Читать книгу Reiterhof Dreililien Sammelband - Ursula Isbel - Страница 31
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ОглавлениеDie scheue, mausgraue Sabine Mayreder hatte nur ausgesprochen, was ich die ganzen Tage über längst geahnt hatte. Ich hatte es nur nicht wahrhaben wollen; doch es traf mich deshalb nicht weniger.
Plötzlich war mir der Reitschulbetrieb gleichgültig. Ich wäre am liebsten verschwunden, hätte mich irgendwo verkrochen, doch ich tat es nicht. Ich fühlte mich verpflichtet, zu bleiben. Schließlich war das mit der Reitschule meine Idee gewesen. Da konnte ich nicht einfach weglaufen und so tun, als ginge mich alles nichts an.
So blieb ich, wartete, bis auch noch die beiden anderen Reitschülerinnen kamen, die für diesen Tag angemeldet waren – zwei elfjährige Freundinnen aus Frasdorf, die mit den Fahrrädern auftauchten –, und half dann, die Pferde zu satteln und zu zäumen.
Zum Glück konnte ich diese Handgriffe nun schon fast automatisch, so daß keiner merkte, daß ich mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Mikesch hatte vorgeschlagen, daß die Reitschüler gleich von Anfang an das Satteln und Zäumen lernen sollten, damit sie diese Arbeit später vor den Reitstunden selbst übernehmen konnten. So erklärte er langsam die verschiedenen Handgriffe und sattelte und zäumte Julka und Emily zusammen mit den Zwillingen, während ich Martina half, einem der Frasdorfer Mädchen. Ihre Freundin Lisa war zusammen mit Matty in Solveigs Box, Carmen half Roddy mit Rapunzel und Jörn Sabine Mayreder mit Eileen.
Die Mayreders und der Vater der Zwillinge standen auf der Stallgasse und sahen zu. Gelegentlich stieß Frau Mayreder hysterische Warnschreie aus. Sie fürchtete wohl, ihre Tochter könnte von Eileen zertrampelt oder zerfleischt werden.
Um sie abzulenken, machte Mikesch ein paar Witze, über die besonders die Zwillinge ausgiebig lachten. Neben mir kicherte Martina vor sich hin. Mir aber war nicht zum Lachen zumute. Während ich den Ausbindezügel aus der Sättelkammer holte, kam ich an Hazels Box vorbei, sah ihre traurigen Augen und hätte mich am liebsten in eine Ecke gesetzt und losgeheult.
Später marschierte die ganze Gruppe aus dem Stall, über den Hof und durch die Tür „In die Kartoffeln“.
Unsere Reithalle konnte sich wirklich sehen lassen, aber auch das tröstete mich nicht. Ich hielt mich abseits, während Mikesch, Jörn, Matty und Carmen sich mit den Reitschülern und den Pferden in der Halle verteilten, um das Aufsitzen zu üben.
Frau Mayreder schwebte wieder in tausend Ängsten. Sie redete auf ihren Mann ein, der erschöpft aussah. Dabei stellte sich Sabine ganz geschickt an. Am leichtesten kamen die Zwillinge in den Sattel. Sie waren gelenkig wie kleine Affen. Roddy wirkte ein bißchen hölzern, und die stämmigen Freundinnen aus Frasdorf, Martina und Lisa, krabbelten und plumpsten herum wie junge Maikäfer.
Plötzlich hielt ich es nicht länger aus und schlich mich davon. Ich ging zur kleinen Koppel, denn ich dachte, es würde mich aufmuntern, Marnie und Nell zu sehen.
Eine Weile beobachtete ich die beiden, wie sie am Waldrand standen und träge mit den Schweifen schlugen. Bald würde Nell zu den anderen Fohlen kommen, um mit ihnen zu spielen, ihre Kräfte mit ihnen zu messen und sich von der Mutter zu lösen. Marnie aber würde vielleicht schon im nächsten Sommer wieder mit einem neuen Fohlen auf der kleinen Koppel stehen. Die beiden kamen ans Gatter. Während ich sie streichelte, schweiften meine Gedanken zu dem Tag zurück, an dem ich Bekanntschaft mit Hazel gemacht hatte – damals in den Osterferien, als ich so widerstrebend mit Vater und Kirsty hierhergekommen war. Hazel war sozusagen meine erste Pferdeliebe gewesen, das erste Pferd, das ich richtig anzufassen gewagt hatte, dem ich Vertrauen geschenkt hatte und das dieses Vertrauen erwiderte. Ja, Hazel vertraute mir. Ich durfte sie nicht im Stich lassen.
