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Erst im März hatte die Sonne genug Kraft, die Nebel des langen Winters endgültig zu vertreiben. Zwischendurch hatten nur selten Stürme, die heulend über das flache Land brausten, den Blick in den Himmel und in die Weite frei gefegt.

Emma atmete auf, als der Frühling sich endlich ankündigte. Die Aussaaten waren schon in vollem Gang und auch Emma fand sich nach der Schule regelmäßig im häuslichen Garten ein, um bei der Vorbereitung des Bodens zu helfen. Selbst das Legen der Saaten überließ ihre Mutter zunehmend ihr. Die Niederkunft stand kurz bevor und der nun pralle Schwangerschaftsbauch behinderte ihre Mutter sehr. Vor allem das Bücken bei den Gartenarbeiten, aber auch langes Stehen, fielen ihr immer schwerer. Es war ihre sechste Schwangerschaft und man hätte meinen können, dass ihr diese Situation und die damit einhergehenden Veränderungen ihres Körpers vertraut wären. Im Großen und Ganzen und rein theoretisch betrachtet war das auch so, da sie als Hebamme einiges darüber gelernt hatte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass dieses Mal etwas anders war. Sie empfand ihren Bauch als besonders dick und schwer, und sie spürte den Druck des Ungeborenen bei jedem Schritt unangenehm auf dem Damm, so, als könne dieser jederzeit nachgeben, sie zu Boden reißen und das neue Leben gänzlich unvorbereitet in diese Welt stürzen. Sie fühlte sich wie ein Ballon, doch ohne dessen Leichtigkeit, die sie hätte entschweben lassen können.

Sie wusste, dass die Zeit gekommen war. Jeden Moment konnten die Wehen einsetzen und niemand hätte sich daran gestört. Allein sie selbst fand noch so viel zu erledigen, so vieles, was sie weder ihrer ältesten Tochter noch ihrem Mann überlassen wollte, all diese Kleinigkeiten, für die sie lange Zeit keine Muße finden würde. War es das, was sie zurückschrecken ließ, was ihr Zweifel einpflanzte? Dass dieses Leben immer so weiter gehen würde und dass es vorläufig, solange die Kinder klein waren und womöglich weitere hinzukamen, nicht leichter werden würde? Sie schämte sich fast, an dem zu zweifeln, was ihre Mutter und Großmutter, die Tanten, der Pfarrer und eigentlich fast jeder, den sie kannte, als normales, gottgegebenes Schicksal bezeichneten und selbst hinnahmen. Wenn da Zweifel waren, so sprach niemand darüber. Womöglich hätte man dies als Ketzerei ausgelegt, als Sünde wider die eigene Natur.

Ein kleines, böses Schmunzeln stahl sich in ihr Gesicht, kannte sie doch einige der kleinen Geheimnisse, mit denen diese vorgegebene Natur unterlaufen werden konnte. Die Verwendung von Schweine- oder Schafsblasen beispielsweise, die eine Schwangerschaft verhüten sollten, meist aber nur verzögerten, weil sie irgendwann platzten. Von Methoden, die hinterher anzuwenden waren, hatte sie munkeln hören, aber es widerstrebte ihr, dem ihre Ohren weiter zu öffnen.

Eigentlich konnte sie zufrieden sein, ihr Mann war fleißig und verlässlich und ihm rutschte nur selten die Hand aus. Auch jetzt hatte er die Wiege gerichtet und so wie immer für ihren gemeinsamen Hausstand gesorgt. Es gab keinen Grund, den Lauf der Dinge aufhalten zu wollen.

Emma beobachtete ihre Mutter aufmerksam und sie spürte, dass sie sich sorgte.

"Mama, keine Angst, wenn das neue Baby da ist, helfe ich dir. Ich kann doch wieder ganz gut laufen. Und Tante Thea kommt sicher auch mal vorbei."

Die Mutter starrte sie an, als wäre sie die Pest. Dass dieses Kind sie auch ausgerechnet jetzt daran erinnern musste, dass es da diese höchst ansteckende, unheimliche Krankheit gab.

