Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 28
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ОглавлениеNie waren mir die großen Ferien so schnell vergangen wie in diesem Jahr. Vielleicht lag es daran, daß ich keinen Sommer derart bewußt erlebt hatte. Hier war jeder Tag so angefüllt mit Arbeit und Abwechslung wie früher kaum eine ganze Woche.
Mikesch kam, und bald hatten wir das Gefühl, als sei er immer schon dagewesen. Er fand sofort bei allen Anerkennung, nicht nur, weil er so gut mit den Pferden umzugehen wußte, sondern auch, weil er so geschickt und schnell arbeitete. Sogar Sepp vergaß bald seine anfänglichen Vorurteile gegen einen, „der wo Mikesch hoaßt“. Schon nach Mikeschs erster Woche auf Dreililien hörte Jörn, wie Sepp im Dorf zu einem Bauern sagte:
„Des ist oana, dem wo koana was vormacha ko. Der kennt sich aus mit die Rösser.“
Ja, Mikesch kannte sich mit Pferden aus, und nicht nur damit. Er telefonierte mit Reisebüros wegen unserer Reiterferien, half uns, die Anzeigen aufzugeben, kümmerte sich um die Versicherung, verarztete Solveigs Hufgeschwür und machte die erste Wurmkur mit Marnies Fohlen. Nebenbei begann er die ehemalige Fuhrknechtskammer über dem Stall auszubauen, legte die alten Querbalken frei, zimmerte neue Fensterrahmen und besserte den morschen Fußboden aus.
„Mikesch kann einfach alles!“ sagte Matty respektvoll.
Zu Hause hatte sich die erste Aufregung über das Baby gelegt. Das heißt, aufgeregt war eigentlich nur mein Vater. Er wuselte wild herum, ließ Handwerker kommen und machte Pläne für den Dachausbau, obwohl Kirsty meinte, ein Kinderzimmer wäre vorerst gar nicht so wichtig, da man ein Baby sowieso nicht allein lassen könne.
Ich merkte, daß es ihr gesundheitlich nicht besonders gut ging, doch sie beklagte sich nicht. Morgens war sie oft grün im Gesicht und mochte nichts essen. Sie arbeitete auch nicht mehr so viel wie früher, sondern saß jetzt häufig unter der Eiche auf der Bank oder im schattigen Obstgarten.
Am letzten Ferientag kamen die ersten Anrufe von Jugendlichen und Eltern, die sich für Reitstunden interessierten. Die ersten Reiterferien hätten wir für Allerheiligen geplant; doch vorher sollte es an den Wochenenden auf Dreililien schon regelmäßig Reitunterricht geben.
Wir bewachten abwechselnd das Telefon; Jörn und Matty vormittags, nachmittags Mikesch und ich. Ich war ziemlich nervös, als ich meinen ersten Anruf entgegennahm. Eine besorgte Mutter wollte wissen, ob wir denn auch absolut gutmütige, zuverlässige Pferde hätten. Zu einer Antwort kam ich aber nicht, denn sie überschüttete mich weiter mit einem Wortschwall, schilderte mir ausführlich die Kinderkrankheiten ihrer Tochter (die inzwischen schon dreizehn war), ihre Schwierigkeiten, Freunde zu finden, und ihre „übertriebene“ Begeisterung für Pferde.
Als sie endlich auflegte, war ich ganz erschöpft. Immerhin hatte ich mir die Adresse notiert, schrieb auch gleich einen Umschlag und steckte das „Werbematerial“ hinein, das wir vorbereitet hatten: einen fotokopierten Zettel mit den Tageszeiten, an denen wir samstags und sonntags Reitunterricht abhalten wollten, dem Preis für eine Reitstunde und den Busverbindungen von Rosenheim nach Mariabrunn am Wochenende. Außerdem hatten wir noch eine Skizze angefertigt, die zeigte, wie man Dreililien von Rosenheim aus mit dem Auto am besten erreichen konnte. Mein Vater hatte das Fotokopieren für uns besorgt.
