Читать книгу Ayélé, Tochter im Schatten - Véronique Ahyi-Hoesle - Страница 16

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Nach und nach verschlechtert sich meine Beziehung zu Mutter Denise. Ich bin zu lange Zeit bei ihr geblieben, um noch als ein zu umsorgendes Kind zu gelten. Sogar die Besucher staunen, dass ich nach sieben Jahren immer noch dort bin. Dann erklärt ihnen Denise mit ihrer Klatschtantenstimme, dass Marie-Eleonore mich praktisch aufgegeben hat, und ich ohne sie ein Fall fürs Waisenhaus wäre. Es stimmt allerdings, dass die Einstellung meiner Mutter nicht gerade für mich spricht. Die Abstände zwischen ihren Besuchen und damit die ausstehenden Zahlungen wurden immer größer. Ich verabscheue Mutter Denise, die mich noch elender macht, als ich es so schon bin. Und um nicht mehr gesehen zu werden und um diese Blicke der Erwachsenen voll Verachtung und Mitleid für dieses Schwarzchen, wie die Großmutter mich manchmal nennt, nicht mehr zu fühlen, verstecke ich mich im Hof unter der Treppe und weine.

Manchmal kommt Vater Eugène und tröstet mich. Wie immer ungeschickt, kann er seine Gefühle nicht ausdrücken. Aber er versucht es. Um meine Tränen zu trocknen, nimmt er mich mit in den Garten oder zum Brennholz sägen. Ich mag diese Momente, wo ich ihm beim Arbeiten zusehe, weit weg von den alten Elstern, die Mutter Denise besuchen.

Ich schließe mich in meiner Phantasiewelt ein. Ich erfinde Sprachen und diskutiere mit meinen Figuren. Die Bücher, die mir Marie-Eleonore bei ihren seltenen Besuchen mitbringt und die nun die zu großen Kleider ersetzen, sind in das oberste Fach des Wandschrankes, in dem ich mich immer versteckt habe, weggeräumt. Eines Tages, als ich nach der Schule nichts im Haushalt helfen muss, öffne ich heimlich den verbotenen Schrank und klettere auf einen Stuhl. Auf Zehenspitzen greife ich nach einem meiner Bücher, komme ins Schwanken, und alle fallen mit mir zusammen herunter. Mutter Denise hört den Krach und schießt wie eine Furie herbei. Die Haare wild durcheinander, ähnelt sie der bösen Fee Carabosse. Ich senke den Kopf, um nicht zu lachen. Mein Fall ist auch so schon ernst genug. Sie schimpft mich gestikulierend und mit drohender Miene aus. Zu meiner Entschuldigung erinnere ich sie daran, dass diese Bücher mir gehören. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Ihre großen Backen beginnen zu zittern. Mein Mädchen, halt dir die Ohren zu wenn du kannst, denn von ihren Worten wird Gift rinnen. „Du redest von einer Mutter?“, pfeift sie mich durch die Zähne an, „Sie kümmert sich ja nich’ mal um dich, die hochnäsig’ Gans! Ma’ könnt’ meine’, dass sie nix anners zu tun hat, als dir Bücher mitbringe’. Die annern Kinder, ham die Bücher? Hä? Aber die ham weng’stens Eltern, richt’ge Eltern, die’s Wochenende komme’. Anners wie bei dir, mei’ arms Mädche. Wie lang haste dei’ Mutter net geseh’? Du weißt es nich’ mal mehr, aber freilich, das Fräulein hat Bücher. Geh, verschwinde, du regst mich noch auf!“

Ich verdrücke mich unverzüglich und verstecke mich im nächsten Zimmer. Einmal in Fahrt, hält Mutter Denise nicht mehr an, und nun muss Eugène herhalten, der sich gerade in der Küche eine Zigarette dreht. „Dir isses natürlich egal. Du sagst nix, und sei’ Mutter schul’t uns sechs Monat’. Die sollt’ uns besser ‘zahle’, wie ihr Bücher kaufe’. Und was kann ma’ mache’, hä? Sag’ doch, willst’ sie etwa am Esse‘ hindern?“

Vater Eugène verteidigt mich und versucht seine Frau zu beruhigen. „Du weißt doch genau, sobald ihre Mutter kommt, wird sie uns alles bezahlen. Sie macht es doch immer so. Aber lass’ die Kleine in Ruh’.“ Die ‚Kleine’ hat gehört, und um weniger zu kosten, bemüht sie sich weniger zu essen. Aber mein Appetit erlangt trotz meiner guten Vorsätze schnell wieder die Oberhand.

Nach Monaten, erscheint Marie-Eleonore unverhofft an einem Sonntagnachmittag. An Denises honigsüßem Ton und an der Eile, mit der sie den Besuch herein bittet, errate ich, dass es meine Mutter ist.

„Claudine, komm’ sehen wer da ist“, sagt Mutter Denise mit lieblicher Stimme. Ich renne einen Sessel um und stürze in Richtung dieser Mama, die mir so sehr gefehlt hat. Wir bleiben zwei oder drei Stunden zusammen, von Mutter Denise überwacht, damit sie ja nichts von unserer Unterhaltung verpasst.

Auf einem Stuhl neben ihr aufrecht sitzend, erzähle ich ihr von der Schule und zeige ihr die Punkte, die ich bekommen habe und die ich in einer alten Dose für Hustenpastillen aufbewahre. Mein Selbsterhaltungstrieb ist bereits erwacht und hält mich zur Selbstzensur an. Ich beklage mich nicht, aber meine Augen sind traurig, und es ist kein Lächeln auf meinen Lippen. Ich schaue Marie-Eleonores leere Arme an, dann ihre Knie; aber sie fordert mich nicht auf, zu ihr zu kommen. Sie hat nie versucht, meinen Blick zu ergründen, noch zu verstehen, was sich hinter meiner Reserviertheit versteckt.

Nachdem sie gegangen ist, schaue ich schweigend zu, wie Mutter Denise meine neuen Bücher wegräumt. Der Scheck, den meine Mutter dagelassen hat, macht sie, wenn schon nicht freundlich, so doch wenigstens etwas bedachtsamer. Mit Pathos berichtet sie ihrem Mann vom Besuch der Frau Doktor und beschreibt ihre weißen Hände, wogegen ihre eigenen durch das ständige Wäschewaschen bei jedem Wetter rot und aufgesprungen sind.

Ayélé, Tochter im Schatten

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