Ja, natürlich, das war es. Die Sorge, dass sie wiederkommen könnte. Und Emma? Emma war diese Krankheit, eine Personifikation dieser Seuche, gegen die sie machtlos waren.

Die Mutter erschrak über sich selbst. Genauso waren ganze Dorfgemeinschaften im Mittelalter den Pestkranken und den Trägern anderer unheimlicher, weil unheilbarer Krankheiten gegenübergetreten. Im besten Fall hatten sie sie vertrieben.

Sie wusste, dass Emma nichts für ihre Krankheit konnte. Und trotzdem regte sich in ihr diese instinktive Abwehr. So leicht also konnte jemand zum Außenseiter werden, angefangen in der eigenen Familie. Und trotzdem ließ sie die Angst nicht los.

"Mama? Sag doch was!"

Langsam erwachte die Mutter aus ihrer Starre und strich mechanisch ihre Schürze glatt.

"Du kannst die Saaten nochmal angießen, aber vorsichtig, damit sie nicht ausgeschwemmt werden. Wie es aussieht, kriegen wir heute keinen Regen mehr. Ich muss mal einen Moment die Beine hochlegen."

Mit zögernden, breiten Schritten ging die Mutter zum Haus und Emma machte sich an die Arbeit. Zum Glück war die Regentonne unter dem Fallrohr, in der sie das Wasser vom Dach des Hauses auffingen, noch gut gefüllt und sie musste nicht danach pumpen. Sie versenkte die große, schwere Gießkanne aus Zink in dem leicht brackigen Wasser, um sie zu füllen. Gut halb voll, mehr nicht. Sonst würde sie die Kanne nicht mehr heben können. Der Garten war nicht sehr groß, aber doch groß genug, dass Emma fast zwei Stunden beschäftigt war, bis alle Saaten getränkt waren. Als Emma in die Küche kam, suchte ihre Mutter gerade alle Zutaten für das Essen zusammen, das sie heute kochen wollte. Emma verzog das Gesicht. Weiße Bohnen Eintopf. Sie hatte die Schüssel gesehen, in der die Bohnen seit gestern Abend zum Einweichen standen.

Traditionell wurde er bei ihnen mit geräuchertem Schweinespeck angesetzt. Dazu kamen Möhren, Sellerie und Kartoffeln, die den Winter in der Miete im Garten einigermaßen überstanden hatten. Entscheidend war der Speck. War er gut durchwachsen, wurde der Eintopf kräftig und aromatisch. Hatte er jedoch mehr Fett als Fleisch, schwammen alle anderen Zutaten am Ende in einer ekligen Fettbrühe und von Raucharoma keine Spur.

Die Mutter blickte kurz auf.

"Du kannst mir mit dem Gemüse helfen. Fang mal mit den Wurzeln an. Thea ist bei den Nachbarn und kommt erst zum Abendbrot wieder."

Und sie schob ihr einen großen Teller und ein Messer zu. Emma schrapelte also die Wurzeln, wie die Mohrrüben bei ihnen hießen, und schnitt sie in feine Scheibchen, während ihre Mutter die Sellerieknollen zerkleinerte. Ein großer Topf mit Wasser stand bereits auf dem Herd. Die Mutter tat nun das Fleisch und den Sellerie hinein, fügte Salz, Pfeffer und weitere Gewürze hinzu und legte den Deckel auf. Als das Ganze zu kochen begann, kamen noch die abgegossenen weißen Bohnen und die Möhren hinzu. Die Kartoffeln würden nur die letzten zwanzig Minuten mit kochen, damit sie nicht zerfielen.

Als der Eintopf deutlich vernehmbar erneut zu brodeln begann, schob die Mutter den Topf kurz beiseite, um das Feuerloch darunter mit einigen zusätzlichen Eisenringen mit Hilfe des Schürhakens fast zu schließen. Der Eintopf sollte sachte vor sich hin garen und nicht überkochen und sich schwungvoll über ihren Herd ergießen.

"So, dann kannst du mit den Resten die Kaninchen füttern."

