Читать книгу Erzähltes Leben - Ursula Reinhold - Страница 8
Fußball- Europa- Meisterschaften
ОглавлениеIm Allgemeinen sind wir eine friedliche Fernsehfamilie. Das versteht sich durchaus nicht von selbst, wie ich von meiner Freundin weiß, die sich gezwungen sah, auf ein eigenes Fernsehgerät zu bestehen, weil die Interessen ihres Mannes nicht immer den ihrigen entsprechen. Das da ganze zwei Menschen nicht unter einen Hut kommen, konnte ich mir bisher gar nicht vorstellen. Aber ich hab gut lachen, in dieser Beziehung, ich habe ein Fernsehgerät ganz für mich allein. Das ist natürlich auch für mich nicht selbstverständlich, denn ich lebe in einer Großfamilie, vier Generationen unter einem Dach. Aber das Gerät hab ich mitgebracht, dorthin, wo ich jetzt wohne. Tochter, Schwiegersohn, heranwachsende Jungen, eine Enkeltochter und eine Uroma gehören dazu.
Meine kleine Wohnung liegt im ersten Stock des noch nicht ganz abgezahlten Mehrfamilienhauses, zu dessen Bau sich meine Kinder vom Vertreter eines Bausparfinanzierers haben überreden lassen. Aber auch wir haben damals unsere Zustimmung gegeben, meine Mutter und ich. Dass sie sich haben überreden lassen, sage nur ich so, weil ich manchmal das Gefühl habe, sie fühlen sich beengt durch uns zwei verschiedene Alte. Nicht nur, dass ich die kleine Wohnung im 2. Stock bewohne, wo sonst vielleicht die Kinder hätten unterkommen können, die nun unterm Dach, unter den Mansarden leben, sondern sie mussten ja auch der Uroma ein Zimmer einräumen, gleich unten, neben der Küche zu ebener Erde, da sie die Treppen nicht mehr steigen kann. Auch dieses Zimmer hätten sie vielleicht doch lieber selber gebrauchen können, für die gemeinsamen Mahlzeiten, die nun immer in der Küche stattfinden müssen. Aber da wir beide, meine Mutter und ich, regelmäßige Zahlungen aufs Konto zu erwarten haben, für´s erste jedenfalls, waren wir im Finanzierungskonzept des Immobilienberaters von Anfang an ein fester Posten, auf den meine Kinder nun nicht so einfach verzichten können.
Aber, wie gesagt, wir sind eigentlich eine friedliche Familie, niemals würden die Jungen gegen uns Omas irgendetwas laut werden lassen von dem, was sie vielleicht denken. So dass die Befürchtungen, die ich vorbringe, alles nur Mutmaßungen meinerseits sind, denn ich höre manchmal die Padden pupen, wie meine Mutter mir manchmal vorwirft. Auch die beiden heranwachsenden Söhne und das Mädchen, das mitunter etwas zickig wird jetzt, werden sofort von den Eltern zurechtgewiesen, wenn sie einen Ton anschlagen, bei dem zu erkennen ist, dass die Meinungen von uns Alten nur noch belächelt werden.
Aber in den letzten Wochen eskalierte doch der Ton erheblich, gab es andauernden Missmut in der Familie, die Atmosphäre war voller Spannung. Es fing nicht damit an, dass der Uroma der Fernseher aus dem Zimmer geholt wurde, mit ihrem Einverständnis natürlich und ins Zimmer des Älteren der Söhne wanderte, weil der sich weigerte, mit seinem Vater zusammen das Fußballspiel in der ARD anzusehen, das der Vater sehen wollte. Bisher war es so, dass die beiden Jungen, mehr oder weniger murrend, sich der väterlichen Neigung fraglos unterworfen hatten. Jetzt wollte der Ältere die andere Mannschaft spielen sehen, die das ZDF zeitgleich übertrug.