Am Abend lagen bereits einundzwanzig Adressen von reitinteressierten Leuten auf dem Schreibtisch. Es handelte sich dabei hauptsächlich um Mädchen zwischen neun und vierzehn Jahren aus dem oberbayerischen Raum. Zwei Jungen waren auch dabei; außerdem hätte ein Arzt angerufen, der mit seiner Familie in einem Dorf nicht weit von Mariabrunn wohnte und seine Zwillingstöchter zum Reiten anmelden wollte.
Wir waren aufgeregt wie Kinder am Weihnachtsabend, Mikesch eingeschlossen. „Also, das müssen wir feiern!“ sagte er. „Paßt auf, wir fahren jetzt noch schnell zum Wirt nach Mariabrunn und holen ein paar Flaschen Wein, sagen Carmen Bescheid und machen ein Fest am Waldsee!“
Er und Jörn stiegen in den Käfer, während Matty im Haus verschwand, um noch eine halbe Stunde lang das Telefon zu bewachen. Ich hatte versprochen, eine Riesenschüssel voll Salat und belegte Brote vorzubereiten.
Die Freude über unseren Erfolg und die Aussicht auf das Fest machten mich so beschwingt, daß ich auf dem Weg zum Kavaliershäusl, wo mich keiner sah, übermütig tanzte und sang. Kirsty saß auf der Türschwelle unter dem Rosenbogen, als ich kam. Ich setzte mich neben sie und genoß die Abendsonne. Im Garten blühten die Sonnenblumen, die Dahlien hatten Knospen angesetzt.
„Wenn die Dahlien aufblühen, wird es Herbst“, sagte Kirsty ein bißchen wehmütig. „Mir ist noch nie ein Sommer so schnell vergangen wie dieser.“
„Mir auch nicht“, stimmte ich zu.
Sie straffte die Schultern. „Aber die Rosen blühen noch“, sagte sie, griff nach einer der weißrosa Blüten, bog sie zu sich herunter und roch daran. „Noch sind die Tage der Rosen – kennst du das Gedicht? Nein, natürlich nicht. Es ist altmodisch und ein bißchen rührselig. Meine Großmutter hat es in mein Poesiealbum geschrieben. Damals verstand ich die Bedeutung noch nicht. Als Kind nimmt man den Wechsel der Jahreszeiten als selbstverständlich hin. Man ist weder traurig, wenn der Winter kommt, noch, wenn der Sommer geht. Aber je älter man wird, um so kürzer scheinen die Jahre zu sein.“
Ich nahm ihre Hand und fragte: „Du bist doch nicht traurig, Kirsty? Möchtest du wieder so leben wie früher?“
Sie schüttelte den Kopf. „O nein. Nur manchmal fühle ich mich ein bißchen abgeschieden hier draußen. Ich wollte, meine beste Freundin wäre noch in München, dann könnte ich sie ab und zu sehen. Aber sie hat vor einem Jahr nach Schottland geheiratet.“
Ich bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen. Es war irgendwie so selbstverständlich, daß Kirsty fast den ganzen Tag allein im Haus und in der Werkstatt arbeitete, daß sie da war, wenn ich zum Essen kam, und Verständnis hatte, wenn ich hinterher gleich wieder verschwand. Sie schien stets so beschäftigt zu sein, immer voller Ideen und Tatendrang. Doch vielleicht war das jetzt anders geworden, seit sie das Kind erwartete. Mein Vater kam ja während der Woche erst abends nach Hause. Kirsty hatte tagsüber so selten jemanden, mit dem sie sprechen konnte.
„Wollt ihr heute abend mit uns am Weiher feiern, du und Vater?“ fragte ich impulsiv. „Wir machen ein Fest, weißt du – Jörn, Matty, Mikesch, Carmen und ich. Es gibt Wein, und ich bereite Salat und belegte Brote vor. Kommt doch mit. Die Abwechslung wird dir guttun!“
Sie sah mich überrascht an. „Sagst du das jetzt nur, weil du denkst, ich fühle mich vernachlässigt? Ihr jungen Leute seid doch sicher lieber unter euch. Du brauchst meinetwegen keine Gewissensbisse zu haben, Nell.“
„Unsinn! So jung ist Mikesch gar nicht mehr“, erwiderte ich eifrig. „Und mit dem Alter hat das sowieso nichts zu tun. Ich fänd’s gut, wenn ihr mal mit dabei wärt. Stell dir vor, wir haben heute einundzwanzig Anrufe von Leuten bekommen, die entweder selbst reiten möchten oder ihre Kinder bei uns anmelden wollen! Die Anzeigen haben wirklich eingeschlagen.“
„Prima, das ist ein guter Start!“ sagte Kirsty, und der bedrückte Ausdruck auf ihrem Gesicht verschwand.
