichert.

Ariid und seine Soldaten bewachten den Pharao. Seit 40 Jahren herrschte kein Krieg mehr. Inzwischen fürchtete Ariid einen Angriff, weil seine Männer schwach und verweichlicht waren und nicht mehr zu kämpfen vermochten.

Doch dann bat Syrien um Hilfe, um die Wüstenvölker zurückzudrängen. Ariid trieb seine Soldaten unbarmherzig durch das heiße Land, damit sie zu erschöpft waren, um vor der Schlacht zu fliehen.

An der Spitze seiner Armee führte er die Männer gegen den Feind. Er war furchtlos, denn sein Gott schützte ihn, da er noch für große Taten gebraucht wurde.

Als Held und als Sieger kehrte er zurück. Seither trägt er eine goldene Peitsche und Sandalen mit golddurchwirkten Riemchen, die ihn als Heerführer ausweisen.

Doch Ariid zog erneut in den Krieg. Nubien greift uns an.

Ich fürchte mich, denn nie würde sich Ariid, wie das bei Führern üblich ist, in einer Sänfte hinter dem Heer hertragen lassen. Deshalb bete ich im Tempel.

Fräulein beurteilte den Aufsatz als: „Absoluten Blödsinn.“

Zusammen mit dem ersten Hormoncocktail wurde nicht nur ich reifer, sondern auch mein unsichtbarer Freund älter, und wir verliebten uns. Den ersten Kuss bekam ich von ihm, und er küsste herrlich. Er war mein unbesiegbarer Krieger, wurde zu einem jener Helden, mit denen ich aufwuchs. Verstohlen suchte ich auch außerhalb der Traumwelt nach ihm.

„Ich werde einmal einen schwarzhaarigen Mann heiraten“, erklärte ich meiner Mutter.

„Na ja“, antwortete sie. „In deinem Alter träumte ich von einem blonden Gladiatoren, und geheiratet habe ich einen dunkelhaarigen Schweizer.“

Mutter wuchs in Italien auf, was ihren Wunsch nach einem blonden Mann erklärte.

Demnach wäre meine Muttersprache Italienisch gewesen. Wäre! Leider benutzten meine Eltern sie nur, wenn sie sich uneinig waren. Das wiederum verstand ich bald und ich lernte ziemlich gut, auf Italienisch zu schimpfen; in Italien durchaus brauchbar. Die Muttersprache meines Vaters war hingegen Französisch, aber auch davon übernahm ich nur die wenigen Brocken, die in unseren Alltag Einzug fanden.

„Contenance, je te prie.“

„Devant! Devant les enfants.“

Im gleichen Alter, in dem Mädchen in anderen Kulturen bereits verheiratet waren, weil sie als reif für die Ehe erklärt wurden, sobald sie kochen gelernt hatten, suchten wir noch heimlich Antworten und fühlten uns dabei verderbt. Wir wurden nie aufgeklärt und es wurde mit aller Macht dafür gesorgt, dass wir das nicht selber tun konnten.

Meine Antworten suchte ich in Büchern, und diese begleiteten mich auch bis unter die Schulbank. In der Folge konfiszierte das Fräulein den Roman „Lady Chatterley“ mit deutlichen erotischen Passagen, die mich begeisterten. Damals galt das Buch als pornografisch und schaffte es bis vor Gericht. Eine unbezahlbare Werbung! Heute würde es bestenfalls als Diskussionsbasis für Zwölfjährige dienen.

Der von der freudig empörten Lehrerin herbeizitierte Vater fragte: „Wieso wissen Sie denn, dass es sich um Pornographie handelt?“

Nicht gerade eine diplomatische Meisterleistung.

In vielen Ländern gilt Sexualität als ebenso existentiell wie essen und trinken. Nur im Westen dezidierte sie die Kirche im Laufe der Jahrhunderten zur Sünde.

Da wir dieser Verlockung nur schwer widerstehen können, floss der Ablass zufriedenstellend. Auf diese Weise gewährleistete der Klerus das Fortbestehen der kirchlichen Pracht. Um mit gutem Beispiel voranzuschreiten, müssen bis heute die Würdenträger der katholischen Kirche durch das Zölibat leiden.

Mit der Zeit änderte sich auch bei uns dieses Dogma. Die sexuelle Revolution startete gerade rechtzeitig. Ich half eifrig mit, demonstrierte gegen Atomkraft und die Pelzindustrie, kleidete mich in scheußlich bunt gehäkelte Gewänder, knüpfte Makramee, flocht Blumen ins Haar und begann als Zeichen der Ablehnung des Systems zu Rauchen. Was ich am System ablehnte, wusste ich nicht so genau.

Die Hohepriesterin zeigte mir meine Intuition, die mich noch während vielen Jahren verwirrte, da ich alle von mir erahnten Vorkommnisse für eine Anhäufung von Zufällen hielt.

Sie schenkte mir die Gabe des Zuhörens, der Ruhe und des Beobachtens.

Der siebte Skarabäus

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