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Kapitel 10

Heinz und Wagner standen vor der Haustür, die ebenso wie die Wände mit Graffiti vollgeschmiert war. Im Inneren des Gebäudes roch es muffig und nach angebranntem Kohl.

„Welcher Stock?‟, fragte Heinz seinen Freund.

„Der zweite. Ganz schön desolat hier‟, antwortete Wagner und deutete auf die abgetretenen Stufen und den wackeligen Handlauf.

Heinz nickte. „Ja, es würde mich nicht wundern, wenn hier die Toiletten auf den Fluren sind.‟

Wagner schaute ihn ungläubig an. „Was? So etwas gibt es noch?‟

Heinz hob die Schultern. „Keine Ahnung. Aber hier würde es passen.‟

Sie waren im zweiten Stock angekommen und klingelten an Tür 12. Als niemand öffnete, drückte Heinz noch einmal die Klingel und ließ sie nicht mehr los. Das Dauerschrillen zeigte Wirkung. Die Wohnungstür wurde aufgerissen.

„Was?‟, kam die ungehaltene Frage der Mieterin.

„Wir sind von der Kripo‟, übernahm Wagner den Gesprächseinstieg. „Sind Sie Yvonne Kruger?‟.

Die Angesprochene schluckte jedes Wort, das ihr noch auf der Zunge gelegen hatte, hinunter und nickte. Plötzlich schien sie in sich zusammenzusinken als sei jegliche Kraft aus ihr gewichen. „Sie sind wegen Kevin hier.‟ Es war eine Feststellung, keine Frage.

Heinz machte einen Schritt vorwärts und drängte sich auf diese Weise in die Wohnung. Die junge Frau drehte sich um und ging ins Wohnzimmer, ohne nach den Männern zu sehen. Heinz und Wagner fassten das als Einladung auf und folgten ihr. Das Erste, was Heinz auffiel, war das Durcheinander, das hier herrschte. Sein Büro war ein Palast dagegen. Und dann der Geruch. Als wäre hier eine feuchtfröhliche Party gefeiert worden. Es roch nach Alkohol, nach Erbrochenem und Rauch. Die junge Frau ließ sich auf das Sofa fallen und bedeckte das Gesicht mit ihren Händen. Trotz des erbärmlichen Zustandes der Wohnung und der Unordnung tat sie Heinz leid. Sie war fast noch ein Kind. Und mit allem überfordert. Er fragte sich, ob sie von irgendwem Hilfe bekam. Sanft, um sie nicht noch mehr zu verunsichern, fragte er: „Frau Kruger – Yvonne –, wo ist Kevin?‟ Es kam ihm richtig vor, sie zu duzen. Yvonne Kruger sah auf. „Ich weiß es nicht.‟ Dann brach sie in Tränen aus.

Heinz ging zu ihr hinüber und setzte sich neben sie auf das Sofa, während Wagners Blick Erleichterung und Dankbarkeit zeigte.

Hier, wo er saß, war der Gestank furchtbar. Sogar für ihn, der an schlimme Gerüche gewöhnt war. Er legte fürsorglich den Arm um die Schultern des Mädchens, die sich vor lauter Schluchzen hoben und senkten.

„Jetzt erzähl uns, was passiert ist. Schön der Reihe nach‟, forderte er Yvonne auf. Sie schniefte und wischte sich dann die Tränen mit ihrem Ärmel ab. „Ich habe geschlafen. Und als ich munter geworden bin, war er auf einmal nicht mehr da. Das ist alles.‟

Heinz’ Blick wanderte zu Wagner, der leicht den Kopf schüttelte. „Yvonne, so kommen wir nicht weiter. Wann war das?‟

Die junge Frau schien sich wieder einigermaßen gefasst zu haben. Fast trotzig meinte sie: „Samstag nachmittag.‟

Heinz seufzte. „Gut. Dann frag ich mal andersrum: Wann hast du Kevin zuletzt gesehen?‟

Mit dieser Frage schien die junge Mutter überfordert zu sein. Sie biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Schließlich sagte sie. „Ich weiß nicht mehr so genau.‟ Jetzt wurde es Wagner zu bunt. Er trat einen Schritt auf das Sofa zu. „Frau Kruger, wir können auch anders. Ihr Kind ist möglicherweise in Gefahr, wenn nicht sogar schon tot. Wenn Sie sich weigern, uns zu helfen, können Sie mit einer Verhaftung wegen unterlassender Hilfeleistung oder gar Totschlages rechnen. Also?‟

Die Frau riss die Augen auf und schnappte nach Luft. Dann senkte sie den Kopf und begann stockend zu erzählen. Ihr sei die Decke auf den Kopf gefallen. Sie habe das übermächtige Gefühl gehabt, raus zu müssen – und Kevin hatte nur geschrien und geschrien. Da sei sie einfach gegangen. Es wäre ja ohnehin egal gewesen, weil sie nichts habe tun können, damit er mit dem Brüllen aufhörte.