„Du, wir müßten noch Schweinswürstchen in der Tiefkühltruhe haben. Da könnten wir doch den alten Grill von Tante Karen mitnehmen und Würstchen grillen.“
Sie hatte „wir“ gesagt“, also wollte sie mitkommen. Ich wußte, daß Matty und Jörn nichts dagegen haben würden, denn sie verstanden sich gut mit meinem Vater und Kirsty. Nur bei Mikesch war ich etwas unsicher, denn er kannte die beiden ja noch nicht.
Gemeinsam bereiteten wir den Salat vor, strichen Brote, packten Essig, Öl, Salz und Gewürze ein und legten die Würstchen in die Kühltasche. Dann kam mein Vater nach Hause. Ich war richtig verwundert, wie sehr er sich freute, daß ich ihn und Kirsty mit dabei haben wollte. Er strahlte über das ganze Gesicht, holte gleich Sekt aus der Speisekammer – „zum Anstoßen“, wie er sagte – und zog seine neuen Jeans und ein kariertes Hemd an, das ihm besonders gut stand.
Ich war richtig stolz auf die beiden. Sie waren ein hübsches Paar. Kirsty trug modische Hosen und ein ärmelloses Oberteil aus naturgefärbtem Seidengarn, das sie selbst entworfen und gehäkelt hatte. Man merkte gar nicht, daß sie schon nicht mehr ganz schlank um die Taille war. Ihr langes, blondes Haar faßte sie im Nacken zusammen und steckte es seitlich mit Glitzerkämmen fest. So strahlend hatte sie schon lange nicht mehr ausgesehen.
Ich selbst überlegte lange, was ich anziehen sollte. Dann nahm ich den alten schwarzen Bauernrock mit den gestickten Blütenkränzen, den ich auf dem Trödelmarkt in München gekauft hatte, und dazu ein enges weißes Leibchen mit dünnen Trägern aus Spitze. Kirsty hatte es mir geschenkt, weil es ihr nicht mehr paßte. Es war ein Erbstück von ihrer Großmutter, die das Leibchen einst als Unterwäsche getragen hatte.
Mit dem Grill, zwei Körben voller Flaschen und Eßwaren, mehreren Sitzkissen unter dem Arm und Herrn Alois im Schlepptau zogen wir los. Über den Wäldern brach schon die Abenddämmerung herein.
Der rote VW-Käfer stand mit offenen Türen in der Hofeinfahrt von Dreililien. Carmen und Jörn unterhielten sich vor dem Stall, und Mikesch streckte den Kopf aus dem Fenster der Fuhrknechtkammer und rief: „Ich nehme den Kassettenrekorder mit!“
Matty kam mit Kerzen und Räucherstäbchen gegen die Mücken. Auch seine Mundharmonika hatte er dabei. Keiner schien sich darüber zu wundern, daß ich meinen Vater und Kirsty mitgebracht hatte; alle schienen es durchaus in Ordnung zu finden.
Ich bemerkte sofort, daß Kirsty Mikesch gefiel. Er bestand darauf, ihren Picknickkorb zu tragen, und ging den ganzen Weg neben ihr her. Zum Glück bekam mein Vater nichts davon mit, denn er unterhielt sich mit Carmen. Ich ging zwischen Jörn und Matty, und Herr Alois lief mit eifrig wedelndem Schwanz neben Diana her.
„Ein treuer Verehret“, sagte Jörn und zwinkerte mir zu.
Ich mußte lachen, denn ich wußte genau, daß er nicht nur Herrn Alois damit meinte, der die viel größere Jagdhündin schon lange heiß liebte und sich immer wie ein Casanova aufführte, sobald er sie sah.
Es wurde schon dunkel, als wir den Waldsee erreichten. Still und glänzend wie ein Auge lag er in der Mulde. Wir breiteten am Ufer Strohmatten und Kissen aus. Matty schleppte Steine herbei, klebte Kerzen darauf und zündete Räucherstäbchen an.
