Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 25

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Der Morgen graute hinter dem Wald, als ich nach Hause ging, müde und zufrieden. In der Küche des Kavaliershäusls stand ein kleiner Imbiß für mich bereit. Daneben lag ein Zettel mit der Frage: Hat’s geklappt? Es war Kirstys Schrift.

Ich lächelte vor mich hin. Herr Alois kam verschlafen aus seinem Korb und begrüßte mich gähnend. Ich aß eine Gurke aus unserem Garten, dazu etwas von dem Zwiebelbrot, das Kirsty gebacken hatte. Die Uhr tickte geschäftig.

Ich Saß im Schaukelstuhl, sah aus dem Fenster und wurde so müde dabei, daß ich mich nur mit Mühe aufraffen konnte, wieder aufzustehen und die Treppe hinauf in mein Zimmer zu gehen. Waschen mochte ich mich nicht mehr, obwohl ich völlig verschwitzt war und bestimmt wie ein Misthaufen roch.

Ich schlief ein, sobald mein Kopf das Kissen berührte, und träumte eine solche Menge wirres Zeug, daß mir im Schlaf schwindlig davon wurde. Und es kam mir vor, als wäre ich gerade erst eingeschlafen, als ich Gebell und heftiges Klopfen hörte. Dann sagte wie aus weiter Ferne eine Stimme: „Willst du sie nicht schlafen lassen?“ Und eine andere Stimme antwortete: „Lieber nicht. Sie würde es uns übelnehmen, wenn wir ihr nicht Bescheid sagen.“

Ich schreckte aus dem Schlaf hoch, öffnete mühsam die Augen und sah mich blinzelnd um. Im Zimmer war es sehr hell. Die Sonne schien auf den Teppich. Ein paar Rosen vom Spalier nickten zum Fenster herein. Auf der Türschwelle standen Matty und Kirsty und streckten die Köpfe ins Zimmer.

„Er sagt, du würdest wollen, daß wir dich aufwecken“, erklärte Kirsty entschuldigend. „Dabei hab ich ihm gesagt, daß . . .“

Ich unterbrach sie. „Ist etwas mit Nell?“ fragte ich erschrocken, stützte mich auf die Ellbogen und starrte die beiden an.

„Nell?“ wiederholten sie im Chor.

„Das Fohlen, das heute nacht zur Welt gekommen ist“, erklärte ich ungeduldig.

Matty schüttelte den Kopf. „Nein, das Fohlen ist in Ordnung. Aber Jörn ist nach Mariabrunn gefahren, um Mikesch vom Bus abzuholen. Er hat gesagt, ich soll dich aufwecken und dir Bescheid sagen, damit du kommen und ihn dir ansehen kannst. Er meint, das wäre dir wichtiger, als auszuschlafen.“

„Ist es auch“, sagte ich und wollte aus dem Bett steigen. Da merkte ich, daß ich nichts anhatte, und fügte rasch hinzu: „Wartest du unten auf mich? Ich komme gleich.“

Die beiden verschwanden und schlossen die Tür hinter sich. Ich schlüpfte in meinen Morgenmantel, raste ins Bad, seifte mich in Rekordgeschwindigkeit unter der Dusche ab, fuhr in meine kniekurz abgeschnittenen Jeans, kramte ein halbwegs sauberes T-Shirt hervor und war schon unten.

„Das ist aber schnell gegangen“, sagte Matty, der auf der Treppenstufe in der Sonne saß und Herrn Alois hinter den Ohren kraulte.

Ich nickte nur und holte mir rasch noch ein Stück Kuchen. Dann krochen wir hintereinander durch die Hecke und kürzten den Weg nach Dreililien über eine der Koppeln ab.

Die Pferde kamen aus dem Schatten der Bäume, als sie uns sahen, und folgten uns bis zum Gatter. Wir nahmen uns nicht die Mühe, es zu öffnen, sondern kletterten darüber. Ich steckte vorher noch den letzten Rest Kuchen in den Mund.

