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Meine Schwiegersöhne
ОглавлениеImmer war ich darauf aus, mit meinen Schwiegersöhnen in gutem Einvernehmen zu leben. Es wäre mir peinlich gewesen, als eine sprichwörtliche Schwiegermutter dazustehen: rechthaberisch und böse. Wenn ein neuer Schwiegersohn ins Haus kam, zeigte ich mich gastlich und freundlich. Ich ermunterte ihn, von sich zu erzählen, hörte zu, zeigte mich interessiert, wenn er von seinen Lebensplänen sprach. Mit meinen eigenen Vorstellungen hielt ich mich zurück, ich wollte nicht, dass er mich gleich als ein überholtes Inventar identifiziert. Er sollte mich nicht gleich als eine Person ausmachen, die irgendwie übriggeblieben ist. Deshalb tat ich alles, um nicht ungünstig aufzufallen. Immerhin ging es um meine Tochter und sie ist mir so wichtig, wie sonst nichts.
Dass ich so in der Mehrzahl von Schwiegersöhnen spreche, könnte ein schlechtes Licht auf sie werfen. Aber das ist nicht berechtigt, sie ist treu und gehorsam gegenüber ihren Männern. Ja, da kommt sie nach der Mutter, die ich bin und die auch immer treu ihren Partnern zur Seite stehen wollte. Genau genommen ist es nur ein Schwiegersohn, mit dem meine Tochter jetzt schon viele Jahre zusammenlebt, er ist ihr Mann und ich bin froh, dass sie sich wohl fühlt bei ihm. Die anderen Schwiegersöhne sind verflossene und ich weiß gar nicht, warum sie mich noch beschäftigen. Aber auch meine Tochter interessieren sie noch, ich merke es manchmal, wenn sie über Vergangenes spricht. Dann betont sie immer, dass jetzt alles ganz anders ist.
Den ersten jungen Mann, den meine Tochter ins Haus brachte, hätte ich gern als Schwiegersohn behalten, denn er erschien mir ordentlich, fleißig und zuverlässig. Aber meine Tochter hatte manches an ihm auszusetzen, er war ihr zu bieder. Sie suchte einen interessanteren Menschen, erklärte sie mir damals. Alle Freunde, die sie nach dem ersten kennenlernte, habe ich nicht gesehen und kann von daher nicht beurteilen, ob auch sie in die Reihe der interessanten Männer gehören, denen ich später begegnen konnte. Der erste, der dann ein Schwiegersohn von mir wurde, war ein großes Redetalent. Er konnte nicht nur mich und meine Tochter, nein eine ganze Gesellschaft konnte er bereden, so, dass alle erlahmten und jeder sich hütete, auch nur einen Laut des Widerspruchs von sich zu geben, weil die Angst um sich griff, er würde erneut das Füllhorn marktwirtschaftlicher Novitäten und seiner Einsichten in sie über die Tischgesellschaft ausbreiten. So schwiegen denn alle anderen und ich sagte mir, ein so pfiffiger Mann, der die neuen Bedingungen so schnell erkannt hat, wird sicherlich sein Glück machen, nicht zum Schaden meiner Tochter. Sie machte zwar kein sehr glückliches Gesicht zu seinen Eröffnungen, weil ihr auffiel, wie er sie in seine Vorstellungen um unternehmerische Aktivitäten einband. Er verplante ihre Arbeitskraft und disponierte ihre Zeit. Mehrmals habe ich erlebt, wie sie ihm schüchtern widersprach, aber er wischte ihre Bedenken mit einer Handbewegung fort und prophezeite, dass sie ihre Arbeit in Kürze ohnehin verlieren würde, womit er richtig lag. Und jetzt, meinte er, käme es auf Disponibilität an, sie würde sehen. Sie wäre dann frei, sich in seine Pläne einzubringen. Dabei schüttelte er mit einem kühnen Schwung eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihm über die Augenbraue gerutscht war. Seine Augen waren hell, er riss sie groß auf. Ein bisschen hat er etwas von einem aufgescheuchten Huhn, dachte ich damals, aber ich fand ihn tüchtig und lernfähig, ganz wie es die neue Lage verlangte. Und das bewies er. Er machte sich selbständig, seine Unternehmungen waren breit gestreut. Das wäre jetzt angesagt, erläuterte er, sollte er vielleicht noch heute in einem Betrieb arbeiten, der sich in Abwicklung befand? Marktwirtschaftliche Pionierarbeit wäre jetzt hier, im Osten, zu leisten und er gehört zu denen, die es anpacken. Ja, er besaß Selbstbewusstsein, strahlte Zuversicht aus, er hatte das Zeug zum Gewinner. Davon waren wir alle überzeugt, nicht nur meine Tochter.