Im Kerzenschein packten wir das Essen aus. Mikesch kümmerte sich um den Grill, Jörn sah die mitgebrachten Kassetten durch. Ich machte zusammen mit Kirsty den Salat an, und mein Vater verteilte die Pappbecher und Papierteller.
Der Mond stand über dem Wald und überstrahlte die Wiesen und den Weiher mit bleichem Schein. Dagegen flackerten die Kerzenflammen wie Irrlichter im Luftzug.
„Herrgott, wie das hier duftet! “ sagte Mikesch andächtig. „Solche Gerüche gibt’s in der Stadt nicht, wie, Nell?“
„Nein“, sagte ich. „Das nicht und vieles andere ebensowenig. Dafür gibt’s andere Dinge, die auch nicht schlecht sind.“
Wir ließen uns auf den Strohmatten und Sitzkissen nieder. Mein Vater goß jedem einen Becher voll Sekt ein. Dann stießen wir miteinander an.
„Auf die Reitschule!“ sagte Jörn feierlich.
„Auf die Pferde und darauf, daß wir sie behalten können!“ fügte Matty hinzu.
Ich trank einen großen Schluck, denn ich war schrecklich durstig. Die Würstchen begannen auf dem Grillrost zu brutzeln. Jörn streckte sich neben mir im Gras aus; er hatte eine Kassette eingelegt.
Dann war die stille Abendluft plötzlich von Musik erfüllt, die schönste, die ich je gehört hatte. Sie klang ein wenig wie irische Volksmusik. Ich glaubte, das Meer rauschen zu hören, wie es gegen den Strand schlug, und dazwischen den fernen, süßen Klang einer Harfe.
„Wunderschön, nicht?“ sagte Jörn.
Ich nickte. „Was ist das?“ fragte ich leise.
„Eine Melodie von Alan Stivell“, erwiderte Mikesch.
„Stivell ist Bretone. Die Musik die er macht, ist eine Mischung aus irischer und bretonischer Folklore. Hier hat er eine alte Sage von der Stadt Ys vertont, die angeblich zur Strafe für die Sünden ihrer Bewohner vor langer Zeit vom Meer verschlungen wurde.“
Wir lauschten wie verzaubert. Keine Musik hätte besser zu dieser Spätsommernacht passen können, zum mondbeschienenen Weiher, den flackernden Kerzenlichtern, dem Duft der Wiesen und Wälder. Wir waren so entrückt, daß wir die Würstchen anbrennen ließen.
„Hier stinkt’s“, sagte Carmen plötzlich.
Mikesch sprang auf. „Das sind die Schweinswürstl! Zum Teufel, hoffentlich sind sie nicht schon ganz verkohlt!“
Sie waren noch eßbar, wenigstens die Hälfte davon. Wir teilen sie redlich untereinander. Ich fühlte mich herrlich leicht und sorglos vom Sekt, den ich so rasch auf den nüchternen Magen getrunken hatte; „abgehoben“, nannte Jörn diesen Zustand. Er selbst war auch ein bißchen „abgehoben“, sah lächelnd in die Kerzenflammen, summte vor sich hin, griff mit einem Mal über die Strohmatte und nahm wie selbstverständlich meine Hand.
Ich hatte plötzlich das seltsame Gefühl, daß mein Arm bis zur Schulter hinauf ganz warm und zugleich schwach wurde. Doch ich tat so, als wäre gar nichts los, antwortete lachend auf eine Frage, die Mikesch mir gestellt hatte, und warf dabei einen verstohlenen Blick auf Carmen. Glücklicherweise beobachtete sie uns nicht. Sie lag neben Matty auf dem Bauch, zupfte an einem Grashalm und erzählte ihm etwas. Ich war erleichtert. Wenn sie gesehen hätte, wie Jörn meine Hand nahm, hätte sie das bestimmt traurig gemacht, und das wollte ich nicht.
Eine ganze Weile ließ er meine Hand nicht los. Wir sahen uns nicht an, sprachen kein Wort. Jörn lag auf dem Rücken und sah zum Himmel auf, und ich erlebte ein ganz ähnliches Gefühl wie vorher bei der Musik von Alan Stivell.
Plötzlich richtete sich Jörn auf. „Wollen wir baden?“ fragte er.
