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Dubrovnik, 1. Oktober

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Dubrovnik, die Perle an der Adria. Ein Weltkulturerbe von einzigartiger Schönheit. Eine Stadt, die bis ins 3. Jahrhundert vor Christi zurückführt und deren mittelalterliche Bauten einen unvergessenen Charme ausüben. Sie vermitteln das Gefühl, in einem Märchen zu verweilen. Das Besondere ihrer Atmosphäre lässt sich nicht in Worte fassen. Man muss Dubrovnik besuchen, um es zu begreifen.

***

Die Maschine der Croatia Airlines landet pünktlich um 17 Uhr. Na also, denke ich. Es gibt sie doch, die pünktlichen Kroaten. Meine Erfahrung lehrte mich etwas anderes. Die Landung ist abrupt, die Pneus spucken Feuer. Zum Glück erinnere ich mich erst nach der Vollbremsung, dass der Pilot dazu gezwungen wird, denn außerhalb der Piste folgt nur noch das Meer.

In der Halle wälze ich mich mit heiteren Touristen zum Ausgang. Seit andere Destinationen von selbstermächtigten Irren in die Luft gesprengt werden, hat sich die Anzahl der Gäste in Kroatien vervierfacht. Doch ich bin nicht hier, um Ferien zu genießen. Ich suche Aram.

„Möge Gott dich beschützen, Mara“, waren seine letzten Worte, bevor er in einer dunklen Wolke verschwand und mich erstarrt auf dem Sofa zurückließ.

Ein Jahr ist seither vergangen. Ein Jahr ohne ein Zeichen von ihm. Beim Abschied versicherte er mir: „Meine Mail-Adresse bleibt dieselbe. Ich melde mich nicht, aber ich sehe jeden Tag nach, wann du kommst. Du kannst bleiben, solange du willst. Einen Tag, einen Monat, ein Jahr.“

Nur, die Nachricht über meine Ankunft wurde nie beantwortet. Seine kroatische Handynummer ist mir unbekannt. Scheint, als hätten wir keine Zukunft. Nur eine Vergangenheit.

Auch am Flughafen wartet kein lachender Aram auf mich. Die Halle noch länger abzusuchen hat wenig Sinn, denn er hätte mich in der Menschenmenge erspäht. Er sieht, hört und findet mich überall.

Unsicher trete ich mit der ferienfreudigen Masse in die glühende Sonne Kroatiens. Zum ersten Mal hoffe ich auf seine Unpünktlichkeit. Er wird jede Minute im gemächlichen Tempo vorfahren, mich anlächeln und mit seinen Armen erdrücken, rede ich mir ein und wedle die Taxis genervt weg. Eine Stunde später nehme ich die rosarote Brille ab und öffne kleinlaut eine dieser Taxitüren.

„Kommt er nicht?“, fragt ein deutschsprechender Fahrer. Natürlich spricht er Deutsch. Alle beherrschen Fremdsprachen, nur ich nicht. Ein Fehlschlag, und schon schleppe ich wieder ein Bündel Unsicherheit mit mir herum.

„Sieht so aus.“

„Trottel“, antwortet er überzeugt.

Niemand, der in Dubrovnik eintrifft, kann sich diesem Anblick entziehen. Mein Aufenthalt wird sich vielleicht nicht wie geplant entwickeln, aber wenigstens vor der Kulisse einzigartiger Schönheit.

Nur einen Katzensprung vom Flughafen entfernt hält das Taxi vor einem Gebäude, das genauso trostlos wirkt, wie ich mich fühle. Anscheinend habe ich mir für meinen Urlaub den letzten Zeugen einer sozialistischen Ära ausgesucht. Alle anderen wurden dem Krieg geopfert.

„Bleiben Sie hier, bis sicher ist, dass ich ein Zimmer bekomme?“, frage ich den Fahrer. Es fällt mir schwer, den einzigen Verbündeten ziehen zu lassen.

Ein nüchtern eingerichteter Raum bietet mir Gastfreundschaft. Nicht gerade eine Wohlfühloase. Im Ambiente von grauen Betten, grauen Schränken, grauen Wänden richte ich mich ein. Aber der Ausblick ist wunderschön.