Innerhalb von zwei Jahren richtete er drei Büros ein, in denen die Leute ihre neuen Autos versicherten und sich wegen ihrer finanziellen Lage und Anlage beraten lassen konnten. Auch zwei Reisebüros eröffnete er und einen Tretboot- und Surfbrettverleih an den Gestaden des heimischen Müggelsees. Wirklich erfolgreich! In allen Büros hatte er Angestellte, die meine Tochter kontrollieren musste. Sie war ständig auf Achse, wusste nicht, was sie zuerst tun sollte, aber sie hoffte, dass, wenn alles lief, auch für sie das Leben ruhiger werden würde und sie sich wieder mehr ihrem Kind widmen konnte. Sie verdienten gut in dieser Zeit und er war seinem Traum ganz nahe, über viel Geld verfügen zu können. Nun trug er sich mit dem Gedanken, sich aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen. Mich, seine Schwiegermutter, überraschte er mit solchen Ideen sehr, denn ich hielt ihn, offen gestanden, für einen Leistungsmenschen. Da lachte er nur und schüttelte den Kopf. Nein, wenn alles eingespielt ist, würde sich das Geld von selbst mehren und er konnte dann seinen Neigungen leben: Surfen, Reisen, Tauchen, gehobene Konsumgenüsse eben. So machten es die reichen Leute alle!
Noch bevor meine Tochter sich mit ihm über solche Aussichten verständigen musste, kam ein Sturm und zerschlug einen Teil der Boote, die nicht versichert waren. In der Zeit blieb auch ein Teil seiner Autokunden weg, weil sich inzwischen andere Firmen als preisgünstiger erwiesen hatten. Es gab jetzt viele Reisebüros und trotz des anhaltenden Interesses, kamen weniger Kunden in seine Läden. Die Leute zögerten, verglichen, ehe sie buchten. Ja, das Geschäft war schwieriger geworden, aber er würde es auch jetzt packen. Davon hat er auch mich überzeugt. Denn er hatte einen günstigen Finanzrahmen von der bayrischen Vereinsbank. Der Bank war er seit 1990 ein guter Kunde, obwohl er eigentlich keine Sicherheiten bot. Die würden sich hüten, ihre Hand von ihm abzuziehen, dann waren sie einen verlässlichen Zinszahler los. Davon hatten sie nichts und er nichts, verlautete er triumphierend.
Als er meine Tochter in die Betreuung der Clubreisen, die er verkaufte mit einspannte, widersprach sie ihm das erste Mal entschieden. Denn sie sollte mit all ihren Talenten, mit Gesang und Gitarre, mit Fitness Programm, Ganzkörper- und Fußreflexzonenmassage, mit Chi Gong und Tai Shi den Gruppen und den Einzelreisenden zur Verfügung stehen. Natürlich müsste sie dafür vor Ort sein, aber das wäre nicht schwierig, heute, wo man mühelos und billig hin und her jetten konnte zwischen den nordafrikanischen Urlaubsorten und Berlin. Man würde ungeheurer verdienen, schwärmte er. Er könnte dann für ihre Dienste einen Aufpreis nehmen und sie konnte am Ort noch weitergehende Wünsche der Reisenden erkunden und gegebenenfalls erfüllen. Ja, Ideen müsste man haben. Ihren Widerspruch wischte er wie einen Krümel weg und ging für vier Wochen auf Reisen, um in den Urlaubsorten die Bedingungen für ihren neuen Job zu klären.
Als er zurückkam war sie fortgegangen. Mich hat sie damals nur telefonisch über die Änderung verständigt. Ja, sie wohne bei einem sehr netten Kollegen. Eigentlich wunderte ich mich nicht, ich hatte mich eher gewundert, dass sie es so lange aushielt mit diesem Mann, aber wir beide sind treu und auf Anerkennung aus und haben wenig gelernt, uns zu wehren. Sie solle nur nichts überstürzen riet ich ihr. Bei diesen Worten hatte ich den Kollegen im Sinn, bei dem sie nun mit dem Kind wohnte.
