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Die Herrscherin, Karte III der Heldenreise

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Als die Karten aufgezeichnet wurden, sahen wir auf ein anderes Weltbild.

Damals herrschte sie, die Mutter Erde.

Die Herrscherin verkörpert das Natürliche, der Herrscher das von Menschenhand Geschaffene.

Sie stellt die blühende Naturwiese dar; Er den Englischen Garten.

Sie ist der runde Zyklus, die Fruchtbarkeit; Er das Lineare, das Handeln.

Sie gibt Wärme durch Liebe; Er Schutz durch Stärke.

Sind beide Kräfte harmonisch miteinander verbunden, lebt der Mensch geschützt, geborgen und versorgt.

Die negative Herrscherin vermittelt falsche Schuldgefühle. Alle Lebensfreude wird im Keim erstickt, nur Verbitterung wird gefördert. Durch mütterliche Tyrannei sorgt sie für einen brodelnden Stau aus kranken Energien, der eines Tages wie ein Vulkan ausbricht.

***

Hugo

Das Buch des Lebens wird von deinen Eltern geschrieben.

Alles, woran wir glauben oder wie wir denken, wird durch sie geprägt. Wie wir unseren Hackbraten lieben oder uns bei schlechtem Wetter verhalten, haben wir von ihnen übernommen. Sie lehren uns zu lieben, zu lachen, und zu laufen.

Ihre Autorität kann übermächtig sein. Wem es in der Pubertät nicht gelingt, sich daraus zu befreien, verliert den Halt, sobald er als Erwachsener versucht, die Abspaltung aufzuarbeiten.

Hugo wurde von seiner Mutter zu einem Narzissten kultiviert. Manchmal, wenn alles zusammenbricht, wenn sein von ihm erschaffenes Selbstbild durchschaut wird, versucht er, aus dem Käfig zu entfliehen. Doch bisher gelang ihm immer nur, den Käfig zu wechseln.

Das Dilemma eines Narzissten ist die Angst vor Nähe und die Sehnsucht danach. Er sucht die Sicherheit und Geborgenheit eines warmen Nestes, um es danach zu zerstören. Das Leid zu sehen, dass er anderen zufügt, liebt er. Zu verletzen erregt ihn. Die Gefühle seiner Mitmenschen erkennt er nicht. Er vernichtet alles und am Ende sich selbst.

Der Narzisst hat hundert Masken, nur kein Gesicht. Er ist ein Unmensch und trägt doch keine Verantwortung dafür.

Wer einmal eine Partnerschaft mit einem Narzissten gelebt hat, weiß, dass es auch andere Formen der Gewalt gibt als körperliche. Da der Narzisst sich niemals zu erkennen gibt und hervorragend täuschen kann, wird dir die alleinige Schuld an der schwierigen Beziehung zugewiesen, und mit der Zeit zweifelst selbst du nicht mehr daran.

Ich war 19 Jahre alt, als ich Hugo begegnete. Freunde benötigten eine weitere Mitreisende für ihre Skiferien, denn die Konstellation aus zwei Paaren und einer Einzelperson musste geändert werden. Ich wurde verkuppelt, allerdings willig. Ständig auf der Suche nach meinem schwarzhaarigen Helden sehnte ich mich nach einer Partnerschaft, nach realer Wärme und Liebe.

Zum ersten Mal trafen wir uns bei Hugo zu Hause. Er war groß gewachsen, schlank, gutaussehend und sportlich, ohne dazu etwas beizutragen, und seiner Meinung nach war er erfolgreich. Was ich sah, gefiel mir gut, gefiel mir außerordentlich gut. Und er war blond!

Schon nach fünf Minuten Präsenz ahnte ich, dass diese Familie ein eigenes Verhalten an den Tag legte.

