Читать книгу Wer fühlt, was er sieht, der tut, was er kann - Volker Halfmann - Страница 28
»Das habt ihr für mich getan«
ОглавлениеIn diesem ersten Teil meines Buches möchte ich Sie davon überzeugen, wie wichtig es ist, sich mit der Frage nach der Barmherzigkeit auseinanderzusetzen. Wir brauchen Barmherzigkeit – und zwar nicht alleine für die Notleidenden auf unserem Lebensweg, sondern ebenso für uns selbst!
Der Evangelist Matthäus überliefert, wie Jesus von seiner Wiederkunft und dem damit verbundenen Gericht über alle Völker spricht. Darin gibt es nur ein einziges Kriterium, welches über Annahme oder Verwerfung entscheidet: die Werke der Barmherzigkeit!
Dann wird der König zu denen auf seiner rechten Seite sagen: »Kommt, ihr seid von meinem Vater gesegnet, ihr sollt das Reich Gottes erben, das seit der Erschaffung der Welt auf euch wartet. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen. Ich war nackt, und ihr habt mich gekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich gepflegt. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.«
Dann werden diese Gerechten fragen: »Herr, wann haben wir dich jemals hungrig gesehen und dir zu essen gegeben? Wann sahen wir dich durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann warst du ein Fremder und wir haben dir Gastfreundschaft erwiesen? Oder wann warst du nackt und wir haben dich gekleidet? Wann haben wir dich je krank oder im Gefängnis gesehen und haben dich besucht?« Und der König wird ihnen entgegnen: »Ich versichere euch: Was ihr für einen der Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan!«
Und dann wird sich der König denen auf seiner linken Seite zuwenden und sagen: »Fort mit euch, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das für den Teufel und seine bösen Geister bestimmt ist! Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr gabt mir nichts zu trinken. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich nicht in euer Haus eingeladen. Ich war nackt, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich war krank, und ihr habt mich nicht gepflegt. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht.«
Dann werden sie fragen: »Herr, wann haben wir dich jemals hungrig oder durstig oder als Fremden, nackt, krank oder im Gefängnis gesehen und dir nicht geholfen?« Und er wird ihnen erwidern: »Ich versichere euch: Was ihr bei einem der Geringsten meiner Brüder und Schwestern unterlassen habt, das habt ihr an mir unterlassen!« Und sie werden der ewigen Verdammnis übergeben werden, den Gerechten aber wird das ewige Leben geschenkt. 33
In reformatorischen Kreisen erzeugt dieser Text immer wieder Bauchschmerzen, da er die Annahme nahelegt, der Mensch könne einzig durch seine Werke (die Werke der Barmherzigkeit) vor Gott gerecht werden und vor ihm bestehen. Um sich dieses Problems zu entledigen, wird manchmal betont, hier könne es nur um ein Gericht über die Heidenvölker gehen (womit die Christenheit dann fein raus wäre). Doch eine Analyse des Textzusammenhangs lässt meines Erachtens eine solche Deutung nicht zu, denn bei dieser Rede handelt es sich ausdrücklich um eine Belehrung der Jünger. 34 Das Gericht, von dem die Rede ist, betrifft alle Menschen, Heiden wie Christen: »Denn wir alle müssen einmal vor Christus und seinem Richterstuhl erscheinen, wo alles ans Licht kommen wird. Dann wird jeder von uns das bekommen, was er für das Gute oder das Schlechte, das er in seinem Leben getan hat, verdient.« 35
Die Frage nach der Gerechtigkeit aus Werken oder der Errettung allein durch den Glauben ausführlich zu behandeln, würde den Rahmen dieses Buchs sprengen. Nur so viel sei hier betont: Nach dem Neuen Testament ist es nicht möglich, sich sein Heil durch gute Werke zu verdienen: »Er (Gott) rettete uns, nicht wegen unserer guten Taten, sondern aufgrund seiner Barmherzigkeit. Er wusch unsere Schuld ab und schenkte uns durch den Heiligen Geist ein neues Leben.« 36 Jedoch es ist durchaus möglich, sein Heil durch das Unterlassen ebensolcher Werke zu gefährden! »Entscheidend ist der Glaube, der sich in der Liebe zeigt.« 37 Ein Glaube ohne Werke der Barmherzigkeit ist im Neuen Testament nicht vorgesehen, ja er kann kein Glaube sein:
Denn es wird keine Barmherzigkeit für den geben, der anderen gegenüber nicht barmherzig war. Wer aber barmherzig war, wird auch vor dem Gericht Gottes bestehen. Liebe Brüder (und Schwestern), was nützt es, wenn jemand von seinem Glauben spricht, aber nicht entsprechend handelt? Ein solcher Glaube kann niemanden retten. Angenommen, jemand sieht einen Bruder oder eine Schwester um Nahrung oder Kleidung bitten und sagt: »Lass es dir gut gehen, Gott segne dich, halte dich warm und iss dich satt«, ohne ihnen zu essen oder etwas anzuziehen zu geben. Was nützt ihnen das? Es reicht nicht, nur Glauben zu haben. Ein Glaube, der nicht zu guten Taten führt, ist kein Glaube – er ist tot und wertlos. 38
Aber kann es so etwas geben: Einen Glauben, der die Lebensführung völlig unberührt lässt und somit auch nicht zu guten Werken führt? Anscheinend schon, denn sonst wären die Ermahnungen der Bibel ja allesamt überflüssig! Offensichtlich gibt es einen Glauben, der nur im Kopf stattfindet, aber nicht das Herz erreicht; ein Glaube, der Gott einen guten Mann sein lässt, ohne darauf bedacht zu sein, selbst gut zu werden; ein Glaube, der als eine Art Lebensversicherung verstanden wird, aber keine Auswirkungen auf die Lebensführung hat. Ein solcher Glaube, betont das Neue Testament, wird im Gericht Gottes nicht bestehen können.
Eben darum sind die Werke der Barmherzigkeit nicht allein für die Notleidenden wichtig, sondern ebenso für diejenigen, die sie ausführen! Dabei muss beachtet werden, dass die Helfenden, von denen Jesus spricht, an keiner Stelle berechnend gehandelt haben, sondern aus einem barmherzigen Herzen heraus. Jesus identifiziert sich so sehr mit den Armen, Schwachen, Kranken und Ausgebeuteten, dass er sagen kann: »Was ihr diesen Menschen getan habt, das habt ihr mir getan!« Doch die Barmherzigen wussten dies nicht. Ihr Impuls, zu helfen, geschah nicht aus einem berechnenden Verstand heraus (»Ich muss dies tun, um vor meinem Herrn zu bestehen«), sondern aus einem mitfühlenden Herzen.
Glaubende Menschen sind liebende Menschen – und diese Liebe äußert sich durch Werke der Barmherzigkeit. Den Barmherzigen wird das ewige Leben geschenkt. Jesus sagt: »Glücklich sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren.« 39