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Die Knochen-Knorpel-Partnerschaft zerbricht
ОглавлениеHämmert es immer wieder auf den Knorpel ein, so merkt das auch der Knochen. Moritz wacht auf. Oje, mechanische Belastung. Er muss etwas tun! Und er tut, was er gelernt hat. Leider aber weiß Moritz nicht, an welcher Stelle des Knochens er sich befindet. Was zur Begradigung des Röhrenknochens so gut funktioniert, hier, an der Grenze zum Knorpel, macht Moritz mit den besten Absichten das Falsche. Er schaufelt Knochen unter den Knorpel, die Tide Line „sklerosiert“, das heißt, der Knochen wird dichter. Und fester. Das ehemals weiche Bett für den Knorpel wird zum harten Feldlager. Es drückt von unten fest gegen den Knorpel, der von der Gelenkseite ohnehin geprügelt wird. In der Folge degeneriert der Knorpel, er wird dünner und verliert seine weichen Eigenschaften immer mehr. Das kriegt wiederum Moritz ab, der immer schneller Knochen schaufelt, in der Meinung, dass da, wo hohe Belastung ist, auch viel Knochen hinmuss. Ein Teufelskreis der Degeneration beginnt. Elfriede und Moritz zerstören sich gegenseitig, die Freundschaft zerbricht.
Der aufrechte Gang
Der aufrechte Gang unterscheidet uns Menschen von den anderen Primaten, ja, durch ihn wurden wir überhaupt erst zu Menschen. Wie es zur Aufrichtung und der Fortbewegung auf zwei Beinen kam und welche Faktoren diesen größten Schritt in der menschlichen Evolution begünstigten, darüber streiten sich die Gelehrten. Erdgeschichtliche Veränderungen, Klimawandel und Anpassungen im Verhalten sowie etliche Genmutationen haben zur Aufrichtung beigetragen, und das über Jahrmillionen hinweg. Zur Erinnerung: Lucy aus der Gattung des Australopithecus ist seit über drei Millionen Jahren tot. Noch einmal eine gute Million Jahre länger tot ist Ardi (Ardipithecus ramidus), ebenfalls eine Menschenartige mit bereits aufrechtem Gang. Das weiß man relativ genau, weil ihre Knochen, vor allem das Becken und die längeren Oberschenkelknochen, deutliche Hinweise auf eine aufrechte Haltung geben. Außerdem erinnern 3,6 Millionen Jahre alte Trittsiegel, die man 1972 aus tansanischer Vulkanasche gepinselt hat, an genau die Füße, die uns bis heute durch die Gegend tragen. Aus dem Greiforgan der Mittelfußknochen sind also schon vor Urzeiten Füße mit Gewölbe zum Abfedern des Schritts geworden, unsere feet are made for walking. Lucy und Ardi konnten beide sowohl mit zwei Beinen auf dem Boden laufen als auch sich mit langen Armen geschickt an Ästen entlanghangeln. Das zeigt uns, dass sich der Mensch nicht irgendwann dramatisch aufgerichtet hat, sondern lang zuvor schon aufrecht hangelnd im Geäst unterwegs war. Dennoch: Im aufrechten Gang, wenn auch noch wacklig und auf X-Beinen, manifestiert sich in unseren Augen bereits die menschliche Gattung. Die von einem Forscher rekonstruierte Vermutung, dass Lucy vom Baum fiel und starb, bestätigt diese Annahme. Welcher Affe fällt schon vom Baum?
Die bahnbrechenden Entdeckungen der Paläoanthropologie wurden in Afrika, der Wiege der Menschheit, gemacht. Neuerdings gibt es aber auch wesentlich ältere Knochenfunde aus dem Allgäu, die spektakulär sind. „Die Knochen des Bewegungsapparats erzählen uns über die Abstammungsgeschichte des Menschen viel mehr als Schädel und Zähne“, sagte Madelaine Böhme in einer schriftlichen Mitteilung vom 30.11.2021,3 nachdem sie und ihr Team 2020 ein Exemplar des Danuvius guggenmosi, oder besser seine Fossilien, ausgegraben hatten. Er hatte lange Arme wie ein Affe, muss aber mit durchgestreckten Knien gelaufen sein wie ein Mensch. Udo aus dem Miozän, war er der gemeinsame Vorfahr von Ardi und Lucy? Der Urahn aller Primaten, von dem die Wissenschaft seit Charles Darwin träumt?