Wagner trat einen Schritt vor. Heinz konnte sich vorstellen, dass sein Freund Yvonne am liebsten geschüttelt oder ihr eine Predigt gehalten hätte, die sich gewaschen hatte. Aber mit einer Handbewegung hielt er Wagner zurück. Jetzt, wo Yvonne redete, sollte sie nicht unterbrochen werden.

„Ich bin aber gleich zurückgekommen, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Er hat geschlafen. Endlich. Als ich aufgewacht bin, war er fort.‟

„Herrschaftszeiten, warum bist du dann erst heute Morgen zur Polizei gegangen?‟ Heinz bemühte sich, nicht laut zu werden, obwohl alles in ihm zu zerreißen drohte. „Ich dachte, das würde mir keiner glauben. Ich weiß auch nicht. Und ich war so müde. Ich war froh, dass ich endlich mal in Ruhe schlafen konnte. Ich hab geglaubt, meine Mutter hätte ihn abgeholt.‟

Wagner hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Ich sage Ihnen, das wird ein Nachspiel haben!‟, zischte er.

Heinz konnte die Gefühle seines Freundes verstehen. Dennoch ging es ihm nun darum, ob der tote Junge Kevin war, oder nicht. Er hob beruhigend die Hand. Es brachte nichts, wenn Wagner die Mutter bedrängte. „Im Krankenhaus, nach der Entbindung, wurden da Hand- oder Fußabdrücke von Kevin genommen?‟

Die junge Frau blickte auf und schniefte. „Ja, sie haben eine Glückwunschkarte gemacht. Da stand das Gewicht und die Größe drauf. Und ganz vorne war der Fußabdruck von Kevin.‟

Heinz’ Herz schlug schneller. „Hast du diese Karte noch?‟

Yvonne überlegte. „Ich weiß nicht. Sie kann beim Umzug verloren gegangen sein.‟ Heinz musste ein Schnaufen unterdrücken. Was wusste sie überhaupt? Er seufzte. „Da kann man nichts machen. In welchem Krankenhaus hast du entbunden?‟ Wenigstens daran erinnerte sie sich. Diese Information brachte ihn der Identifizierung des toten Babys näher.

Und dann überraschte Yvonne Kruger Wagner und ihn. Sie schlug sich die Hände vors Gesicht. Ihr Worte waren kaum zu verstehen, als sie sagte: „Ich habe das nicht gewollt. Wirklich nicht.‟ Die Tränen flossen, ihre Schultern bebten und egal, was Heinz versuchte, sie konnte nicht aufhören zu weinen.

Lauras Magen knurrte. Es war schon Mittag vorbei und sie überlegte, ob sie irgendwo einen Salat essen sollte, bevor sie den zweiten Kreditkartenbesitzer aufsuchte. Da klingelte ihr Handy. Veronika war dran. Sie wollte wissen, wo die Alserstraße war.

Laura erklärte ihr, wie sie dort hinkam. „Warum willst du das wissen?‟, fragte sie. „Dort ist der Geburtsvorbereitungskurs.‟

„Aber Daniel kennt sich doch in Wien gut aus.‟ Veronika schwieg. Da kapierte Laura endlich! „Sag bloß, er will dich dort allein hinschicken?‟

Sie hörte Veronikas Seufzen, das ihr ins Herz schnitt. Dann sagte ihre Schwägerin. „Er wollte eigentlich mitkommen. Aber er hat mich vorhin angerufen, dass er es nicht schafft. Ein Geschäftsessen. Es ist wichtig.‟

Laura hätte vor Wut auf ihren Bruder schreien können. Wichtig? Dieser Geburtsvorbereitungskurs war wichtig. Veronika und das Baby waren wichtig. Herr im Himmel! Waren alle Männer so? Oder bloß ihr missratener, karrieregeiler Bruder? „Hör mal, wir treffen uns und ich bring dich hin‟, bot sie an. „Wann musst du dort sein?‟

„Der Kurs beginnt um sieben. Aber es ist wirklich nicht nötig.‟

Und ob! Sie konnte doch ihre Schwägerin nicht mutterseelenallein in einer fremden Stadt auf Expedition schicken. „Keine Widerrede‟, sagte Laura. „Ich mach das gerne.‟

In Wirklichkeit wäre sie lieber zu Hause geblieben, hätte Kasimir ein paar Streicheleinheiten gegönnt und den Roman weitergelesen, den sie schon vor Wochen begonnen hatte, in dem sie aber nie weiter als bis Seite 120 gekommen war.