Emma erledigte auch das. Als sie in die Küche zurückkam, hatte ihre Mutter den Wäschekorb mit der sauberen Wäsche auf einen Stuhl gestellt und sortierte die Teile auf den Tisch, wobei sie die, die sie nicht bügeln wollte, sofort zusammenfaltete. Viele waren das leider nicht. Tatsächlich fühlten sich Handtücher und vor allem die Unterwäsche aus grober Baumwolle sowie alle Teile aus Leinen nach dem Bügeln viel weicher an, so dass fast jeder sie so behandelte.

"Du kannst die fertigen Sachen gleich...."

Die Mutter sprach ihren Satz nicht zu Ende. Die Socken, die sie gerade zurecht zog, fielen ihr aus der Hand und sie griff nach ihrem Bauch, um ihn unten herum zu umfassen und zu halten. Sie stand ganz still, schaute nur entgeistert auf ihre Füße, um die sich eine Lache hellen Wassers sammelte, das warm an ihren Beinen entlang zu Boden floss.

"Mama, was ist mit dir?"

Fassungslos und voller Angst blickte Emma auf die Bescherung.

Die Mutter fing sich wieder.

"Ist nicht so schlimm. Die Fruchtblase ist geplatzt, deshalb das Wasser. Das Baby kommt. Hilf mir mal ins Schlafzimmer."

Emma stützte ihre Mutter, so gut sie konnte, während diese breitbeinig, Schritt für Schritt, bis zu ihrem Bett mehr wankte als ging. Sie lehnte sich auf dessen Fußteil und holte tief Luft. Sie spürte ein Ziehen im Bauch, Anzeichen von Senkwehen. Das wäre gut.

"Schieb mir mal den Stuhl neben das Bett."

Emma schob den Stuhl, der sonst der Ablage ihrer Kleidung diente, in Reichweite der Mutter. Diese setzte sich langsam und vorsichtig darauf.

"Und jetzt schlag das Bett auf. Hol einen Stapel Handtücher aus der Truhe. Und dann brauche ich noch frisches Wasser im Krug."

Emma erledigte das alles und füllte auch den Krug zur Porzellanwaschschüssel wie geheißen.

"In der Teekanne auf dem Küchenbord ist noch etwas Kamillentee. Den bring man auch noch her."

Emma stellte die Teetasse auf das Nachtschränkchen ihrer Mutter.

"Und jetzt das wichtigste. Lauf zu Tante Thea und sag ihr, es ist soweit. Sie weiß dann schon Bescheid. Und beeil dich!"

"Aber...", hob Emma mit Blick auf die nassen Sachen ihrer Mutter an.

"Damit komme ich allein zurecht. Aber nachher, da brauch ich Tante Thea."

Emma stürzte los, während die Mutter ihre Abwesenheit nutzte, sich zu entkleiden, sich notdürftig zu waschen und ein großes Nachthemd überzustreifen. Dieses kleine bisschen Intimität in einer stattlichen Familie, in der man sonst aber auch alles teilte, war ihr wichtig. Dieser kleine, kostbare Moment des Alleinseins und der Ruhe.

Der Ruhe vor der großen Anstrengung.

Das hoffte sie jedenfalls, denn war die Fruchtblase einmal geplatzt, bestand die Gefahr einer aufsteigenden Infektion, gegen die sie nichts ausrichten konnten, und die Mutter und Kind gefährdete. Die Wehen sollten also besser bald einsetzen. Vorsichtig setzte sie sich auf das Bett, schob sich ein zusätzliches Kissen in den Rücken, so dass sie halb sitzend die Beine ausstrecken konnte, und zog die Bettdecke zu sich heran. Sie durfte jetzt nicht kalt werden. Immerhin war der Tee noch handwarm und belebte sie ein wenig.

Sie hörte Emmas schnelle Schritte, die ein wenig aus der Puste in der Schlafzimmertür auftauchte.

"Tante Thea muss noch kurz zur Nachbarin, das Kind wegbringen, dann kommt sie her."

"Ist gut. Guck mal nach dem Essen, ob das schon gar ist."

Emma schob sich eine Fußbank vor den Herd, um den Deckel von dem großen Topf zu heben, in dem der Eintopf sachte köchelte. Vorsichtig rührte sie ihn mit dem Kochlöffel um und probierte eine der weißen Bohnen. Heiß. Und immer noch etwas bissfest.