Es dauerte nicht lange und sie stellte mir den Kollegen vor. Es war ein netter Mann, er sah gut aus, war eine gepflegte Erscheinung, begegnete mir freundlich und höflich. Freundlich ging es auch diesmal am Kaffeetisch zu. Er erzählte von der Abwicklung der NVA Einheit, bei der er zuletzt als Offiziersanwärter gedient hatte. Nein, einfach auf eine neue Fahne und einen neuen Herrn schwören, da habe er Schwierigkeiten. Deshalb hat er sich auch nicht neu beworben für die Bundeswehr. Nun sei er dabei, Marktwirtschaft zu lernen, Finanzberatung, damit möchte er sein Glück versuchen. Er machte mir einen redlichen und bescheidenen Eindruck, wirkte nicht so großspurig wie der verflossene Mann. Leider hielt die neue Beziehung nicht lange, obwohl sie mir als Paar immer einen glücklichen und harmonischen Eindruck machten, wenn ich mit ihnen zusammensaß. Meine Tochter gestand mir erst später, dass sie mit ihrem Gehalt für Bankkredite gebürgt hatte, die sie nun zurückzahlen muss. Man pfändete ihr Monatseinkommen und es blieb nur wenig von dem Verdienten. Betrogen fühlte sie sich trotzdem nicht, denn sie hatte aus freiem Stücken ihm helfen wollen bei der Gründung seiner neuen Existenz und natürlich war sie davon ausgegangen, dass sie zusammenblieben. Etwas Neues zu beginnen, war eben nicht so einfach. Das es schief gehen würde, ahnte weder er, noch sie, natürlich hat er auch nicht richtig hingeschaut bei den Verträgen, die er unterschrieb. Aber sie war auch nicht wacher und nun saß sie in der Schuldenfalle.
Mit dem jetzigen Schwiegersohn lebt meine Tochter nun schon lange zusammen, obwohl sie mit ihm nicht verheiratet ist. Das verbietet sich, weil auch er aus nicht ganz glücklich verlaufenden Geschäftsunternehmungen Gläubiger zu befriedigen hat. Und eine Ehe, in der zweierlei Schuldner mit verschiedenen Belastungen und unterschiedlichen Gläubigern zusammentreffen, ist finanz- und steuertechnisch einfach nicht zu bewältigen. So behält jeder seine eigenen Schulden. Das Geld, von dem sie leben, ist eigentlich gar nicht vorhanden. Von dieser Tatsache muss sich von Zeit zu Zeit auch der Gerichtsvollzieher überzeugen, weil ihre und seine Gläubiger auch noch nach Jahren keine Ruhe geben. Aber es sind keine armen Geldinstitute, die hier auf ihr Geld sehen. Denn sonst hätten sie den Aufwand längst gescheut, der es bedeutet, fortwährend Gerichte und Behörden mit der Sache zu beschäftigen. Sie hoffen immer noch, etwas eintreiben zu können. Aber inzwischen haben meine beiden viel Geschick erworben, ihre Anschaffungen vor dem Kuckuck zu bewahren. Glücklicherweise meldet sich der Verteiler für diesen nicht seltenen Papiervogel vorher immer an. Dann schleppen sie den Fernseher, das Videogerät und den PC in den Keller. Eine weiß gestrichene Pappwand verschließt dann den Durchgang zur zweiten Wohnung, die sie bewohnen. Natürlich müssen sie früher als gewöhnlich aufstehen, wenn er sich wieder angemeldet hat. Aber das nehmen sie in Kauf, besonders mein Schwiegersohn ist darauf aus, auf einer ganzen Etage zu residieren. Er als Immobilienhändler, braucht ein entsprechendes Ambiente, um seine Kunden zu überzeugen. Das verstehe auch ich, seine Schwiegermutter, obwohl ich gestehe, als eine altmodische Person, gewisse Probleme mit solcherart Existenzgestaltung zu haben. Aber langsam fällt das von mir ab. Denn immer, wenn ich zu ihnen komme und mich in diesem Komfort umsehe, bin ich entzückt. Auch mit dem Schwiegersohn stehe ich auf gutem Fuß, er begegnet mir aufgeschlossen und nett und meine Tochter ist glücklich mit ihm. Nur, wenn die Amtsperson sich wieder anmeldet wirkt sie etwas nervös.
2002