Doch als sie auflegte, hatte sie das Gefühl, nur ein ganz kleines bisschen gelogen zu haben – sie freute sich tatsächlich.

Yvonne Kruger war zusammengebrochen, und Heinz hatte schließlich einen Krankenwagen rufen müssen. Nachdem die junge Frau abtransportiert worden war, fragte Heinz: „Und jetzt?‟

In Wagner brodelte es immer noch. Grimmig sagte er: „Jetzt befragen wir die Nachbarn. Wenn das Kind wirklich so viel geweint hat, dann muss es schließlich jemand gehört haben.‟

„Hier hört man nicht zu, hier hört man weg. Zivilcourage ist nicht mehr in.‟ Heinz klang resigniert.

Wagner wusste, was er damit meinte. Viel zu oft sahen die Menschen weg, wo sie besser hätten hinschauen sollen. Aus Angst, falsch zu handeln, taten sie gar nichts. Viele fürchteten sich davor, in Unannehmlichkeiten verwickelt zu werden. Und er fragte sich, ob die Polizei einen so schlechten Ruf hatte, dass sich die Leute nicht mehr trauten, Meldung zu machen. Die Polizei, dein Freund und Helfer – galt das heutzutage nicht mehr?

„Wir versuchen es trotzdem‟, sagte er und klopfte an die benachbarte Wohnungstür, weil er keinen Klingelknopf finden konnte.

Die Tür ging einen Spalt auf und eine Frau mit strähnigem Haar lugte heraus. Sie hatte eine Kette vorgelegt. Das Ding gaukelte Sicherheit vor. Die Wenigsten wussten, wie leicht es war, sie mit einem gezielten Fußtritt zu sprengen.

„Ja?‟

„Wir sind von der Polizei. Frau ...‟, hob Wagner an.

Die Frau blickte misstrauisch von einem zum anderen. „Und?‟, fragte sie. Wagner zückte seine Dienstmarke. Doch auch die half nicht. Die Frau machte keine Anstalten, sie hineinzubitten.

„Da drüben ist ein Kind verschwunden. Ein Baby. Haben Sie etwas Verdächtiges gehört oder gesehen?‟, fragte Wagner. Die Frau schüttelte den Kopf. Sie wirkte betroffen und schien nun auch ein wenig zugänglicher zu sein. „Nein, wie furchtbar! Ich habe auch eine Tochter. Es wäre schrecklich, wenn sie weg wäre‟, sagte sie. „Die Mutter sagt, das Baby habe häufig geschrien. Das müssen Sie gehört haben. Schließlich wohnen Sie nebenan.‟

„Die sind doch erst ganz kurz hier. Ich glaub, ich hab sie und das Baby erst einmal gesehen, aber jetzt, wo Sie fragen: Ja, ich habe es sehr oft weinen gehört. ‟

Heinz nahm sofort den Faden auf. „Wann war es das letzte Mal? Denken Sie bitte nach, das könnte wichtig sein.‟

Die Frau hielt den Kopf schief, als würde sie in sich hineinhorchen. Wagner glaubte schon, Heinz’ Frage wiederholen zu müssen, als sie schließlich antwortete: „Ich bin mir fast sicher, in der Nacht von Freitag auf Samstag. Meine Sarah hat sehr unruhig geschlafen, sie hat mehrmals geweint, ich ging in ihr Zimmer, um sie zu beruhigen, und da hörte ich das Baby durch die Wand.‟

„Und danach? Haben Sie auch danach noch etwas gehört?‟, wollte Heinz wissen. Sein Ton war drängend, aber nicht unfreundlich. Es gab also durchaus noch Menschen, die bereit waren, der Polizei zu helfen.

Wieder ließ sich die Frau Zeit mit ihrer Antwort. Wahrscheinlich wollte sie nichts Falsches sagen. Dann schüttelte sie leicht den Kopf. Wagner konnte Bedauern in ihrer Miene erkennen. „Nein, nachher war es ruhig. Vielleicht habe ich auch fest geschlafen. Durch die dicken Mauern in diesen Altbauwohnungen dringt ja nicht so viel durch. Auf jeden Fall hörte ich den ganzen restlichen Tag nichts mehr. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann.‟

„Vielen Dank. Ich wünschte, wir hätten mehr solche aufmerksamen Nachbarinnen wie Sie‟, sagte Wagner zum Abschied.