Das Hotel ist mir bereits bekannt und da ich keinen Plan B vorbereitet hatte, nannte ich dem Taxifahrer den einzigen Namen, den ich kannte. Die Anlage hat sich nicht verschönert, seit ich mit meinem Exmann und den Jungs eine Woche hier verharrte. Nur am Strand, denn Aktivitäten kosten, was ganz im Sinne der Jungs war. Oder kennen Sie Kinder, die Kirchen besichtigen, ohne dabei von unerträglichen Bauchschmerzen befallen zu werden?

Das Panorama über das Meer mit Blick auf die Altstadt entschädigt mich fürs Erste. Dieses Bühnenbild zieht mich magisch an, und unsicher gebe ich dem Sog nach. Ich habe durchaus Qualitäten, aber Orientierungssinn gehört definitiv nicht zu meinen Kernkompetenzen.

Noch nie stand ich mitten im Herzen einer solchen Kulisse. Dubrovnik ist entschieden die schönste Stadt, die ich je gesehen habe. Eine Weile wandere ich umher, ängstlich darauf bedacht, wo komm ich her, wo will ich hin.

Die gleiche Frage trieb mich auch zu Hause umher. Leider fand ich die Antwort nicht rechtzeitig, denn sonst würde ich nicht einsam auf dieser Bank ausruhen.

Ob er auch schon hier saß? Sicher.

Viel Zeit verbrachten wir zusammen. Zusammen sind wir älter geworden, vielleicht auch weiser. Meine Haare erscheinen heller, durchzogen mit grauen Strähnen, seine sind unverändert blauschwarz. Meine Kraft hat ihre Grenzen gefunden, seine Energie reicht immer noch aus, um eine Rakete zu starten.

Ein Jahr dauerte es, um unsere Geschichte niederzuschreiben. Zeit, die weder für mich noch für meine Umwelt leicht zu ertragen war. Aber man muss zuerst zurückschauen, um festzustellen, in welche Richtung man vorgehen will.

Am Ende stellte sich heraus, dass die Heldenreise des Tarots Karte für Karte ihre Weisheit in unserem Lebenslauf gefunden hat. Nur die letzte änderte ich, und dafür bezahle ich jetzt den Preis.

Alles ist so anders hier. Wunderschön und fremdartig. Die Geräusche der Nacht, wie die Luft riecht. Auch die Grillen sind verstummt, als ob sie lauschen würden.

Die Altstadt hat sich geleert, die Touristenherden sind von ihren Hirtenhunden auf die nächste Weide getrieben worden. Im Sommer hüten sie Touristen, im Winter Schafe vor nicht veganen Wölfen, die der Hunger aus höheren Regionen vertrieben hat. Die Kunst bleibt dieselbe: Den Überblick behalten und zählen.

Die Touristen, die nicht wissen, was sie in den alten Steinen sehen sollten, sind erleichtert abgezogen. Nur die wenigsten interessieren sich für die Erläuterungen der jungen Kroaten mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Für sie endet die Vergangenheit gestern. Alles andere führt ihnen vor Augen, dass sie sterblich sind.

Es ist kalt geworden. Morgen werde ich das Hotel Palais suchen. Die einstige Villa aus der glanzvollen Zeit der österreichischen Monarchie dient heute als Herberge für Gutbetuchte.

Vor mehr als hundert Jahren legte die Familie meiner Großmutter auf ihrer Reise von Triest nach Montenegro hier Zwischenstation ein, um danach mit dem Kaiserhof in Sveti Stefan Urlaub zu verbringen. In halsbrecherischem Tempo von dreißig Stundenkilometern fuhren sie auf Straßen, die keine waren. Nur vor den bedrohlichen Pässen wurden Frau und Kinder in den Zug verfrachtet.

Diese einstige Villa beweist, sofern man den Besserwissern glauben darf, dass unsere Beziehung auf magerem Boden steht, denn sie bezeugt, dass Aram und ich nicht aus dem gleichen Stall stammen.

Auf meiner einsamen Bank am Hafen begebe ich mich in Gedanken auf zwei Heldenreisen, deren Bestimmung es war, eines Tages zu einer zu verschmelzen.

Davon möchte ich euch erzählen.

Es ist die Reise von Aram und von mir.

Der siebte Skarabäus

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