Читать книгу Die Foxworth-Saga 1-3 - V.C. Andrews - Страница 26

Einen Freund zu finden

Оглавление

Jemand schrie auf der Dachbodentreppe! Ich schreckte aus dem Schlaf hoch und blickte in die Runde, um zu sehen wer fehlte. Cory!

O Gott – was war ihm passiert?

Ich sprang aus dem Bett und rannte zum Dachbodenaufgang, und hinter mir wurde Carrie wach und heulte sofort mit los, ohne zu wissen, worum es Cory überhaupt ging. Chris schrie: »Was zum Teufel ist denn nun wieder los?«

Ich sprang die ersten sechs Stufen hoch und stand sprachlos vor einem Cory, der sich die Seele aus dem Hals brüllte, ohne daß auch nur der geringste Grund dafür zu erkennen gewesen wäre. »Tu was! Tu doch was!« schrie er mich an, und endlich zeigte er auf den Grund seiner Aufregung.

O je ... auf einer der höheren Treppenstufen stand eine Mausefalle. An dieser Stelle bauten wir sie immer über Nacht auf und legten Käsestücke als Köder hinein. Aber diesmal hatte eine Maus die Falle überlebt. Sie hatte versucht, besonders schlau zu sein, und den Käse mit der Vorderpfote weggezogen. So hatte der mörderische Drahtbügel ihr nicht das Genick gebrochen, aber dafür hing sie jetzt mit der Pfote darunter fest. Wild zappelnd knabberte die kleine graue Maus an ihrer Pfote, um sich trotz ihrer Schmerzen selbst frei zu beißen.

»Cathy, mach doch schnell was!« rief Cory noch mal und warf sich in meine Arme. »Rette ihr bitte das Leben! Laß sie sich nicht den Fuß abbeißen! Ich will eine lebende Maus! Ich möchte einen Freund! Ich habe nie ein kleines Tier gehabt. Du weißt, daß ich immer ein Tier haben wollte. Warum müßt ihr immer die armen Mäuse totmachen?«

Carrie stand inzwischen hinter mir und trommelte mir mit den kleinen Fäusten gegen den Rücken. »Du bist böse, Cathy! Böse! Böse! Du läßt Cory nie irgendwas haben!«

Soweit mir bekannt war, hatte Cory bisher immer alles bekommen, was es für Geld zu kaufen gab, außer einem Haustier, seiner Freiheit und dem ›Draußensein‹. Aber Carrie hätte mich wahrscheinlich auf der Treppe erschlagen, wenn Chris mir nicht zu Hilfe geeilt wäre und Carries Zähne von meinem Bein gelöst hätte, das glücklicherweise von einem ziemlich dicken, bis zu den Knöcheln reichenden Nachthemd geschützt war.

»Schluß mit diesem Theater!« befahl er nachdrücklich. Und dann bückte er sich mit dem Putzlappen in der Hand, den er eigens mitgebracht haben mußte, um eine wilde Maus anfassen zu können, ohne von ihr in die Hand gebissen zu werden.

»Mach ihn wieder gesund, Chris«, bettelte Cory. »Bitte, laß ihn nicht sterben.«

»Wenn du diese Maus so gerne haben willst, Cory, versuche ich, was ich kann, ihre Pfote und ihr Bein zu retten, auch wenn es böse damit aussieht.«

Mann, was für eine Aufregung, um nun das Leben einer einzigen Maus zu retten, nachdem wir vorher schon Hunderte von Mäusen umgebracht hatten. Zuerst mußte Chris vorsichtig den Bügel der Falle anheben, und als er das tat, fauchte ihn das begriffsstutzige kleine Ding wütend an, während Cory sich schluchzend abwandte und Carrie laut losheulte. Die Maus fiel fast in Ohnmacht. Allerdings vor Erleichterung, wie mir schien.

Wir rannten ins Badezimmer hinunter, wo Chris und ich unsere nicht gerade üppige medizinische Ausstattung auf einem sauberen Handtuch ausbreiteten. Inzwischen hielt Cory den Putzlappen mit seiner kostbaren Maus.