Er sagte es laut, doch mir war, als hätte er nur mich gefragt. Ich nickte schweigend, stand auf und zog das Leibchen und den Rock aus. Meinen Bikini trug ich darunter. kirsty und mein Vater meinten, ihr Magen wäre im Augenblick zu voll, um ins Wasser zu gehen, und Carmen hatte keinen Badeanzug mitgebracht. So blieben nur Jörn, Matty, Mikesch und ich übrig.
Das Wasser war unbeschreiblich schön – weich und warm und gleichzeitig doch erfrischend. Die letzten Seerosenblüten glänzten wie Paradiesblumen. Es roch nach Moor und Schlingpflanzen. Sogar die Entengrütze sah im Mondlicht schön aus.
„Wenn jetzt eine Nixe aus dem Wasser gestiegen käme, würde mich das überhaupt nicht wundern“, sagte Mikesch.
Lachend erwiderte Matty etwas, doch ich schwieg. Ich mochte jetzt nicht reden, und Jörn ging es offenbar ebenso. Ich hörte nur das leise Plätschern des Wassers, wenn er die Arme und Beine bewegte, und sah den dunklen Umriß seines Kopfes neben mir. Wie auf ein geheimes Zeichen hin schwammen wir beide von Matty und Mikesch weg, auf die überhängenden Weiden am anderen Ufer des Weihers zu.
Hinter uns erklang Kirstys helles Lachen. Irgendwo am Waldrand stöberten Diana und Herr Alois einen Fasan auf, der mit erschrockenem Schimpfen aufflatterte. Mein Vater rief die Hunde zurück. Matty bat Mikesch, ihm Delphinschwimmen beizubringen.
Das alles hörte ich wie aus Weiter Ferne. Für kurze Zeit waren Jörn und ich in einer eigenen Welt, wie durch eine unsichtbare Schranke von den anderen getrennt.
Jörn erreichte die tiefhängenden Weidenruten als erster. Er hob den Arm, griff nach den Zweigen, hielt sich fest und wartete, bis ich kam.
Dann schaukelten wir nebeneinander im Wasser. Ein leichter Wind ging. Mein Fuß streifte Jörns Bein.
Wir schwangen hin und her, drehten uns mit der Bewegung des Wassers und der Weidenzweige – voneinander weg, nebeneinander her, zueinander, wie es sich gerade ergab. Und als wir so zueinandergetrieben wurden, berührten sich unsere Hüften und Oberkörper wie von selbst. Jörns erhobene Arme streiften die meinen.
Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht – oder war es der Nachtwind?
Und es war wie zufällig und selbstverständlich, daß sich auch unsere Lippen berührten. Wir küßten uns, kurz und leicht nur. Dann wurden wir von der sanften Strömung, dem Rhythmus des Wassers und des Windes wieder auseinandergetrieben.
Während der ganzen Zeit sprachen wir kein Wort. Wir haben auch später nie darüber geredet. Plötzlich kamen Matty und Mikesch angeschwommen, und der Zauber war gebrochen.
Wir gingen bald darauf aus dem Wasser und entdeckten, daß wir keine Handtücher mitgenommen hatten. Rasch schlüpften wir in unsere Kleider, denn unsere nasse Haut lockte die Mücken herbei. Dann zündete Matty die letzten Räucherstäbchen an und begann leise auf seiner Mundharmonika zu spielen.
Die Kerzen waren abgebrannt. Wir hatten nur noch das Licht des Mondes, der Sterne und die letzte verlöschende Glut des Grillfeuers.
Mikesch setzte sich zu meinem Vater und Kirsty und unterhielt sich mit ihnen. Carmen, Jörn und ich kauerten um Matty herum. Wir summten und pfiffen leise mit, denn er spielte eine Melodie, die wir alle kannten: Swanee River.
Jörn kauerte wieder neben mir, doch er nahm meine Hand nicht mehr. Ich fand das auch richtig so, weil Carmen uns gegenübersaß. Im Augenblick war ich wunschlos glücklich und träumte vor mich hin. Diese Nacht war einfach vollkommen; sie hätte nicht schöner sein können. Später dachte ich oft, daß sie eigentlich der Abschluß dieses reichen Sommers war.