Als ich vom Gatterbalken sprang, tauchte Jörn mit dem alten VW-Käfer hinter der Wegbiegung auf und preschte über die Auffahrt, daß der Kies spritzte. Wir verrenkten uns die Hälse, um einen ersten Blick auf seinen Beifahrer zu werfen.

„Schwarze Haare hat er“, murmelte Matty.

„Mm“, sagte ich mit vollem Mund. Das war das einzige, was ich auf die Entfernung auch erkannt hatte.

Wir blieben stehen und warteten. Jörn fuhr näher heran, hielt an und streckte den Kopf aus dem Wagenfenster. „Ausgeschlafen? “ fragte er mich grinsend.

„Nein“, sagte ich und warf einen heimlichen Blick auf Mikesch. Was ich sah, verschlug mir den Atem. Einen Moment lang machte ich wohl ein ziemlich dummes Gesicht.

Ich hatte mir Mikesch jünger vorgestellt, so um die Zwanzig; aber er mochte mindestens schon achtundzwanzig sein. Doch das war es nicht. Es war sein Aussehen. Denn er war schön. Das mag ein komisches Wort in Verbindung mit einem Mann sein, aber genau dieser Ausdruck fiel mir ein, als ich ihn musterte – sein ebenmäßiges, gebräuntes Gesicht mit der schmalen Nase, die dunklen Locken, die bestimmt nicht das Werk eines teuren Herrenfriseurs waren, und die strahlend blauen Augen mit dem Kranz langer, dunkler Wimpern. Wenn er gewollt hätte, hätte er sein Geld bestimmt locker mit Reklamefotos oder als Dressman verdienen können, statt sich für ein Taschengeld irgendwo auf dem Land mit Pferden abzugeben.

Ich schielte zu Matty hinüber. Auch er starrte den Mann an, der da neben seinem Bruder im Auto saß. Jörn sah von einem zum anderen und grinste verstohlen.

Gerade als das Schweigen peinlich zu werden begann, sagte Mikesch: „Hallo, ich bin Mikesch. Und ihr beide seid Nell und Matty, nehme ich an.“

„Ja“, erwiderte ich hastig. „Hallo, Mikesch!“

Und Matty murmelte etwas Undeutliches.

„Wenn’s euch recht ist, würde ich jetzt gern aussteigen“, sagte Mikesch. Vermutlich war er es gewohnt, angestarrt zu werden. „Ich habe nämlich den ganzen Vormittag herumgesessen. Der Hintern tut mir schon weh.“

Er stieg aus, reckte sich und sah sich um. „Schön habt ihr’s hier“, sagte er einfach.

„Ich fahre den Käfer in die Remise“, sagte Jörn. „Ihr könnt Mikesch herumführen. Ich komme dann nach.“

Mikesch sah auf ihn hinunter. Er war mindestens einsneunzig. „Eine Remise habt ihr hier auch. Das klingt ja hochherrschaftlich.“

„Es klingt vielleicht so“, gab Jörn belustigt zu. „Aber in Wahrheit ist es bloß ein baufälliger alter Schuppen, in dem früher die Kutschen standen. So ist’s hier mit vielem: klingende Namen und nichts dahinter als Spinnweben und Verfall.“

Er ließ den Motor an und fuhr zur Hofeinfahrt weiter. Matty und ich blieben ziemlich verlegen zurück. Wir wußten nicht recht, wie wir mit unserem blendenden Gast umgehen sollten. Sollten wir ihn duzen oder Sie zu ihm sagen? Ich kämpfte mit einem Gefühl der Enttäuschung. Dieser Mikesch schien mir durchaus nicht der Typ zu sein, der nach Dreililien paßte – dazu war er einfach zu . . . zu schön. Immerhin beruhigte es mich ein wenig, daß er flickenbesetzte Jeans trug und ein altes Hemd, das am Kragen schon abgewetzt war.