Das Treffen bestand aus uns ferienfreudigen Kollegen. Hugos Vater thronte am Kopfende des Tisches und übernahm ungebeten den Vorsitz. Von Beruf Militär Instruktor, hatte er sich einen Kasernenton angeeignet, den er auch zu Hause anwendete. Da er in der Befehlsgeberkette stecken geblieben war, jagte er dafür privat jeden im Kreis herum, der greifbar war. „Aber tiptop!“, war sein bevorzugter Befehl. Doch im Herzen war er ein lieber Kerl.

Auch seine Geschichte schrieben einst die Eltern. Ab und zu las er daraus vor, und seine Stimme klang dabei so traurig, dass auch wir es wurden.

Vaters Stiefmutter machte dem Klischee alle Ehre. Er hungerte, aber nicht aus Armut, sondern weil die Stiefmutter den Küchenschrank für ihre angeheirateten Kinder verschlossen hielt.

Hugos Großvater wiederum wurde als Verdingbub verkauft und empfand jede andere Kindheit geradezu als paradiesisch. Damit lag er sicher nicht falsch.

Hugos Vater brüllte zwar, aber er liebte uns.

Unseren Marschbefehl begann er mit den Worten: „Ich war gegen dieses Treffen. Aber Hugos Mutter hat mich mit ihrer grenzenlosen Liebe dazu überredet, es zu gestatten. Für ihre Familie ist ihr keine Anstrengung zu groß.“ Zur Bestätigung schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Tag für Tag opfert sie sich für euch und arbeitet hart. Bedankt Euch!“

Irritiert befolgten wir den Befehl. Hugo nickte inbrünstig. Seiner Mutter wurde Respekt gezollt.

Der Vater meckerte den gesamten Abend oder lachte ein wenig zu laut über unsere Entscheidungen, und die Mutter stand sprungbereit im Türrahmen, falls wir etwas benötigen sollten.

Die Luft war zum Schneiden dick und draußen regnete es waagrecht. Unter dem Lichtschein der Laternen tanzten wirbelnde Blätter und der Wind peitschte eisig gegen die Scheiben. Mutter bereitete das Sorgen, denn sie hatte sie eben erst gereinigt.

Es war kein geeignetes Wetter, um sich sonnige Skiferien vorzustellen, aber passend zu diesem seltsamen Haus.

Letztendlich erfüllten Hugo und ich die Erwartungen unserer Kollegen und wurden ein Paar. Ich hatte mich in ihn verliebte. Und er? Er verliebte sich in das Geld, das er in meiner Familie vermutete. Ein Narzisst ist nicht zu Gefühlen fähig. Um an sein Ziel zu gelangen, kann er charmant, freundlich und emotional wirken. Er ist hochgradig funktionsfähig, manipulativ und ohne jegliches Schuldgefühl. Verfügt er dazu noch über kriminelle Energie, wird der Narzisst hochexplosiv.

Hugo verlangte von mir, mich um eine Kleidergröße herunter zu hungern. Ich gab ihm Recht. Meine Figur war nicht vorzeigbar, nicht vergleichbar mit der eines jungen Rehs.

Beide standen wir vor dem 20. Geburtstag, trotzdem wurde uns nur einmal die Woche ein kurzes Treffen nach der Schule erlaubt. Nach vielen Drohungen meinerseits gestatteten ihm seine Eltern jeden zweiten Samstag Freigang. Als wir das erste Mal miteinander ausgingen, begleiteten sie uns sicherheitshalber noch.

Ab und zu besuchte ich ihn am Sonntag, aber nie, wenn seine Eltern abwesend waren. Dann hatte ich Hausverbot. Ich weiß nicht, ob sie sich mehr um Hugos Tugend sorgten oder befürchteten, ich könnte ihnen ihr Brotmesser klauen.

Sämtliche Besuche verliefen identisch. Vater referierte über die wunderbare, sich aufopfernde Mutter, wobei alle bestätigend nickten. Anschließend betitelte er mich als Prinzessin, die vom Leben keine Ahnung hat. Erneut nickte Hugo inbrünstig, was ihn aber nicht davon abhielt, mit meiner Herkunft zu prahlen. Ich staunte nicht schlecht, als ich von Kollegen erfuhr, wie reich meine Familie angeblich ist.