Ich überlegte, daß Herr Moberg vielleicht längst über ihr Schicksal entschieden hatte. Er als Pferdezüchter mußte wissen, was es bedeutet, wenn eines seiner Tiere die Hufrehe hatte. Für ihn war Hazel ja nur ein Pferd wie jedes andere, eine Geldanlage, die sich lohnen mußte. Er würde wohl kaum bereit sein, Hazel das Gnadenbrot zu geben; und weder Matty noch Jörn hatten die Macht, ihn umzustimmen.
Ich durfte nicht abwarten, bis Hazel eines Tages abtransportiert war, wenn wir aus der Schule zurückkamen. Ich mußte etwas unternehmen, und zwar schnell.
In meiner Kommodenschublade lag zwischen der Wäsche ein Umschlag mit dreihundertzehn Mark. Die hatte ich für ein neues Fahrrad gespart. Doch was bedeutete mir ein Fahrrad gegen ein Pferd wie Hazel? Ich konnte weiter mit dem alten Rad fahren, auch wenn die Vorderbremse nicht mehr richtig funktionierte, auch wenn es keine Gangschaltung hatte.
Ich gab Nell einen Klaps auf den Hals und wandte mich entschlossen ab. Ich mußte mit Herrn Moberg sprechen, jetzt sofort. Das war so ziemlich das Unangenehmste, was ich mir vorstellen konnte. Ich fürchtete seine mürrische, abweisende Art. Vielleicht wußte er nicht einmal, wer ich war. Er hatte bisher immer durch mich hindurchgesehen, als wäre ich Luft für ihn.
Trotzdem mußte ich um Hazels willen diese Unannehmlichkeit auf mich nehmen. Ich ging den Pfad entlang auf den Hofplatz und durch den alten Torbogen.
Von der Reithalle her erklangen Stimmen. Ein Pferd wieherte. Diana heulte irgendwo im Haus; Jörn hatte sie für die Dauer des Reitunterrichts eingeschlossen. Eine der Katzen saß auf dem Brunnenrand und putzte sich.
Langsam ging ich über das abgetretene Pflaster. Jeder Schritt kostete mich Überwindung. Die Tür des Wohnhauses stand offen. Ich trat über die Schwelle; drinnen war es kühl und dämmerig. Von irgendwoher hörte ich Geschirrklappern.
Minutenlang blieb ich in der Halle stehen und wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. Dann klappte irgendwo eine Tür. Ich ging in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah eine Gestalt am Ende eines langen Korridors.
„Hallo!“ sagte ich halblaut. „Könnte ich Herrn Moberg sprechen, bitte?“
Es war Frau Moberg. Sie hastete auf mich zu, sah mich verwirrt an und erwiderte: „Ach, du willst meinen Mann sprechen? Hm. Ja, ich glaube . . . Ich denke, er ist in seinem Arbeitszimmer. Warte, ich bringe dich hin.“
Ich folgte ihr den Flur entlang. Überall hingen Gemälde mit Jagdszenen und Pferdeköpfen und dazwischen Porträts von würdigen Herren. Ein verschossener Samtvorhang bewegte sich leicht im Luftzug.
Frau Moberg klopfte an eine Tür, erhielt aber keine Antwort. Erst als sie dreimal geklopft hatte, rief eine barsche Stimme: „Was ist denn los?“
Sie warf mir einen erschrockenen Blick zu, öffnete die Tür und sagte atemlos: „Entschuldige, da ist das junge Mädchen . . . die Freundin von Matty und Jörn. Sie möchte dich sprechen.“
Ich trat ins Zimmer, und sie schloß die Tür hinter mir. Meine Knie waren seltsam weich, meine Hände zitterten. Ich war wütend über meine eigene Ängstlichkeit; schließlich hatte ich nichts ausgefressen, und Herr Moberg war nichts als ein mürrischer kleiner Tyrann, der seine Verzweiflung über sein Gebrechen an anderen Menschen ausließ.
Er saß am Schreibtisch. Eine Weile ließ er mich wie eine Bittstellerin im Zimmer stehen, ehe er den Kopf nach mir umwandte. Dann sagte er unfreundlich: „Was willst du? Wenn’s Schwierigkeiten mit dem Reitschulbetrieb gibt, dann ist das nicht meine Sache. Es war eure Idee. Seht jetzt auch zu, wie ihr damit zurechtkommt.“
Meine Schüchternheit verwandelte sich in Angriffslust. Ich zeigte es jedoch nicht. Statt dessen versuchte ich, ein höfliches Gesicht zu machen und erwiderte: „Es geht nicht um die Reitschule, Herr Moberg. Ich wollte wegen Hazel mit Ihnen reden.“
„Hazel? Die Stute mit der Hufrehe?“ Er stieß sich vom Schreibtisch ab, so daß sein Drehstuhl eine halbe Wendung machte, und musterte mich. „Was hast du damit zu tun?“
Ich biß die Zähne zusammen. „Ich habe Hazel sehr gern“, sagte ich dann mit erzwungener Ruhe. „Sie ist . . . Hazel ist ein wunderbares Pferd. Sie ist klug und treu und gutmütig und . . .“
Ich stockte, denn Herr Moberg machte eine ungeduldige Handbewegung. Es war wohl sinnlos, von diesem Mann Verständnis für Gefühle zu erwarten.