Alle anderen Flurnachbarn waren entweder nicht daheim, oder sie hatten weder etwas gesehen, noch etwas gehört – ganz so, wie sie es erwartet hatten.

Frustriert gingen er und Heinz die Treppe hinab. Als sie die Eingangstür erreichten, zog Wagner sie mit Schwung auf und ließ Heinz vorangehen.

Wagner hatte seine Lippen zusammengekniffen. „Was ist? Du denkst doch gerade über etwas nach‟, drängte Heinz ihn.

Wagner bedachte seinen Freund mit einem skeptischen Blick. „Es stimmt was nicht. Du hast gesagt, Kevin starb am Samstagnachmittag.‟

Heinz nickte. „Eher am späten Nachmittag, abends‟, stellte er richtig.

„Wenn die Nachbarin ihn Freitagnacht das letzte Mal gehört hat und danach nicht mehr, frage ich mich, was ist in der Zeit bis Samstagabend passiert ist. Die Kruger lügt doch wie gedruckt. Und wenn nicht, verheimlicht sie etwas. Ich glaube immer noch, dass sie ihn umgebracht hat. Die Entführung ist erstunken und erlogen.‟

Heinz widersprach. „Sie war’s nicht.‟

„Sie hat gesagt, sie hätte das alles nicht gewollt. Das ist ja schon fast ein Geständnis‟, beharrte Wagner.

„Sie war es nicht. Denk an die Lilien, an das Taufkleid. Meinst du, sie würde ihn so aufbahren? Nie und nimmer.‟

Wagner musste seinem Freund widerwillig recht geben. Yvonne Kruger hätte ihren Sohn, egal, ob er an SIDS gestorben war oder ob sie ihn erstickt hätte, in der Wohnung liegen lassen. Oder sie hätte ihn irgendwo abgelegt, in die Donau oder einfach in den nächsten Müllcontainer geworfen. Die Reue, die sie gezeigt hatte, kam zu spät, falls sie überhaupt echt war. Vielleicht hatte erst ihr Besuch Yvonne Krugers schlechtes Gewissen geweckt. Verdammt, sie drehten sich im Kreis. Sie waren keinen Schritt vorangekommen, hatten immer noch keine Ahnung, woran das Kind gestorben war.

Schön langsam fragte sich Wagner, ob er sich nicht in etwas verrannte. Er hatte sich nicht einmal den Namen der Nachbarin gemerkt, die sie vorhin befragt hatten. Eine Schlamperei, für die er niemandem außer sich selbst die Schuld geben konnte. „Sag, weißt du den Namen der Nachbarin? Ich hab ihn nämlich vergessen‟, fragte er Heinz. Vor ihm konnte er diese kleine Blöße eingestehen.

Heinz grinste ein wenig. „Sie hat dir ihren Namen gar nicht genannt. Aber auf dem Türschild stand: Caroline Mitterhofer.‟

Wie gut, dass Heinz mitgekommen war, dachte Wagner. Die Pizza, die er ihm schuldig war, würde er gerne bezahlen.

Laura hatte sich nun doch gegen den Salat entschieden. Im Vorbeigehen kaufte sie sich ein Croissant und eine Flasche Mineralwasser. Das musste reichen. Es war nicht das erste Mal, dass sie aktiv an Ermittlungsarbeiten teilnahm. Meistens war es eine Abwechslung zu der Laborarbeit, aber wohler fühlte sie sich eindeutig in ihrem Reich. Sie hatte immer das Gefühl, sie müsse improvisieren, und das lag ihr nicht. Sie hielt sich lieber an Fakten, an Beweise, die sie wissenschaftlich belegen konnte. Sollte sie nicht doch wieder umkehren und den zweiten Käufer des Taufkleides Wagner überlassen? Nein. Sie hatte damit begonnen, und sie würde es auch zu Ende führen. Wahrscheinlich kam ohnehin nichts dabei raus. Laura stieg in ihr Auto und fädelte sich in den Verkehr ein. Irgendwann sollte sie ihrem Auto eine Innenreinigung gönnen. Aber das war so wie mit dem Joggen: Keine Zeit.

Die Adresse Josef Dattlers lag in einer noblen Gegend. Lauter Villen mit großen Gärten. Kurz überlegte sie, wie es wäre, in solch einem Haus zu leben, verwarf die Idee jedoch gleich wieder. Sie war mit ihrer kleinen Wohnung zufrieden. Mehr brauchte sie nicht. In solch einem riesigen Haus würde sie sich wahrscheinlich verloren vorkommen.