"Na gut," meinte die Mutter, "das passt. In einer halben Stunde kannst du die Kartoffeln dazu tun. Und mach noch einen Topf Wasser heiß. Das werden wir brauchen."

Emma war damit beschäftigt, frisches Wasser in einen großen Eimer zu pumpen, als sie die Gartentür quietschen hörte. Sie stürzte zurück ins Haus und kam gerade noch recht, um ihre Tante einzulassen.

"Tante Thea! Ich hätte dich beinahe nicht gehört."

"Ist schon gut. Ich wär nicht wieder weggelaufen."

Ein aufmunterndes Zwinkern bezeugte, dass Tante Thea auch in einer brenzligen Situation nicht ihren Frohsinn verlor.

"Dann werd ich mal nach deiner Mutter sehen."

Als sie kurz darauf zu Emma in die Küche trat, strahlte sie nicht nur Ruhe aus. Emma spürte eine ernste Entschlossenheit dahinter, die ihr bei ihrer Tante ungewohnt war und die ihr ein wenig Sorge bereitete.

"Was ist mit Mutter? Es ist doch alles in Ordnung, oder?"

Tante Thea mühte sich, ihren gewohnten Gleichmut zu zeigen.

"Bis jetzt ist alles gut."

Sie fasste Emma scharf ins Auge.

"Wir müssen dafür sorgen, dass es so bleibt. Du hast doch Wasser aufgesetzt, nicht wahr?"

Sie hob den Deckel des Topfes an.

"Gut, es kocht gleich. Hol mir mal bitte eure große Teekanne."

Während Emma ging, um diese aus dem Wohnzimmerschrank zu holen, langte Tante Thea tief in ihre große Tasche, die sie dabeihatte, um einen Beutel mit ganz besonderen Kräutern hervorzuholen. Emmas Mutter und sie waren sich einig, dass es keinen Sinn hatte, auf irgendetwas zu warten. Schon unter normalen Umständen würde es Stunden dauern, bis die Wehen stark genug wären, das Kind zur Welt zu bringen. Da sie aber nicht viel Zeit hatten, würden sie den Vorgang in diesem Fall beschleunigen, um sicher zu gehen, mit einem Kräutertee. Beide wussten, dass sie ihn vorsichtig dosieren mussten und dass jemand in der Nähe der werdenden Mutter bleiben sollte, um im Notfall sofort eingreifen zu können.

Tante Thea tat etwas von dem heißen Wasser in die Teekanne, um sie vorzuwärmen. Sie stellte einen kleinen Topf auf den Herd, goss einen Teil des heißen Wassers dort hinein und schob ihn Richtung Flamme. Sie holte eine gute Handvoll ihrer Kräuter aus dem Beutel und legte sie auf einen großen Suppenteller. Emma erkannte Salbei und Schafgarbe, Zimtrinde und Fenchel. Tante Thea fügte noch einige Gewürznelken hinzu, Muskatnuss und etwas intensiv duftendes Anis.

Als Tante Thea diese Mischung in das kochende Wasser des kleinen Topfes auf dem Herd streute, stieg ein fast betäubender Duft daraus auf. Fenchel und Anis. Emma wurde allein bei der Vorstellung, etwas davon zu sich nehmen zu müssen, schlecht.

Tante Thea breitete ein kleines Leinentuch über die Öffnung der Teekanne.

"Emma, halte das bitte mal. Das dient jetzt als Sieb. Aber halt still, damit du nichts von dem heißen Wasser abbekommst."

Es war ein ansehnliches Häufchen aufgequollenen Grünzeugs, das am Ende in einer tiefen Mulde in jenem Tuch hängenblieb. Tante Thea fasste es vorsichtig an den Enden, faltete es zusammen und presste die Kräuter gründlich aus. Sie probierte das Ergebnis mit einem kleinen Löffel, wiegte den Kopf, fügte etwas Honig hinzu, probierte erneut und war offenbar zufrieden.

"Wo ist eure große Kaffeemütze? Ach, ich seh schon. Der Tee muss möglichst lange heiß bleiben."

