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1. Feinjustierung durch Re-Akademisierung

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Die in den 1990er und 2000er Jahren betriebene Reformpolitik stand stets in der Kritik einer Ökonomisierung der Hochschulen. So richtig es ist, dass Hochschulen sich auf dem internationalen und nationalen Markt behaupten müssen, dass sie um Forschungsmittel, gute Professoren und Studierende konkurrieren müssen und dafür entsprechend bewegungs- und handlungsfähig sein müssen, so wenig ändert sich daran, dass Hochschulen kulturelle und intellektuelle Kristallisationspunkte der Gesellschaft sind, dass Lehre und Forschung und deren Ergebnisse keine Handelsgüter sind und dass die der Wissenschaft immanente Kreativität weder hierarchisch verordnet noch in stereotype Arbeitszeitmodelle eingepasst werden kann. Der Wert und die Kraft eines wissenschaftlichen Arguments kann nicht von seiner zeitgeistigen Gängigkeit abhängen, weshalb die Hochschulen nicht einem freien Marktgeschehen überlassen bleiben können, um z.B. kleine Fächer zu erhalten, wichtige Grundlagenforschung abseits der großen Scheinwerfer zu ermöglichen und das Recht auf Irrtum als Lebenselixier wissenschaftlicher Wahrheitssuche zu schützen.[39]

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Insofern erstaunt es nicht, dass manche Reformmaßnahmen bei rückblickender Betrachtung zu wenig auf die Besonderheiten von Wissenschaft und Hochschulen Rücksicht genommen haben, und das Gesetzgebungspendel nach eineinhalb Jahrzehnten weitreichender Reformpolitik wieder ein wenig im Sinne einer Re-Akademisierung zurückgeschwungen ist. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die baden-württembergische Hochschulpolitik, die seit 2011 unter parteipolitisch veränderten Vorzeichen steht, sondern auch für die Vorgaben des BVerfG gegenüber dem Hochschulgesetzgeber.

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Ausgehend vom sog. Hochschulurteil aus dem Jahr 1973 hat das BVerfG im Hochschulorganisationsrecht zunächst eine sehr liberale Linie verfolgt und betont, dass die Wissenschaftsfreiheit keine bestimmten Vorgaben für die Binnenorganisation von Hochschulen mache, solange diese eine freie und ungefährdete Wissenschaft ermöglicht. Die nähere Ausgestaltung obliege der Disposition des Gesetzgebers. Insbesondere wurde anerkannt, dass der Gesetzgeber auch andere schutzwürdige Interessen und Bedürfnisse neben der Wissenschaftsfreiheit zu beachten habe, namentlich das Ausbildungsgrundrecht der Studierenden und die Funktion von Hochschulen als Lehranstalten.[40] Diese Linie wurde in Folgeentscheidungen wie in dem Beschluss zum NRW-Hochschulgesetz von 1995 und in der Brandenburg-Entscheidung von 2004 weiter ausbuchstabiert und vertieft. So wurde dem Gesetzgeber 1995 ausdrücklich ein weitreichendes Organisationsermessen zugestanden, soweit der Kernbereich der wissenschaftlichen Tätigkeit dem einzelnen Grundrechtsträger verbleibt. Die Wissenschaftsfreiheit gewähre „dem einzelnen Hochschullehrer keine unbeschränkte Teilhabe an der Leitung der Wissenschaftseinrichtung“, weshalb ein starkes monokratisches Element in der Fakultätsleitung „nicht von vornherein mit Art. 5 Abs. 3 GG unvereinbar“ sei.[41] Diesen Gedanken hat das BVerfG 2004 weiter unterstrichen, solange keine strukturelle Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit davon ausgeht. Hierfür sei „das hochschulorganisatorische Gesamtgefüge mit seinen unterschiedlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten in den Blick zu nehmen“. Dem Gesetzgeber wurde nicht nur erneut ein freies Ermessen bei der Regelung des Wissenschaftsbetriebes attestiert, solange ein „hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger“ gewährleistet sei, sondern sogar die mögliche Verpflichtung zu einer zeitgemäßen Weiterentwicklung der Hochschulstrukturen zugestanden. Auch folge aus Art. Art. 5 Abs. 3 GG kein Vorrang von Kollegialorganen gegenüber monokratischen Leitungsorganen.[42]