„Ich glaube, ich muß euch erst mal erklären, daß ich nichts für mein Äußeres kann“, sagte Mikesch unvermittelt. „Ich bin kein Playboy und kein Schönling, auch wenn das die meisten Leute von mir denken, die mich zum erstenmal sehen.“

Ich bekam den Mund nicht mehr zu. Matty schluckte und erwiderte dann: „Willst du . . . wollen Sie wirklich als Pferdepfleger und Reitlehrer arbeiten?“

„Das du ist schon in Ordnung“, sagte Mikesch. „Und natürlich will ich als Pferdepfleger und Reitlehrer arbeiten, sonst wäre ich nicht hier. Ich habe eure Anzeige schon richtig gelesen und verstanden. Ihr wollt hier eine Reitschule eröffnen und braucht jemanden, der bei den Pferden mithilft und Kindern und Jugendlichen das Reiten beibringt. Jemanden, der mit einem kleinen Gehalt zufrieden ist und nichts dagegen hat, auf dem Land zu leben, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen.“

Wieder sah er sich um. Ich bemerkte den Glanz in seinen Augen, als sein Blick über die Koppeln mit den Pferden schweifte, hin zum Waldrand, über die vernachlässigten Gebäude von Dreililien und die Hecken, die die Pfade säumten. Da wußte ich plötzlich, daß es ein Fehler gewesen war, ihn nur nach seinem Äußeren zu beurteilen.

Spontan streckte ich die Hand aus und sagte: „Tut mir leid. Vorurteile sind dumm.“

Er nahm meine Hand und drückte sie fest. Ich sah Matty an. Auf seinem Gesicht lag noch immer ein zweifelnder Ausdruck.

Zehn Minuten später aber hatte auch er seine Vorurteile vergessen, nachdem wir erlebten, wie wenig Scheu die Pferde vor Mikesch zeigten, obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hatten, und wie gut er mit ihnen umzugehen verstand. Aus all seinen Bewegungen, seinen Blicken sprach die Liebe zu ihnen, und es war klar, daß sie das spürten. Sogar Diana ließ sich gnädig von ihm streicheln.

Jörn nickte mir heimlich zu, als wir über den Hofplatz gingen. Wir wüßten, daß Mikesch der Richtige für uns war – und doch hing seine Anstellung nicht von uns ab.

Die Entscheidung lag allein bei Herrn Moberg, und er war wohl nicht so leicht zu überzeugen wie wir.

Während Matty ins Haus lief, um seinen Vater zu holen, erzählten wir Mikesch kurz von den Geldschwierigkeiten, in denen das Gestüt steckte, und von unserem Plan, die Pferde zu retten, indem wir eine Reitschule eröffneten.

Mikesch hörte schweigend zu. Nach einigem Überlegen sagte er: „Ich glaube, es gibt ziemlich viele Reitschulen, denen es nicht gerade rosig geht. Die Kosten für Miete, Futter, Tierarzt und Personal steigen ständig. Aber ihr habt hier ideale Voraussetzungen – genug Land, um einen Teil des Futters selbst zu erzeugen, einen großen Hof, der keine Miete kostet – von den Reparaturkosten abgesehen – ; und was die Arbeit angeht, so macht ihr ja offenbar eine Menge selbst. So könnte es schon gehen.“

Sein Blick schweifte über den Hofplatz, die efeubewachsenen Außenmauern der alten Gebäude, den brökkelnden Torbogen.

„Ein schöner Besitz“, sagte er.

Jörn seufzte. „Ja, aber es fehlt an allen Ecken und Enden. Überall wären Reparaturen nötig.“

„Besonders das mit den Reitferien ist keine schlechte Idee“, sagte Mikesch aufmunternd. „Und am Hof könnte man sicher manches selbst ausbessern.“

„Könnte man, ja“, erwiderte Jörn. „Aber wir kommen so schon kaum mit der Arbeit über die Runden, und die Schule . . .“

Er stockte. Das Haustor wurde geöffnet. Wir hörten das klackende Geräusch von Herrn Mobergs Krücken auf dem Pflaster des Innenhofes. Mein Herz schlug schneller.

„Mein Vater ist schwer gehbehindert, weißt du“, fügte Jörn rasch hinzu. „Er kann bei der Arbeit nicht mehr helfen, aber er kümmert sich um den Papierkram.“

„Ein Reitunfall?“ fragte Mikesch.