Um auch einmal zu fühlen, was es heißt, bei einer „gewöhnlichen“ Familie am Tisch zu sitzen, musste ich das sonntägliche Würstchen mit seinem kleinen Bruder teilen. Mir war das egal, aber dem Bruder vielleicht nicht.

Erwischte mich Hugos Mutter alleine, offenbarte sie mir: „Der letzte Sonntag war so friedlich. Niemand störte uns.“

Zu erwähnen, wer als Störfaktor galt, brauchte sie nicht. Kinn vorgerückt und Wangen eingezogen durchbohrte sie mich mit Blicken. Auf mich wirkte sie wie eine harte, unversöhnliche Frau, die ihr Haus in tadellosem Zustand hielt und nie Freude über irgendetwas empfand, aber keinesfalls als aufopfernde Mutter.

Manchmal präsentierte sie mir ihr Silberbesteck oder sie legte mir ihr fein säuberlich geführtes Haushaltungsbuch vor. Schlich sich ausnahmsweise eine Differenz ein, korrigierte sie diese mit: „Taschengeld Ulrich“, denn verantwortlich waren nur die Anderen.

Wie ein Ehrenabzeichen trug sie ihre eingebildete Lebensmüh auf der Brust. Beständig darauf bedacht auf den Schultern ihrer Familie getragen zu werden, benutzte sie für den Kampf um Beachtung ihre eigenen Söhne.

Das kleinste Vergehen ihrer Kinder sah sie als persönliche Quälerei an und wurde abends als Beweis für ihre Strapazen dem Vater berichtet, der dann abstrafte.

Wem kann ein Kind noch vertrauen, wenn es von der eigenen Mutter verraten wird?

Im Frühherbst wurde ich volljährig, und damit stand mir ein Tag bevor, den wir lange im Vorfeld geplant hatten. Meine Mutter nähte mir für diesen Ehrentag ein Kleid aus blauer Seide. Viel Stoff benötigte sie nicht, da es für das damalige Modediktat nicht kurz genug sein konnte.

Unsere Geburtstage feierten wir immer im Kreis einer großen Anzahl von Freunden. Selbstverständlich sollte Hugo dabei sein. Da ihm allerdings der Gedanke, dass noch andere Gäste anwesend sein würden, nicht passte, lästerte er solange über meine Freunde, bis ich eingeschüchtert darauf verzichtete, sie einzuladen.

Der Morgen des großen Tages begann vielversprechend. Ein wundervoller Spätsommertag, warm und doch erfrischend, kündigte sich an. Ich liebte Geburtstage. Mit gutem Gewissen auf der faulen Haut zu liegen, und dabei Gratulationen und Geschenke entgegenzunehmen, versetzte mich in Höchstform.

Früh verzog sich meine Mutter in die Küche, um mein Lieblingsessen zu kochen, wobei sie sich ein wenig verhalten über die geringe Anzahl der Anwesenden äußerte.

Endlich volljährig! Die Freude war groß, obwohl ich nicht so genau wusste, welche Besserung ich mir davon versprach. In unserem Zuhause waren wir nie eingeschränkt, uns wurden selten Vorschriften gemacht. Vater liebte zwar den Satz: „Solange ich bezahle, habe ich das Sagen“, aber trotzdem bezahlte er problemlos, murrte selten.

Im neuen Kleidchen saß ich strahlend da, ließ mir gratulieren und öffnete meine Geschenke. Aus der Küche roch es vielversprechend, als mir Hugo um elf Uhr am Telefon mitteilte: „Ich komme nicht. Mutter erlaubt es nicht.“

Der Tag, an dem ich volljährig wurde, war der einzige Geburtstag, den ich ohne Gäste feierte und an dem ich weinte.

Leider wurde ich nur voll an Jahren und nicht an Verstand. Die negative Herrscherin hatte gesiegt.

Der siebte Skarabäus

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