Sie stülpte die isolierende Haube über die Kanne und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer zur Mutter. Emma folgte zögernd.

"Ich habe dir den Tee gemacht. Nicht zu stark, hoffe ich. Bei den Kräutern weiß man nie so genau... Du weißt ja, jede Stunde ein paar Tassen voll davon, bis die Wehen in kürzeren Abständen kommen, und dann rechtzeitig aufhören. Aber ich bin da und passe auf dich auf."

Emmas Mutter setzte sich ein wenig auf, nahm ihrer Schwägerin die dargereichte Tasse voll heißen, duftenden Tees mit einem leisen "Danke" aus der Hand und trank langsam, Schluck für Schluck.

"Der Tee ist gut, genau richtig. Hoffen wir, dass es geht."

Ein leises, grimmiges Lächeln spielte um ihren Mund. In der offiziellen Ausbildung für Hebammen fehlte das Kapitel Kräuterkunde. Andere, stärkere Mittel durften jedoch nur von einem Arzt und in einem Krankenhaus angewendet werden. Wer von ihnen, den Frauen hier im Dorf, weit draußen auf dem Land, ging denn für eine Geburt in ein Krankenhaus irgendwo in der entfernten Stadt? Das war für sie völlig abwegig.

Wie gut, dass die Frauen ihrer Familie noch dieses Wissen hatten. Sie konnte nur hoffen, dass der Tee seine Wirkung tun und bei ihr die Wehen ankurbeln und beschleunigen würde. Sie wusste, dass es wichtig war, rechtzeitig damit aufzuhören, weil sonst die Gefahr bestand, dass die Blutung nach der Geburt nicht zu stillen war. Es blieb Unwägbares, immer.

Sie sah ihre Tochter mit großen Augen in der Tür stehen.

"Emma, Papa und die Jungs kommen bald. Mach mal das Essen fertig."

Das Leben ging weiter.

Tante Thea schenkte ihrer Schwägerin eine weitere Tasse Tee ein, folgte Emma dann in die Küche und half ihr, die Kartoffeln in den großen Topf zu füllen.

"Du isst doch mit uns zu Abend?"

Die Tante nickte. So schnell würde sie hier nicht wieder wegkommen. Sie ging zurück zu ihrer Patientin.

Als der Vater hörte, dass das Baby nunmehr unterwegs war, nahm er es gelassen, schaute kurz nach seiner Frau und kam zum Abendbrot in die Küche. Sie alle langten kräftig zu, hatten sie mit dem Speck doch Glück gehabt und der Eintopf war wirklich gut.

Nach dem Essen nahm Tante Thea den Vater kurz beiseite und erklärte ihm die Sachlage. Dessen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

"Du passt doch auf sie auf?!"

Halb Frage, halb Aufforderung, flog da eine fast flehentliche Bitte vom Bruder zur Schwester.

"Keine Sorge, ich bin da."

Sie legte ihrem Bruder beruhigend die Hand auf den Arm.

"Es ist alles getan. Jetzt können wir nur noch warten."

Wenn man etwas beim Leben auf dem Land lernte, dann war es Geduld. Die natürlichen Rhythmen des Lebens ließen sich nun einmal nicht zwingen.

Der Vater griff sich seine Pfeife und den Tabaksbeutel.

"Ich bin im Garten."

Seine Schwester sah die Unsicherheit in seinem Gang und die Schwere seiner Schritte.

"Denk an die Kinder!" rief sie ihm nach.

Er drehte sich um.

"Was meinst du?"

Ein Anflug von Panik lag in seiner Stimme.

"Die drei Kleinen. Du musst sie zu Bett schicken. Emma muss mir noch eine Weile helfen."

"Ach so, ja."

Ein Seufzen der Erleichterung.

"Wenn ich aufgeraucht habe. Aber Emma? Ist die nicht noch zu klein für sowas?"

Er vollführte eine ausladende Geste mit dem Arm.

Seine Schwester zuckte hilflos mit den Schultern.

"Tja, eigentlich hast du recht. Aber so schnell ist sonst niemand da. Hanna ist noch bei einer anderen Geburt. Sie kommt, sobald sie dort fertig ist."

