Читать книгу Ayélé, Tochter im Schatten - Véronique Ahyi-Hoesle - Страница 10

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Denise Perlin musste schon als Kind hacken und jäten, Reben schneiden und Wein lesen. Man bekommt nichts geschenkt, wenn die Eltern zu arm sind, sich ein paar eigene Reben zu leisten. Ihre Mutter, ein Findelkind, wurde mit dreizehn Jahren in eine bürgerliche Familie gegeben und ihr Vater hat sich als Hausknecht reicher Leute abgerackert, bis ihn der Tod holte.

Mit achtzehn begegnet Denise auf dem Beaujolais-Fest in Fleurie dem Sohn einer Winzerfamilie. Eugène will Lehrer werden. Die SNCF stellt ein: er wird Eisenbahner. Sie heiraten und ziehen nach Saint-Germain-au-Mont-d’Or, zwanzig Kilometer von Lyon. Da er die Mittlere Reife hat und gut schreiben kann, arbeitet er als Fernschreiber im Büro und ist im Winter nicht draußen der eisigen Kälte ausgesetzt, die durch das Zeitungspapier dringt, mit dem sich die Arbeiter ihre Anoraks ausstopfen.

Denise hat ihren Haushalt fest im Griff. Einschließlich Eugène. Sobald er den Mund auf macht, fährt sie ihm rücksichtslos darüber. Ihre Autorität ist kein leeres Wort. Ein Meter achtzig und hundert wetternde Kilo bändigen auch den Aufsässigsten. Sie ist den Sozialarbeiterinnen gut bekannt. Mit der Pflege von Kleinkindern bessert sie das bescheidene Einkommen der Familie auf. Etwa fünfzehn Kinder waren es schon. Verhütung ist noch unbekannt, und Knaus-Ogino zählen ihre Opfer nicht mehr. Aber dieses Mal hat Denise Perlin, das heißt hat Mutter Denise, Mühe, ihre Augen von dem Korb zu lassen, den sie gerade bekommen hat. Entgeistert schaut sie mich an, dann meinen Vater, dann meine Mutter. Sie war ihnen vorher nicht begegnet. Und einen Schwarzen hat sie noch nie selbst gesehen. Sie ist misstrauisch und wischt ihre Hand, die ihr mein Vater herzlich gedrückt hat, an ihrer Bluse mit den großen roten und gelben Blumen ab, bevor sie sie umdreht und schaut, ob auch nichts abgefärbt hat.

Meine Mutter sitzt ihr gegenüber und beobachtet diese große Frau, die einen so ungehobelten Eindruck macht. Sie fragt sich, welche Erziehung ich von diesem, dem ihren so fernen Milieu erwarten könne. Sie hat es eilig wegzukommen und will auch mein zukünftiges Zimmers nicht sehen. Die Tapeten, das Wachstuch mit den Brandlöchern von Eugènes selbstgedrehtem Knaster auf dem Küchentisch und das unechte chinesische Porzellan im Büfett des Esszimmers haben ihr bereits Aufschluss genug gegeben. Mehr möchte sie davon nicht wissen.

Der Betrag für meinen Unterhalt kommt schnell zur Sprache. Mein Vater akzeptiert, ohne zu handeln. Meine Mutter schüttelt gereizt den Kopf. Der monatliche Scheck für ihre Tochter wird ihr Freizeitbudget schwer dezimieren. Flüchtig geht ihr der Gedanke durch den Kopf, mich doch zur Adoption freizugeben. Hätte sie auf ihre Mutter gehört, müsste sie jetzt nicht mit dieser Matrone über Geld reden. Man hätte mein Bett mit einem weißen Tuch bedeckt, das mich von den anderen Neugeborenen unterscheidet, und dann dem Waisenhaus mit dem Vermerk übergeben: Säugling weiblichen Geschlechts, geboren am 5. März 1960, Vater und Mutter unbekannt.

Bevor sie geht verlangt Marie-Eleonore noch, dass ich nicht zu sehr verwöhnt würde und entfernt sich erhobenen Hauptes, ohne einen Blick zum Korb und ohne das Datum ihres nächsten Besuchs anzugeben. Madame Perlin, die ja schon einige Paare hat kommen und gehen sehen, erholt sich noch immer nicht von ihrer Überraschung. Er, der große Schwarze mit dem seltsamen Akzent, der ihr ewige Anerkennung und ein Geschenk versprochen hat, ist ja ganz sympathisch, aber diese Blondine gefällt ihr überhaupt nicht.

Pierre-Epiphane hat Mühe die alte Renault Dauphine anzulassen, die er von einem Freund geliehen hat. Das Auto stottert und spuckt und verschwindet dann um die nächste Kurve. Der Rückweg nach Lyon verläuft ohne ein Wort. Marie-Eleonore hat den Befehl ihrer Mutter ausgeführt.

Ayélé, Tochter im Schatten

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