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4. Innere Struktur des objektiven Idealismus

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Telegraphisch sei noch bezeichnet, welche Teile eine objektiv-idealistische Philosophie haben sollte. Die erste Einteilung ist sicher in Philosophie des Idealen und Philosophie des Realen – denn bevor wir uns materialen Gehalten zuwenden, müssen wir über die Normen unseres Denkens und Handelns Klarheit besitzen. Logik und Axiologie/Ethik gehören beide in die Erste Philosophie, und sie verweisen insofern aufeinander, als Erkennen etwas Werthaftes ist und unser Erfassen von Werten Erkenntnis sein soll.7 Logik muss aber dabei viel weiter gefasst werden als die Lehre von der Folge rung, zu der sie heute zusammengeschrumpft ist.8 Dies ist eine paradoxe Folge der Tatsache, dass keine philosophische Disziplin im 20. Jahrhundert so große Fortschritte gemacht hat wie ebendiese Lehre; die Konzentration auf sie hat die anderen Teilgebiete der Logik verdrängt, nämlich die Lehre vom Begriff und vom Urteil. Kaum etwas ist aber für die Philosophie wichtiger als die Klärung des Problems der Begriffsbildung, ja, die Entwicklung einer Theorie „natürlicher Arten“ in der Philosophie, sowie die Rechtfertigung elementarer Urteile. Die Entwicklung der Logik im engeren Sinne hat, ganz analog der Entwicklung der nichteuklidischen Geometrien im 19. Jahrhundert, nicht nur neue Logiken für einzelne Teilbereiche, wie etwa die temporale Logik, hervorgebracht, sondern auch gegeneinander konkurrierende Logiken, die gleichermaßen konsistent sind – man denke an die klassische und die intuitionistische Logik oder an die unterschiedlichen Modallogiken (von denen allerdings die deontische Logik einem separaten Gegenstandsbereich zuzuordnen ist). Auch die metalogische Klärung des Folgerungsbegriffs ist bei weitem nicht abgeschlossen – man denke nur an die Relevanzlogik. Gerade bei der Wahl zwischen alternativen Logiken spielen abstrakte Argumente eine Rolle (etwa „für S 5 sprechen Reflexivität, Symmetrie und Transitivität der Zugangsrelation“), die der Logik vorausgehen, auch wenn sie sich teilweise selber logischer Strukturen bedienen. Die genaue Klärung des Verhältnisses von transzendentalen Argumenten und formallogischen Strukturen und die Unterscheidung legitimer von illegitimen Formen von Zirkel gehören zu den interessanteren Aufgaben der Ersten Philosophie (Ossa 2007).

Innerhalb des Realen sind die beiden entscheidenden Teilbereiche die Philosophie der Natur und die des Geistes, wobei der Geist Logik und Ethik zu erfassen vermag. Aufgaben der Ersteren ist die Klärung formaler und materialer Grundbegriffe der anorganischen Natur – etwa Naturgesetz bzw. Raum, Zeit, Bewegung, Materie – sowie der gemeinsamen Wesenszüge und der unterschiedlichen Hauptformen der Organismen.9 Innerhalb des Organischen ist das Auftreten des Mentalen anzusiedeln. Zentrale Einschnitte in der Entwicklung des Mentalen sind die Herausbildung von Intentionalität, Selbstbewusstsein und Fähigkeit zur Geltungsreflexion. Da es eine Pluralität von Geistwesen gibt, besteht Erkenntnis in der Erfassung logischer Strukturen, von Physischem, der eigenen Mentalität in der Introspektion und fremder Mentalität im Verstehen, das durch die Herausbildung einer Sprache bedeutend erleichtert wird. Das Verstehen ist die Grundlage der Interaktionen zwischen verschiedenen Geistwesen, deren deskriptive Formenlehre die Sozialphilosophie, deren Normierung die Praktische Philosophie ist. Auch wenn jede Normierung auf ein ideales Prinzip zurückgreift, ist diese doch vermittelt durch die faktischen normativen Überzeugungen der eigenen Gesellschaft, die u.a. durch Kunst und Religion vermittelt werden; daher ist die Kulturphilosophie ein zentraler Bestandteil der Philosophie des Geistes. Die Fülle unterschiedlicher Philosophien kann aus einer Bedrohung in eine Stütze des eigenen Wahrheitsanspruchs verwandelt werden, wenn die Philosophie mit einer Philosophie der Geschichte der Philosophie schließt, in der der objektive Idealismus eine ausgezeichnete Rolle spielt.

1 Es ist u.a. dieser Gedanke, der der Kritik an der Korrespondenztheorie der Wahrheit in Richard Rortys Philosophy and the Mirror of Nature (1979) zugrunde liegt.

2 Siehe meine Theorie der Philosophiegeschichte als zyklisch oder, um genauer zu sein, spiralförmig: Wahrheit und Geschichte (1984).

3 Ich bin mir bewusst, dass Nietzsche dieses Prädikat etwas anderem zuschreibt, aber vielleicht ist meine Attribution konsistenter.

4 Ich folge dem ausgezeichneten Artikel: „Fitch’s Paradox of Knowability“ in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (plato.stanford.edu/entries/fitch-paradox/).

5 Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften §§ 160ff. vs. § 467. Noch feiner unterscheidet Husserl zwischen „Begriffen als allgemeinen Wortbedeutungen und Begriffen als Spezies des eigentlichen allgemeinen Vorstellens und wieder Begriffen als allgemeinen Gegenständen, nämlich als den intentionalen Korrelaten der allgemeinen Vorstellungen“ (1992, 4.732; vgl. 4.713).

6 Für Kant lassen sich (wenigstens einige) synthetische Sätze a priori dadurch begründen, dass ihre Negation der Möglichkeit von Erfahrung widerspricht (KpV, A 93).

7 Zum Wechselverhältnis von verum und bonum siehe Thomas von Aquin, z.B. Summa theologize (I, q. 16 a.4 ad1; q. 59 a.2 ad 3; q. 79 a.11 ad 2; q. 82 a.3 ad1 und a.4 ad 1; q. 87 a.4 ad 2; I/II q. 9 a.1 ad 3.).

8 Der Vollbegrifff der Logik ist noch erhalten bei Husserl (1992, 2.230ff.).

9 Vorbildlich ist Dieter Wandschneider (2008).

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