„In dem Maße, wie die Urerzeuger des Menschen mehr und mehr aufrecht wurden, ihre Hände und Arme mehr und mehr zum Greifen und zu andern Zwecken, und ihre Beine und Füße gleichzeitig zur sichern Stütze und zur Ortsbewegung modifiziert wurden, werden auch endlose andere Veränderungen im Bau nothwendig geworden sein. Das Becken muß breiter, das Rückgrat eigenthümlich gebogen und der Kopf in einer veränderten Stellung befestigt worden sein; und alle diese Veränderungen sind vom Menschen erlangt worden.“ (Charles Darwin)4
Versteinerte Knochen sind das einzige Zeugnis unserer Ahnen aus grauer Vorzeit. (Die frühesten Werkzeuge des Homo habilis traten erst eine Million Jahre später auf.) Das Skelett, oder einzelne Knochen und Skelettfragmente, wie sie von Archäologinnen und Archäologen vorsichtig aus dem umgebenden Material herausgelöst werden, lassen interessante Aufschlüsse zu. Ein Hinterhauptsloch etwa (durch die Durchtrittsstelle laufen die zentralen Nervenfasern in Richtung Rückenmark und Gliedmaße), das unter der Mitte des Schädels sitzt, weist darauf hin, dass dieser Vorfahr seinen Kopf bereits hoch über den Schultern getragen haben muss. Oberschenkelknochen mit großem Kopf und kurzem Oberschenkelhals sowie streckfähige Kniegelenke zeigen das Ausmaß der Schritte. Hüftknochenfunde mit großen Ansatzflächen für den Gesäßmuskel (Musculus gluteus maximus) legen nahe, dass dieses Wesen seinen Hintern hochbekam. Ohne ihn könnten wir nicht auf zwei Beinen laufen. Auch dass der aufrechte Gang schon immer eine Balanceübung war, zeigen die Skelette der Vorzeit mit ihren bereits doppel-S-förmigen Wirbelsäulen und dem Schwerpunkt im Becken. Die Körperausrichtung mit ihren senkrechten Achsen von den Füßen bis zum Oberhaupt, alles um die Körpermitte nahe am Rücken orientiert, ist bis heute gleich geblieben. Kurzum, das Skelett eines aufgerichteten Menschenaffen war eine ganz andere Nummer – und es bot Möglichkeiten, von denen die Kollegen auf ihren Bäumen nicht mal zu träumen wagten. Man konnte Nahrung und sein Baby auf der nackten Haut tragen, mit weniger Energie größere Strecken zurücklegen, weit sehen, aber leider auch gesehen werden, später Werkzeuge und Schutzhütten bauen, durch die Aufteilung der Arbeit sesshaft werden und sich beim Sex in die Augen schauen. Gefühle entwickeln, Sprache, Gedanken und einen Glauben. Viele Autorinnen und Autoren der Menschheitsgeschichte von Platon über Ovid bis Julien Green haben unsere Verbindung nach oben, zum Himmel, wo Gott wohnt, gesehen. Manchen erschien die Aufrichtung wie gemacht für eine Anbetung, die ja die Möglichkeit der Verbeugung voraussetzt, andere vermuteten im Gegenteil in der Aufrichtung ein trotziges Behaupten der menschlichen Gattung.
Auf alle Fälle befreite die Aufrichtung die Hände und ermöglichte technisches Geschick, so wie der Kopf in den Wolken herrliche und verrückte Ideen. Die Nachteile? Sie sind erheblich, weil die Schwerkraft Organe und Blut nach unten drückt und die Gelenke belastet. Die Füße müssen das alles tragen, aber auch Sitzen und Liegen tun dem Körper nicht gut. Man bekommt Rückenschmerzen und Hämorrhoiden, die Geburt ist eine Tortur. Das Gehen auf zwei schmalen Füßchen ist alles andere als ideal, jeder Ziegenbock klettert leichtfüßiger auf den Berg als wir mit unseren teuren Treckingboots. Außerdem ist die ganze Konstruktion nur auf dreißig bis vierzig Jahre angelegt.
Dennoch, der aufrechte Gang war wahrscheinlich der Ausgangspunkt menschlicher Kultur. Bis heute zwingt er uns in die ständige Balance, nicht nur was das Ausbalancieren von Gelenken, Muskeln und Bändern betrifft, auch seelisch müssen wir manche Unwucht im Leben ausgleichen. Dann gehen wir einen schweren Gang oder einfach ein bisschen spazieren und richten uns innerlich wieder auf. Manchmal reicht es schon, vom Schreibtisch aufzustehen und sich zu strecken, um sich besser zu fühlen.
Die Orthopädie weiß, dass lebendige Knochen nur wachsen, wenn sie Druck bekommen. Positiv gewendet heißt das: Die aufrechte Haltung bringt unsere Knochen genau in die Dauerbelastung, die sie brauchen und nur bekommen, wenn wir aufstehen. Aufstehen, herumlaufen und ab und an auf einem Bein stehen, um das Gleichgewicht zu trainieren. Die moderne Lucy in der Stellung des Baums hält ihren Stand.