Jörn schüttelte den Kopf. „Nein, ein Autounfall.“

Ich merkte, daß meine Handflächen vor Angst und Aufregung naß waren. Ich wünschte so sehr, daß Mikesch den Job bekam, damit wir mit ihm zusammen endlich anfangen konnten, unsere Pläne zu verwirklichen. Plötzlich war ich so sicher, daß wir mit ihm gemeinsam mehr Chancen hatten, es zu schaffen, daß er genau richtig für uns war – nicht so jung und unerfahren wie wir, aber auch nicht zu alt, um unsere Hoffnungen und Wünsche zu verstehen und zu teilen.

Herrn Mobergs Blick war voller Mißtrauen, als wir ihm Mikesch vorstellten; doch das war ich inzwischen an ihm gewöhnt. Der mißtrauische Ausdruck schien auf seinem Gesicht richtig festgefroren zu sein. Allerdings trat er manchmal besonders stark hervor, zum Beispiel jetzt.

„Mikesch?“ wiederholte er unfreundlich. „Wie ist Ihr Nachname? Ich halte nichts von dieser amerikanischen Sitte, jeden zu duzen und sich gleich mit Vornamen anzureden.“

Mein Herz sank. Das fing ja gut an. „Guten Morgen“, erwiderte Mikesch ruhig. „Ich heiße Andergast.“

„Andergast?“ Herr Moberg musterte ihn prüfend. „Sind Sie irgendwie verwandt mit dem Rennstallbesitzer Arpad Andergast?“

Mikesch lächelte ein bißchen schief. „Ja“, sagte er.

„Das ist mein Vater.“

„Was?“ Herr Moberg starrte ihn an, und wir taten das gleiche. Mir sagte der Name Andergast zwar nichts, aber an Herrn Mobergs Miene war zu erkennen, daß Mikesehs Vater in Fachkreisen ein bekannter Mann sein mußte.

„Und warum arbeiten Sie dann nicht bei Ihrem Vater, wenn ich fragen darf?“

Mikesehs Gesichtsausdruck, der vorher so offen und freundlich gewesen war, wurde verschlossen. „Weil wir zu verschieden sind, mein Vater und ich“, war alles, was er sagte. „Ich bin schon vor zehn Jahren von zu Hause weggegangen. Außerdem behagt mir das Geschäft mit Pferderennen sowieso nicht.“

Herr Moberg sah aus, als wollte er noch einiges dazu sagen. Dann überlegte er es sich offenbar anders. Er nickte nur kurz und fragte barsch: „Sie wissen, daß ich Ihnen kein angemessenes Gehalt zahlen kann – genaugenommen sogar nur sehr wenig, kaum mehr als ein Taschengeld. Dreihundertfünfzig Mark monatlich kann ich Ihnen bieten, mehr nicht.“

Mikesch nickte. „Ja“, sagte er, „das ist mir bekannt. Und ich bin einverstanden, wenn ich außerdem bei Ihnen essen und wohnen kann.“

„Unterkunft und Verpflegung wären selbstverständlich frei“, stimmte Herr Moberg sofort zu.

Ich atmete auf. Das klang ja ganz danach, als würde er durchaus in Betracht ziehen, Mikesch bei sich anzustellen!

„Ihre Reitkünste brauchen Sie mir wohl nicht erst vorzuführen, junger Mann. Darauf können wir in Ihrem Fall verzichten“, sagte Herr Moberg. „Sie sind sicher mit Pferden aufgewachsen, genau wie meine Jungen.“

„Das bin ich“, stimmte Mikesch zu. „Reiten habe ich jedenfalls gelernt.“ Und er lächelte, aber es war kein fröhliches Lächeln.

„Wollen Sie sich unseren Stall ansehen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hinkte Herr Moberg voraus, auf seine Krücken gestützt. Mikesch folgte ihm. Ich blieb mit Jörn und Matty zurück.