„Wollen Sie Hazel behalten, auch wenn sie nicht wieder gesund wird?“ fragte ich geradeheraus.
Er sah mich erstaunt an. Ich erwartete schon, daß er mich fragen würde, was zum Teufel mich das angehe, docb er tat es nicht. Statt dessen schwieg er einen Augenblick.
„Sie wird nicht wieder gesund“, erwiderte er dann. „Ich habe gestern mit dem Tierarzt gesprochen. Die Hufe sind schon geschädigt. Vielleicht könnte man später mit einem Spezialbeschlag etwas bessern, aber die Stute könnte im besten Fall nur noch auf weichem Grund sehr vorsichtig geritten werden. Mit so etwas können wir uns hier nicht belasten. Für die Zucht kann ich sie auch nicht mehr brauchen, und ein Verkauf ist unter diesen Umständen wohl ausgeschlossen.“ Er runzelte die Stirn. „Ich bin Pferdezüchter und kein Betreiber eines Tierasyls, junge Dame. Ich habe weder das Geld noch die Zeit für Rührseligkeiten.“
Ich steckte die Hände in die Hosentaschen, als könnte ich dadurch mehr Halt finden. „Dann werden Sie Hazel also zum Abdecker bringen?“ fragte ich; und obwohl ich gerade vor ihm keine Schwäche zeigen wollte, zitterte meine Stimme.
Sein Blick wich dem meinen aus. Er sagte: „Der Tierarzt meint, wir sollten noch ein paar Tage abwarten. Aber es wird wohl darauf hinauslaufen, daß wir sie in die Tierkörperbeseitigungsanstalt bringen müssen, ja. Warum sollte ich es beschönigen?“
Ich trat einen Schritt vor. „Wenn ich Ihnen die gleiche Summe für Hazel zahlen würde, die Sie dort bekommen, würden Sie sie dann mir verkaufen?“
„Dir?“ Erst jetzt hatte ich das Gefühl, daß er mich richtig wahrnahm. „Du wohnst mit deinem Vater und Karens Nichte im Kavaliershäusl, nicht?“
„Ja“, sagte ich.
Herr Moberg seufzte. „Es geht doch nicht um den Verkaufspreis; der fällt in diesem Fall kaum ins Gewicht. So ein Pferd kostet eine Menge Unterhalt. Allein schon der Stallplatz hat seinen Preis. Dann das Futter, die Pflege. Tierarzt, Hufschmied – “
Ich unterbrach ihn. „Aber ich könnte Hazel zu mir nehmen! Und für das Futter würde mein Taschengeld reichen. Lassen Sie das nur meine Sorge sein!“
Ich wußte zwar nicht, was mein Vater und Kirsty dazu sagen würden, wenn ich plötzlich mit einem Pferd vor der Tür stand und es im Holzstall unterbringen wollte. Aber das war mir im Augenblick egal.
Herr Moberg nickte. Plötzlich und ganz überraschend erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Du hilfst ja schon den ganzen Sommer bei uns im Stall“, sagte er. „Ich habe das schon bemerkt. Wenn du Hazel kaufen willst und für ihr Futter bezahlst, kann sie als Gegenleistung für deine Arbeit bei uns im Stall bleiben; und das Gras auf unseren Koppeln kann man ihr wohl auch noch vergönnen.“
Ungläubig starrte ich ihn an. Sollte das heißen, daß er einverstanden war? Sollte das bedeuten, daß er Hazel an mich verkaufen wollte, daß sie mir gehören würde, daß niemand sie von hier wegbringen durfte ohne mein Einverständnis?
„Wieviel wollen Sie für Hazel haben?“ fragte ich. Diesmal zitterte meine Stimme hörbar.
„Dreihundert Mark“, erwiderte er ruhig.
Ich nickte. „Ich bringe Ihnen das Geld heute abend.“ Dann ging ich aus Herrn Mobergs Arbeitszimmer und schloß die Tür hinter mir. Meine Knie waren wie Pudding. Mir war zumute, als hätte ich eine Schlacht geschlagen.