Читать книгу Ayélé, Tochter im Schatten - Véronique Ahyi-Hoesle - Страница 11
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ОглавлениеMeine Ankunft in Saint-Germain-au-Mont-d’Or wird sofort bemerkt. Mein Organ hallt im ganzen Viertel wider. Die sonst ruhige Arbeitersiedlung vibriert. Ich hindere alle am Schlafen, besonders die Eisenbahner vom Rangierbahnhof. Nach acht Stunden Waggons an- und abhängen in Tag- oder Nachtschicht ist das Nachhause kommen für sie zur Hölle geworden. Ohropax hat die Siedlung noch nicht erreicht, und in aller Unschuld bin ich Ursache von Szenen, die sich gewaschen haben. Die Männer flüchten sich vor meinem Schreien in Claudettes Café zum Weißwein oder Pastis. Sie verbringen dort Stunden und verjubeln ihren Lohn, der auch so schon kaum die Familie ernährt. Die Hemmungen fallen, sie schimpfen über die Oberschicht, ziehen über ihre Chefs her, und wenn sie dann total betrunken sind, ziehen sie grölend und einander stützend ab. In ihren Treppenhäusern angekommen, ziehen sie sich am Geländer bis zu ihren Etagen hinauf. Läuten brauchen sie nicht mehr. Ihre Frauen haben ihre schwankenden Schritte gehört und ihnen die Türen schon aufgemacht. Sie hangeln sich an der Mauer entlang und torkeln in voller Montur ins Bett. Die Flüche verhallen. Sie hören nichts mehr. Bacchus hat sie in den Armen.
Ich bin ein Ziel der Neugier geworden. Alle Frauen auf dem Rückweg vom Waschhaus wollen den Neuankömmling und Störenfried sehen. Eine nach der anderen untersuchen sie mich, wundern sich über meine Locken und den dunkleren Umriss meiner Ohren und Nägel. Sie zählen meine Finger nach und sind überrascht, dass ich auch nur zehn davon habe. Zoten begleiten ihre Kommentare. Über eine junge Frau der schönen Welt, die ein schwarzes Baby hinterlässt, kann man sich gut das Maul zerreißen. Ich wandere von Arm zu Arm, bis ich die Nase voll habe und der Gehässigsten von ihnen den Rock begieße, worauf sie wütend keift und mich an Mutter Denise zurückgibt.
Vater Eugène besucht nur gelegentlich das Bahnhofscafé. Wenn er von der Arbeit kommt, nimmt er mich auf seine Knie, drückt mich an sich und streichelt mir ungeschickt die Backen. Seine Zärtlichkeit beruhigt mich, und ich schmiege mich wie ein kleines, satt gefüttertes Tierchen in seine Arme. Er ahnt, dass ich noch lange bei ihnen sein werde. Sechzehn Jahre werden es.