„Mein lieber Schwan!“ sagte Matty verdutzt, aber voller Erleichterung, als die beiden außer Hörweite waren. „Das scheint ja glatt hinzuhauen!“

Jörn hob die Augenbrauen. „Er ist wirklich der Sohn vom alten Andergast!“

„Habt ihr denn seinen Nachnamen nicht gewußt?“ fragte ich dazwischen.

Jörn schüttelte den Kopf. „Er hat den Brief nur mit seinem Vornamen unterschrieben“, erklärte er. „Eine Adresse stand nicht auf dem Umschlag. Wir wußten nur seine Telefonnummer und daß er Mikesch heißt.“

„Ist was mit seinem Vater?“ fragte Matty. „Mikesch war so komisch, als die Rede auf ihn kam.“

Jörn zuckte mit den Schultern. „Ich hab mal irgend jemanden sagen hören, daß Arpad Andergast ein alter Wüstling ist. Es gab auch mal vor ein paar Jahren einen Skandal um ihn, glaube ich, aber ich hab mich nicht weiter darum gekümmert und weiß nicht, worum es da ging,“

„Ein Wüstling?“ wiederholte ich halb belustigt, halb verständnislos. „Meinst du mit Frauen oder so?“

„Ja, wahrscheinlich mit Frauen oder so“, sagte Jörn und lachte.

„Wenn er nur halb so gut aussieht wie Mikesch, wär’s kein Wunder, wenn die Frauen ihm schockweise nachlaufen würden.“ Das war Mattys Meinung.

„Mikesch ist jedenfalls nicht so“, wandte ich ein, „obwohl er gut aussieht. Deshalb braucht man nicht gleich ein Wüstling zu sein.“

Jörn lachte wieder und sah mich prüfend an. „He, er hat wohl dein Herz schon im Sturm erobert, wie? Geht das bei dir so schnell, Nell?“

Ich sagte hitzig: „So ein verdammter Blödsinn! Ich finde ihn einfach nett, er ist genau richtig für Dreililien, und außerdem . . . Außerdem ist er gar nicht mein Typ.“

Damit hatte ich einen Fehler gemacht; ich wußte es, sobald ich es ausgesprochen hatte. Diese Antwort forderte geradezu eine Frage heraus, und sie kam auch prompt.

„Wer ist denn dann dein Typ?“ fragte Jörn mit einem verräterischen Zucken um die Mundwinkel.

Ich hatte keine Lust, es ihm zu sagen – gerade ihm nicht. Matty kam mir ungewollt zu Hilfe, indem er voller Ungeduld murmelte: „Hört doch mit dem Quatsch auf, hier geht’s um wichtigere Sachen. Sollen wir Vater und Mikesch in den Stall nachgehen?“

„Nein“, erwiderte Jörn. „Lassen wir die beiden mal allein, sonst meint Vater noch, er müßte sich vor uns als Gutsherr aufspielen. Sie werden ohne uns bestimmt schneller und besser einig.“

„Ich hab Marnie noch gar nicht gesehen“, sagte ich. „Und Nell. Wo sind die beiden? Habt ihr sie noch im Stall gelassen? Geht’s dem Fohlen gut?“

„Heute morgen waren sie beide ganz munter. Nell hatte normale Temperatur – 39 Grad. Nach dem Fiebermessen hab ich die beiden auf die kleine Koppel hinter dem Birkenwäldchen gebracht, da sind sie ungestört und haben Halbschatten.“

„Was, du hast Fieber gemessen?“ Ich musterte Jörn erschrocken. „Sah das Fohlen denn krank aus?“

Matty mischte sich ein. „Nein, keine Angst. Ein Fohlen steckt sich nur in den ersten Tagen nach der Geburt leicht an. Da ist’s am besten, morgens und abends die Temperatur zu überwachen. Wenn es Fieber bekommt, kann man rechtzeitig den Tierarzt holen.“

Vom Stall her hörten wir Stimmen. Herr Moberg tauchte wieder auf. Er sah bei weitem nicht so mürrisch aus wie sonst. Neben ihm ging Mikesch. Die beiden unterhielten sich über Fohlenlähme; sie waren ganz ins Gespräch vertieft.