Dem jüngeren der Brüder war es eigentlich egal, welchem Fußball er zusah, aber er freute sich insgeheim, dass der Ältere einlenken sollte gegenüber dem Vater. Denn sonst war er selbst immer derjenige, der sich den Wünschen des anderen fügen musste. Das kleinere Mädchen schaute neugierig vom Vater zum Bruder, die beide mit hochroten Köpfen heftig stritten und sah erwartungsvoll und etwas ängstlich auf die Mutter. Für sie war egal, wie der Streit ausging, sie hatte zum Fußball keine Meinung, aber sie wollte auf jeden Fall dabei sein. So ertrug sie fraglos das Fußballdiktat der männlichen Familienmitglieder, egal ob Vater oder Brüder. Sie war immer die letzte, aber irgendwie wollte sie Bescheid wissen, um bei den Brüdern mitreden zu können, gut angeschrieben zu sein bei denen.
Bisher hatte sich der Vater mit seiner Autorität in Sachen Fußball immer mühelos durchsetzen können, aber plötzlich kündigte der Fünfzehnjährige die Fußballgefolgschaft auf und behauptete dem Vater gegenüber sein eigenes Interesse : „Nicht mehr mit mir“, warf er dem aufgebrachten Vater an den Kopf, der sich wütend auf sein Expertentum berief. Nach tagelangen Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn war die Mutter, meine Tochter, der Verzweiflung nahe. Sie fürchtete für den Sohn eine lebenslange Schädigung seines Selbstwertgefühls und seiner Selbstbestimmungsfähigkeit, wenn sie ihm nicht half, sich gegen die väterliche Autorität zu behaupten. Wenn sie es geschehen ließ, so krankte er vielleicht noch mit vierzig an entsprechenden Komplexen herum, ließ sie mich wissen und man stelle sich das Familienleben vor, das er dann führen wollte. Also in Besorgnis um postpubertäre Traumata und nachwirkende Folgen der väterlichen Autoritätsausübung bei ihrem Älteren, brachte meine Tochter die Idee mit Uromas Fernseher ins Gespräch.
So recht begeisterte diese Idee zunächst niemanden. Der Vater fand, dass die Mutter die Aufsässigkeit des Sohnes unterstütze und fühlte sich von ihr in seinen Erziehungsgrundsätzen hintergangen. Meine Tochter hatte auch ein schlechtes Gefühl, der Uroma wegen, die nun ohne Fernseher saß. Aber da sie ja doch meistens früh schlafen ging, mache es ihr nichts aus, versicherte meine Tochter mir gegenüber. Sie wusste natürlich genau, dass die alte Frau ihren Apparat des nachts einschaltete, wenn sie der ersehnte Schlaf floh.
Auch der ältere Sohn war über die von der Mutter vorgeschlagene Variante gar nicht glücklich. Denn er hatte nun keinen Grund mehr, das Haus zu verlassen, um mit den Fans seines Vereins zu feiern, ohne die Alten. Es missfiel ihm, dass die Kontroverse mit dem Vater so schnell beendet sein sollte. Irgendwie wollte er dem doch mal zeigen, wie eine Harke aussieht, wird er gedacht haben, denke ich mir.
Ich bin natürlich erleichtert, dass mein Apparat außerhalb der Familienvorplanung geblieben ist, so kann die Tochter in mein Zimmer kommen und etwas ansehen, was sie interessiert. Aber das ist nicht so leicht zu haben, bei uns draußen im Walde, wo die Satellitenschüssel hin und her schwankt und nur wenige Sender ohne lästige Werbung hinreichen. Meistens blieb sie dann in der Küche sitzen oder ging mit einem Buch ins Bett, was nicht das Schlechteste ist, darin stimmten wir beide überein, meine Tochter und ich.
Meine Bemerkung, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem Patriarchat in der Familie zuarbeitet, qualifiziert sie als eine meiner typischen Übertreibungen. Gute Nacht, wünscht sie mir dann!
2004