»Er ist tot!« schrie Carrie plötzlich und trat nach Chris. »Du hast Corys einziges Haustier totgemacht!«

»Die Maus lebt noch«, erklärte Chris ruhig. »Jetzt seid alle mal still und bewegt euch nicht. Cathy, du nimmst bitte die Maus und hältst sie ruhig. Ich werde versuchen, ihr die Verletzung irgendwie zu verbinden, und dann muß ich das Bein schienen.«

Zuerst reinigte er das Beinchen mit Desinfektionsmittel, während die Maus wie tot dalag, die Augen weit aufgesperrt, und mich unglücklich anstarrte. Danach umwickelte er das Bein mit Gaze, die er erst in der Mitte längs durchreißen mußte, damit es in der Breite paßte. Als Schiene nahm er einen Zahnstocher, den er auf die passende Länge abbrach und mit Klebstoff befestigte.

»Ich werde ihn Micky nennen«, verkündete Cory, dessen Augen leuchteten wie zu Weihnachten, weil eine kleine Maus weiterleben durfte, um sein Spieltier zu werden.

»Es könnte ja auch ein Mäusemädchen sein«, meinte Chris.

»Nein! Ich will kein Mäusemädchen nicht – ich will eine Micky Maus.«

»Dann ist es eben ein Junge«, sagte Chris. »Micky wird am Leben bleiben und uns den ganzen Käse wegfressen«, erklärte unser angehender Doktor, bei dem ein gewisser Stolz auf seine erste Operation nicht zu übersehen war.

Er wusch sich das Blut von den Fingern, und Cory und Carrie strahlten über das ganze Gesicht, als wäre nun doch endlich wieder etwas Schönes in ihr Leben gekommen.

»Laß mich Micky jetzt mal halten«, verlangte Cory.

»Nein, Cory, laß ihn noch eine Weile bei Cathy auf der Hand. Weißt du, er leidet noch an einem Schock, und Cathys Hände sind größer und deshalb auch wärmender als deine. Du könntest ihn versehentlich erdrücken.«

So saß ich dann in unserem Schaukelstuhl und pflegte eine graue Maus, die dicht vor einem Herzanfall zu stehen schien – ihr Herz pochte rasend gegen meine Handfläche. Sie fiepte leise und flatterte mit den Augenlidern. Und als ich ihren kleinen warmen Körper so um sein Leben ringen spürte, da wünschte ich mir, daß sie es schaffte und Corys Spielgefährte wurde.

Die Tür ging auf, und die Großmutter kam herein.

Keiner von uns war vollständig angezogen. Wir trugen sogar alle noch unsere Schlafsachen und nicht einmal Morgenmäntel darüber, die unsere Körper ausreichend verhüllten. Unsere Füße waren nackt, unsere Haare ungekämmt und unsere Gesichter ungewaschen.

Eine Regel nicht befolgt!

Cory drückte sich eng an meine Seite, als die Großmutter ihren kritischen Blick durch unser unordentliches (um die Wahrheit zu sagen, ausgesprochen schlampiges) Zimmer wandern ließ. Die Betten waren nicht gemacht, unsere Kleider lagen über die Stühle geworfen, und der Boden war mit Socken gepflastert.

Zwei Regeln verletzt!

Und Chris war mit Carrie im Badezimmer, um ihr das Gesicht zu waschen und ihr beim Anziehen zu helfen.

Drei Regeln verletzt!

Die beiden kamen aus dem Bad. Carries Haar war hübsch ordentlich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, mit einer rosa Schleife darin.

Sofort, als sie die Großmutter sah, erstarrte Carrie. Ihre blauen Augen blickten groß und furchtsam. Sie wandte sich ab und klammerte sich schutzsuchend an Chris. Er nahm sie auf den Arm und setzte sie mir auf den Schoß. Dann ging er zum Picknick-Korb, den die Großmutter auf den Tisch gestellt hatte, und packte ihn rasch aus.