Ich spürte, wie jemand meine Hand nahm und drückte. Es war Matty. Und ich wußte, was dieser heimliche Händedruck bedeutete, noch ehe ich Herrn Moberg zu Mikesch sagen hörte: „Dann wäre die Sache also abgemacht, Herr Andergast. Sie fangen schon nächste Woche bei uns an. Die ehemalige Fuhrknechtskammer über dem Stall können Sie sich gern ausbauen, wenn Sie Wert darauf legen, obwohl auch im Haus Platz genug für Sie wäre; und bei uns hätten Sie’s bequemer. Aber das überlasse ich Ihnen. Den Vertrag fertige ich bis nächste Woche aus. Das ist nur eine Formsache, aber es muß sein. Also dann – auf gute Zusammenarbeit.“

Die beiden schüttelten sich die Hände. Vom Dorf her kam das Geläut der Mittagsglocken. Herr Moberg hinkte durch den Torbogen davon, und Mikesch verabschiedete sich. Er sagte, er wolle gleich zu Fuß nach Mariabrunn gehen, dort im Gasthaus etwas essen und dann mit Bus und Bahn nach München zurückfahren.

„Sollen wir dir beim Umzug helfen?“ fragte Jörn. „Wir konnten dich mit unserem Lieferwagen in München abholen und deine Sachen mitnehmen.“

Mikesch lächelte. „Danke, aber das braucht ihr nicht. Ihr habt hier schon genug zu tun. Ein Freund wird mich mit seinem Auto herfahren, das reicht für meinen Kram. Die paar Sachen bringen wir schon unter.“

Er gab jedem von uns die Hand und ging. „Das wär’s“, sagte Matty. „Herrje, das ist schneller und besser gegangen, als ich gedacht habe!“

Ich konnte es noch gar nicht recht glauben. Mit einem Gefühl, als hätten wir einen Sieg errungen, lächelte ich Jörn zu, und er lächelte zurück.

„Manchmal muß man ja auch Glück haben!“ sagte er. „Soll ich dir heute nachmittag Reitunterricht geben, Nell?“

„Ja, gern“, sagte ich. „Aber erst um fünf, wenn’s nicht mehr so heiß ist. Jetzt gehe ich erst mal nach Hause, lege mich in die Hängematte und schlafe. Und vorher sehe ich mir Nell an.“

Jörn und Matty begleiteten mich über den Hofplatz, an der steinernen Bank vorbei und den Pfad zwischen den Birken entlang. Als wir uns umwandten, sahen wir, daß Mikesch inzwischen die Wegkreuzung erreicht hatte. Er war stehengeblieben, beschattete die Augen mit der Hand und sah über die Koppeln.

„Ich glaube, er wollte allein sein“, sagte Matty. „Ob er so was wie ein Einzelgänger ist?“

Jörn nickte nachdenklich. „Vielleicht. Ich denke, er hat es trotz seines guten Aussehens nicht immer leicht gehabt.“

Auf der kleinen Koppel stand Marnie unter einem Baum und säugte ihr Fohlen. Es war schon nicht mehr so wacklig auf den Beinen, und sein Fell wirkte glatter und glänzte im Licht, das durch das Laub sickerte.

Matty sagte: „Es hat eine Farbe wie eine reife Kastanie.“

Marnie hatte uns bemerkt. Sie spitzte die Ohren und sah zu uns herüber. Als sie sich bewegte, hörte das Fohlen zu trinken auf, hob den Kopf und sah sich mit großen, verwunderten Augen um.

Mir wurde warm ums Herz. Wie unschuldig es aussieht, dachte ich, wie vertrauensvoll und arglos! Es weiß nichts von all dem Bösen, all dem Unheil dieser Welt – noch nicht. Alles, was es sieht, ist neu und wunderbar.

„Ich wollte, es könnte so bleiben“, sagte Jörn wie ein Echo auf meine Gedanken. „So arglos und voller Erwartung. Aber jeder muß erwachsen werden und gute und schlechte Erfahrungen machen, auch ein Fohlen.“

Reiterhof Dreililien Sammelband

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