Hanna, die zweite ausgebildete Hebamme des Dorfes, erschien eine gute Stunde später, so dass Tante Thea endlich die erschöpfte Emma zur Nachtruhe entlassen konnte. Sie sorgte nun selbst dafür, dass alles bereit stand, was gebraucht wurde.

Hanna hatte ihre Ausbildung vor knapp einem Jahr beendet. Sie war noch jung und hatte nicht viel Erfahrung. Sie trat also mit dem gebotenen Respekt an das Bett ihrer älteren Kollegin, die weithin als die Hebamme mit den heilenden Händen bekannt und geehrt war.

Hier allerdings stieg ihr ein Duft in die Nase, der ihrer vorschriftsmäßigen Meinung nach nicht da sein sollte. Sie fasste die noch halb volle Teetasse und warf einen missbilligenden Blick auf die Patientin und deren Schwägerin. Die Hochschwangere blieb ruhig, nahm ihr die Teetasse wieder aus der Hand und trank demonstrativ einen großen Schluck daraus. Hannas Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie schnappte hörbar nach Luft.

"Setz dich."

Emmas Mutter wies auf den Stuhl neben dem Bett. Nachdem Hanna folgsam Platz genommen hatte, erklärte sie ihrer jungen und offenbar gerade recht ängstlichen Kollegin, unterstützt von ihrer Schwägerin Thea, was hier Sache war und was sie vorhatten. Am Schluss nickte diese und meinte leicht resignierend:

"Aber auf deine eigene Verantwortung."

Emmas Mutter lächelte leicht.

"Die kann mir sowieso keiner abnehmen."

Nun, da die drei Frauen sich einig waren, ging Tante Thea zu ihrem Bruder, der inzwischen die Kinder zu Bett gebracht und die restlichen Tiere versorgt hatte und sich gerade im Hof eine zweite Pfeife anzündete.

"Alles in Ordnung. Hanna hilft uns."

"Von diesem Weiberkram will ich lieber nichts wissen."

Er schickte eine dicke Qualmwolke gen Himmel und trat einen Schritt beiseite. Seine knurrige Stimme verriet dennoch Erleichterung.

Weit nach Mitternacht, der Vater war auf dem alten Sofa in der Küche trotz der Geschäftigkeit um ihn herum gerade mal wieder eingenickt, da riss ihn kräftiges Babygeschrei aus seinem Traum.

Er setzte sich auf, erwartend, dass eine der Frauen ihm sofort Bescheid geben würde. Als niemand kam, erhob er sich mühsam und bewegte sich fast auf Zehenspitzen zum häuslichen Schlafzimmer. Seine Schwester Thea war gerade damit beschäftigt, das Neugeborene zu waschen und anzukleiden, und die junge Hebamme stützte ihre Kollegin, die offenbar weiterhin Krämpfe hatte.

"Was...?" begann er, wurde aber unterbrochen.

"Es ist ein Mädchen, groß, kräftig und gesund. Gratuliere! Und das", Thea wies mit dem Kopf zum Ehebett, "ist der restliche Weiberkram. Nur die Nachgeburt. Alles in Ordnung."

In der Tat war das nur die halbe Wahrheit. Der Kräutertee hatte eben auch einen größeren Blutverlust bei der Mutter zur Folge gehabt, was sie ja leider zu erwarten hatten. Sie würde einige Wochen brauchen, bis sie ihre alte Kraft zurückgewann. Die nächsten Tage musste sie strikt das Bett hüten, damit die Blutungen vollständig zum Stillstand kommen konnten.

Emmas Mutter, die sonst nicht so leicht im Bett zu halten war, wusste um den Ernst ihrer Lage, unmissverständlich unterstrichen von der Tatsache, dass sie sich kaum aufrichten konnte, ohne dass ihr schwindlig wurde. So schwach hatte sie sich noch nie gefühlt. Zum ersten Mal blieb sie nach einer Geburt länger als die üblichen paar Stunden liegen und ließ sich von ihrer Familie verwöhnen, wenn auch mit einem schlechten Gewissen.

Steter Wind

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