Als Chris in ihre Nähe kam, wich die Großmutter zurück. Er ignorierte sie völlig, während er sich mit dem Korb beschäftigte.

»Cory«, sagte er und ging zum Dachbodenaufgang, »ich gehe nach oben und suche einen passenden Vogelkäfig heraus. Inzwischen ziehst du dich anständig an, ohne dir von Cathy dabei helfen zu lassen, und wäschst dir das Gesicht und die Hände.«

Die Großmutter verhielt sich weiter still. Ich saß im Schaukelstuhl und umsorgte die unruhig werdende Maus, während meine Kleinen sich an mich schmiegten und wir alle drei keinen Blick von der Großmutter ließen, bis Carrie es schließlich nicht länger aushalten konnte und ihr Gesicht hinter meiner Schulter verbarg. Ihr kleiner Körper zitterte von Kopf bis Fuß.

Es beunruhigte mich, daß sie nicht mit uns schimpfte. Sie sagte nichts zu den ungemachten Betten und dem unordentlichen Zimmer, das ich mich sonst immer bemühte sauber und ordentlich zu halten. Und warum hatte sie Chris nicht dafür getadelt, daß er Carrie anzog? Warum schaute sie nur und sah alles und sagte nichts?

Chris kam vom Dachboden zurück, in der Hand einen alten Vogelkäfig und etwas Maschendraht, mit dem er die breiten Lücken zwischen den Käfigstäben sichern wollte, wie er uns erzählte.

Diese Worte ließen die Großmutter zu ihm herumfahren. Ihre Steinaugen wandten sich dann wieder mir zu und fixierten den Putzlappen, den ich auf dem Schoß hielt. »Was hast du da in der Hand, Mädchen?« verlangte sie in eisigem Ton zu wissen.

»Eine verletzte Maus«, antwortete ich mit einer Stimme, die genauso eisig war wie ihre.

»Habt ihr vor, diese Maus als Haustier zu behalten und in den Käfig zu setzen?«

»Ja, das wollen wir.« Ich sah sie trotzig an und erwartete herausfordernd, was sie unternehmen würde. »Cory hat nie ein Tier besessen, und jetzt ist die Zeit dafür, daß er eines bekommt.«

Sie verzog ihre dünnen Lippen, und ihre kalten Steinaugen wanderten zu Cory, der zitternd dicht vor dem lauten Weinen stand. »Nur zu«, sagte sie, »behaltet diese Maus ruhig. Ein solches Haustier paßt zu euch.« Dann rauschte sie hinaus.

Chris begann den Maschendraht am Käfig anzubringen und sagte: »Die Käfigstangen sind zu weit auseinander, um Micky da drinnen zu halten. Deshalb muß ich erst den Draht außen herumwickeln, damit dein kleiner Freund dir nicht gleich fortläuft.«

Cory lächelte. Er spähte in den Lappen, ob Micky auch noch lebte. »Er hat Hunger. Das sehe ich daran, wie er mit der Nase schnuppert.«

Die Zähmung von Micky, der Dachbodenmaus, war schon eine beachtliche Leistung. Erst einmal traute uns der kleine Bursche überhaupt nicht, obwohl wir ihm den Fuß aus der Falle befreit hatten. Er haßte es offenbar, in dem Käfig eingesperrt zu sein. Er humpelte mit dem scheußlichen Ding, das wir ihm an den Fuß geklebt hatten, traurig im Kreis und suchte einen Fluchtweg. Cory schob Käse und Brotkrümel zwischen den Gitterstäben durch, um Micky zum Fressen zu verlocken, damit er wieder stark und gesund wurde. Doch Micky ignorierte Käse und Brot. Er zog sich in die hinterste Käfigecke zurück, so weit weg von dem Futter wie möglich, die winzigen schwarzen Augen voller Furcht. Als Cory die rostige Käfigtür aufklappte, um eine Puppenhaus-Terrine als Wasserschälchen hineinzustellen, zitterte Micky am ganzen Mauseleib.