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Mit der Hamburg-Entscheidung von 2010 hat das BVerfG eine Kurswende zu relativ restriktiven Vorgaben eingeleitet, die in der MHH-Entscheidung von 2014 fortgesetzt wurde und die verfassungsgerichtliche Spruchpraxis mittlerweile prägt. Vorläufiger Höhepunkt ist die Entscheidung des VerfGH BW von 2016. Im Mittelpunkt steht nun das Teilhaberecht des einzelnen Grundrechtsträgers, worunter allerdings nur noch Träger der Wissenschaftsfreiheit verstanden werden. Umso stärker die Leitungsstrukturen sind, desto stärker müssen die Abwehr- und Einflussmöglichkeiten der (Wissenschaftsfreiheits-)Grundrechtsträger sein.[43] Beim VerfGH BW hat dies dazu geführt, dass allein die Gruppe der Hochschullehrer – ungeachtet der Grundrechte anderer Hochschulmitglieder – für die Wahl und Abwahl der Hochschulleitung maßgeblich sein muss.[44] In der MHH-Entscheidung hat zudem der Begriff der „wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten“, auf die sich diese Teilhabe bezieht, jede terminologische Abgrenzungsfunktion verloren und erfasst über inhaltliche Fragen von Forschung und Lehre hinaus nun „alle den Wissenschaftsbetrieb prägenden Entscheidungen über die Organisationsstruktur und den Haushalt“.[45] Im Ergebnis wird durch diese Rechtsprechung nun ein klarer Vorrang der Kollegialorgane gegenüber den Leitungsorganen festgeschrieben und damit auch dem Hochschulgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Hochschulorganisationsrechts vorgegeben.

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Diese Verschiebung der verfassungsgerichtlichen Anforderungen hat die gleichzeitige politische Kurskorrektur zugunsten einer maßvollen Re-Akademisierung des Hochschulorganisationsrechts zusätzlich befördert. So hat der Hochschulgesetzgeber die sehr weitgehende Entmachtung des Senats – zuletzt im 2. HRÄG von 2004 – im Rahmen des 3. HRÄG von 2014 in Teilen zurückgenommen. Das zentrale Kollegialorgan, der Senat, hat wichtige Beschluss- und Entscheidungskompetenzen zumindest teilweise behalten oder zurückgewonnen. Dies gilt zunächst für seine Zuständigkeit für das Satzungsrecht, die ihm eine – aufgrund der Deregulierung des LHG in ihrer Bedeutung gestiegene – erhöhte Funktion als Gesetzgeber in der Hochschule zuweist. Dieses Satzungsrecht umfasst neben der Grundordnung auch alle anderen Hochschulsatzungen wie z.B. die Studien- und Prüfungsordnungen. Außerdem stehen dem Senat (tlw. wieder) das Wahlrecht für alle Rektoratsmitglieder (tlw. gemeinsam mit dem Hochschulrat), die Beschlusskompetenzen über die Zustimmung zur Struktur- und Entwicklungsplanung, die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen oder Hochschuleinrichtungen, die Beantragung der Festsetzung von Zulassungszahlen und eine Grundsatzzuständigkeit für Fragen von Forschung, Lehre und Studium zu. Ansonsten verfügt der Senat – v.a. in Finanzfragen – über Stellungnahmerechte, etwa zu Hochschulverträgen, zu Zielvereinbarungen und zu Funktionsbeschreibungen der Professuren (§ 19 I LHG). Einige Kompetenzverluste des Senats blieben aber auch erhalten. Dies gilt v.a. für die Auffang-Allzuständigkeit (§ 19 I 1 UG a.F.), die seit 2005 beim Rektorat liegt (s.o. Rn. 13), und die Beteiligung an Berufungsverfahren, die früher in einem Zustimmungserfordernis bestand (§ 19 I 2 Nr. 11 UG a.F.) und nun hinsichtlich des ob und wie der Grundordnung anheim gestellt ist (§ 48 III LHG). Auch auf Fakultätsebene ist die Machtverschiebung vom Fakultätsrat zum Dekanat (etwa bei der Auffang-Allzuständigkeit) weitgehend unverändert geblieben; allerdings sind die Fakultätsräte seit dem 3. HRÄG wieder für die Entscheidung über die Berufungsvorschläge (an das Rektorat) zuständig (§ 25 I LHG). Neben der Neuordnung von Kompetenzen wurden mit dem 3. HRÄG auch terminologische Übertreibungen des 2. HRÄG wie die unternehmerischen Begriffe für Hochschulgremien (Vorstand statt Rektorat, Aufsichtsrat statt Hochschulrat und Fakultätsvorstand statt Dekanat) wieder zurückgenommen.

Einführung › III. Feinjustierung und Ausdifferenzierung › 2. Ausdifferenzierung durch Stärkung von Sonderinteressen

Das Hochschulrecht in Baden-Württemberg

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