Sie klingelte am Tor. Einige Sekunden verstrichen, bis die Gegensprechanlage knackte und eine weibliche Stimme fragte: „Bitte?‟

Sie meldete sich mit „Laura Campelli, Kripo Wien. Ich habe ein paar Fragen.‟

Der Türöffner summte, und Laura drückte das Tor auf. Sie ging den Kiesweg bis zum Haus und bewunderte den kurzgeschnittenen Rasen. Die Haustür wurde geöffnet und eine gepflegte, junge Frau trat hinaus. „Meine Güte, Kripo? Was kann ich denn für Sie tun?‟ In ihrer Stimme schwang Verunsicherung.

Laura fragte: „Frau Dattler?‟ und als die Frau nickte, meinte sie beruhigend: „Ich brauche nur eine Information von Ihnen. Ich bin anhand einer Kreditkartenabrechnung auf Ihren Namen gestoßen. Es geht um ein Taufkleid, das Sie oder Ihr Mann letztes Jahr bei „Baby’s Doll‟ gekauft haben. Können Sie sich daran erinnern?‟

Das Gesicht der Frau entspannte sich ein wenig. Sie nickte: „Ja, natürlich. Was ist denn damit?‟

„Mich würde interessieren, ob Sie es noch haben. Wir würden das zu Vergleichszwecken brauchen.‟

Die junge Frau schüttelte bedauernd den Kopf. „Tut mir leid, ich fand es nicht sinnvoll, es nach der Taufe noch aufzuheben. Wir haben es mit anderer Babybekleidung, die Viktoria zu klein geworden ist, in einen Secondhandladen gebracht.‟

„Können Sie mir den Namen dieser Boutique sagen?‟

Als Laura sich verabschiedete, hatte sie einen neuen Anhaltspunkt. Eigentlich hatte sie vorgehabt, nach diesem Besuch ins Labor zurückzufahren, aber jetzt schien sie einer richtigen Spur so nahe zu sein, dass sie ihren Entschluss verwarf und sich auf den Weg in den zehnten Bezirk zu dem Secondhandladen machte. Vielleicht würde sie ja dort gleich etwas für Veronika finden.

„Sarah, die Polizei war gerade da‟, sagte die Frau. Ihre Stimme klang atemlos. Kein Wunder. Der Besuch hatte ihr einen gehörigen Schrecken versetzt.

„Das war zu erwarten‟, antwortete Sarah.

„Ich hatte Angst. Wenn sie noch einmal kommen? Was soll ich denen sagen?‟

„Die kommen nicht wieder. Nicht heute. Du musst einfach aufpassen. Sie werden mit allen Mitteln versuchen, dich aufzuhalten. Aber das darf nicht sein. Du musst noch viele Kinder retten.‟

Die Frau ging unruhig in der Küche auf und ab. „Ich kann das nicht. Wie soll ich die Wohnung verlassen, wenn überall Teufel lauern? Ich geh nicht raus. Nein, ich bleib hier. Für immer.‟

Sarah antwortete nicht.

„Sarah?‟ Angst stieg in Caroline Mitterhofer auf. Sie biss sich auf die Lippen und schmeckte Blut. „Sarah, du hast gesagt, du bleibst bei mir.‟ Sie war den Tränen nahe. Wenn Sarah sie erneut verlassen hatte – sie würde es nicht überleben.

Da meldete sich ihre Tochter endlich wieder: „Ich habe auch gesagt, du musst mir zuhören.‟

Caroline nickte. „Ja, alles, was du willst. Ich höre dir ja zu.‟

„Gut. Du hast eine Aufgabe, vor der du dich nicht verschließen kannst. Dein Leben dient einem höheren Zweck. Diese Kinder warten, verlassen sich auf dich. Ich verlasse mich auf dich.‟

Die Frau ließ die Worte ihrer Tochter auf sich wirken. Ja. Wie konnte sie bloß zweifeln? Wie konnte sie an sich selbst denken? Daran, wie sie sich fühlte? Diesen Kindern ging es wesentlich schlechter als ihr. Und sie war die Einzige, die daran etwas ändern konnte.

Sie seufzte. „Gut, dann sollten wir uns einen Plan überlegen.‟ Sie spürte Sarahs Lächeln und wünschte sich, sie könnte ihre Tochter auch sehen, nicht nur hören.

Das Liliengrab

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