Einmal mit der Hand im Käfig, schob Cory vorsichtig den Käse etwas näher an Micky heran. »Leckerer Käse«, sagte er einladend. Er stupste einen Brotbrocken auf die zitternde Maus zu, deren Nase zuckte. »Gutes Brot. Davon wirst du groß und stark und ganz gesund.«

Es dauerte zwei Wochen, bis Cory eine Maus hatte, die an ihm hing und zu ihm kam, sobald er pfiff. Cory ließ Micky auf seiner Schulter sitzen und steckte sich Leckerbissen in die Brusttaschen des Hemdes. Käse auf der einen Seite und Sandwichreste in der anderen Tasche. Micky zögerte hin und her gerissen auf der Schulter, schnupperte mit zitternden Barthaaren. Man sah nur zu deutlich, daß wir es nicht mit einer feinschmeckerischen Maus zu tun hatten, sondern mit einer verfressenen, die aus beiden Taschen alles auf einmal haben wollte.

Wenn Micky sich dann endlich für eine der Taschen entschieden hatte, krabbelte er wie der Blitz in die Sandwich-Tasche, fraß sie bis auf den letzten Krümel leer und kletterte, husch, wieder auf Corys Schulter, flitzte um Corys Nacken und hinein in die Brusttasche mit dem Käse. Es war ulkig, wie Micky niemals direkt von einer Tasche in die andere wechselte, sondern immer erst zurück auf die Schulter krabbelte, um den Nacken herum lief und Cory dabei über alle kitzligen Stellen trippelte.

Der kleine Fuß und die Pfote verheilten, aber die Maus konnte nie wieder sehr gut laufen oder gar schnell rennen. Aber es war die begabteste Maus, die man sich vorstellen kann, wenn es an das Erschnuppern von Fressen ging. Bereitwillig gab Micky seine Mäusefreunde auf und tauschte sie gegen die Menschen ein, die ihn so gut fütterten, pflegten und in den Schlaf schaukelten – bis auf Carrie, die erstaunlicherweise keinerlei Geduld für Micky aufbrachte. Es mochte daran liegen, daß die Maus ebensolchen Gefallen an Carries Puppenhaus fand wie Carrie selbst. Die kleinen Türen und Treppen paßten genau zu Mickys Größe, und wenn er freigelassen wurde, trippelte er sofort zum Puppenhaus. Durch ein Fenster stieg er ein und sprang in den Salon. Die Porzellanbewohner stürzten rechts und links zur Seite, und der Eßtisch fiel um, als Micky einen Blick auf das Dinner werfen wollte.

Carrie schrie Cory an: »Dein Micky frißt das ganze Spielessen auf! Nimm ihn sofort da raus! Hol ihn aus meinem Salon raus!«

Cory fing seine lahme Maus ein, die wegen ihres Hinkebeins leicht zu erwischen war, und kuschelte sie sich an die Brust. »Du wirst noch lernen, wie man sich da benehmen muß. In großen Häusern passieren einem schlimme Sachen. Die Lady, der das Haus da hinten gehört, die schlägt dich für jede Kleinigkeit. Sei vorsichtig, Micky!«

Ich mußte leise lachen, denn das war das erste Mal, daß Cory sich in irgendeiner Weise abfällig über seine Zwillingsschwester äußerte.

Es war eine gute Sache, daß Cory eine süße kleine Spielmaus hatte, die tief in seine Taschen krabbelte, um nach den Leckerbissen zu suchen, die das Herrchen dort versteckt hatte. Es war für uns alle eine gute Sache, etwas zu haben, das uns die Zeit vertrieb und mit dem wir unsere Gedanken beschäftigen konnten, während wir warteten und warteten, daß unsere Mutter sich wieder blicken ließ, wobei es langsam so auszusehen begann, als würde sie nie mehr zurückkommen.

Die Foxworth-Saga 1-3

Подняться наверх