Читать книгу Ayélé, Tochter im Schatten - Véronique Ahyi-Hoesle - Страница 5

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An diesem Julinachmittag drängen die Gläubigen, vor allem aber die Ungläubigen, in die Kathedrale, um mir das letzte Geleit zu geben. Die Schaulustigen, die Leprakranken, die Behinderten, all diese von Gott Verstoßenen, belagern den Vorplatz und warten debattierend darauf, dass meine sterblichen Überreste dem Leichenwagen übergeben und – gegen meinen Willen – auf dem katholischen Friedhof von Bel Air beerdigt werden.

Ich hatte einen Unfall auf der Straße nach Kaolack. Vor acht Tagen ist ein alter, mit tausend Säcken Erdnüsse überladener Berliet-Lastwagen in mein Auto gekracht, weil er einem Schaf auswich, dessen Stündchen sowieso beim nächsten Tabaski-Opferfest geschlagen hätte. Pech, eine Ziege wäre weggesprungen. Während also das Tier durch den Glauben und die Gefräßigkeit des Fahrers gerettet ist und sich mit hängendem Kopf trollt, hinterlässt es in dem zusammengelaufenen Durcheinander eine Frau, die weder weiß noch schwarz ist. Alles, was man bei ihr findet, ist eine von der französischen Botschaft ausgegebene Kennkarte.

Nachdem die Polizei vergeblich auf den Fahrer des Lastwagens gewartet hat – er war verschwunden, weil er sonst einen Führerschein hätte vorzeigen müssen, den er nie bestanden hat – wird mein Leichnam nach Dakar überführt. Kaum in der Leichenhalle angekommen, nimmt der Wärter vorsorglich meinen ganzen Schmuck in Verwahrung. In seiner Logik eines armen Schluckers, braucht eine Tote das nicht mehr. Er jedoch, Papa Aliou, ganz lebendig, kann damit mit einem Schlag all seine Schulden beim Krämer begleichen und sich die kleine Ndèye Bintou, die kaum älter ist als seine Jüngste, als dritte Frau genehmigen. Er hatte es schon lange auf sie abgesehen. Er wird seiner künftigen Schwiegermutter die goldene Halskette vermachen, seiner Braut die Armbänder und Tante Fatou den Ring mit dem blauen Stein. Wie er glänzt! Sie wird sich freuen. Er hatte noch nie im Leben einen Saphir gesehen. Nachdem er also so die Taschen seines abgetragenen Kaftans gefüllt hat, macht er seine rituellen Waschungen, holt seinen Gebetsteppich hervor und dankt Allah für seine unendliche Güte. Alhamdulillah, die Toten reden nicht. Er hat wirklich einen guten Job.

Angetan mit einem langen weißen Seidenkleid, geschminkt und einen Rosenkranz zwischen den Fingern, liege ich bereit für meine Beerdigung. Ich will nichts. Oder doch, ich will verbrannt werden, als Staub verfliegen, meine Asche über der Unendlichkeit des Ozeans ausgestreut sehen, ich, die ich immer wasserscheu war. Ich will so schnell wie möglich die wieder treffen, die ich mochte: Vater Eugène und Ludovic. Aber man hat mich gegen meinen Willen erst noch eine Woche auf Eis gelegt und mich dann in dieser ausgerechnet mit lila Satin ausgeschlagenen Holzkiste den Blicken der Voyeure ausgesetzt.

Ich kann lila nicht ausstehen, genauso wenig wie Beerdigungen – außer denen von Harold und Maud. Diese grotesken Situationen und die Heuchelei gehen mir auf die Nerven. Aber heute betrachte ich das alles mit einem Lächeln. Als schwebende Seele beobachte ich meine Freunde in großer weißer Tunika, die vor einem verwirrten Christus ihre moslemische Bestattungslitanei hersagen. Gleich daneben meine Freunde im dunklen Anzug, denen Stundenhotels geläufiger sind als Kirchen. Sie singen die Kirchenlieder ebenso inbrünstig wie falsch. Und Berta, ja Berta, das Klageweib von den Kapverden, unterstreicht jeden Satz des Priesters mit immer herzzerreißenderen Schluchzern, um ihrem Ruf gerecht zu werden.

Meine beiden Familien haben sich wie zu Zeiten der Apartheid jede zu einer Seite des Mittelgangs gesetzt. Auf der Seite der aufgehenden Sonne der afrikanische Teil, angeführt von meinem Vater und meinem Onkel Henri, einem schlagfertigen Herrn in den Achtzigern mit funkelnden Augen, und auf der Seite der Nacht meine Mutter Marie-Eleonore, verborgen unter einem enormen Hut und wie gewöhnlich flankiert von meiner Großmutter Adele, einer Hundertjährigen, die sich mit all ihren unverwüstlichen Kräften ans Leben klammert – und an ihre Tochter. Friedrich, mein Lebensgefährte, meine Liebe, spürt meine Anwesenheit und hebt den Blick. Er kennt meine Animosität gegenüber diesem alten Puter. Ich suche Gott. Ich will begreifen. Warum holt er mich, wo doch Adele schon so lange gelebt hat, dass sie Morgen- und Abendrot verwechselt?

Die Messe verläuft in Inbrunst und Andacht. Trotz der andauernden Rezession war die Kollekte phantastisch. Die Frömmler begeben sich demonstrativ im Gänsemarsch nach vorn zur Kommunion. Sie haben sich ihr gutes Gewissen erkauft und die jetzt gefalteten Hände von allen Sünden gewaschen. Der Priester, der unter der Hitze in der überfüllten Kathedrale leidet, fordert die zusammen gekommene Gemeinde ein letztes Mal zum Gebet für die bedauerte Dahingeschiedene auf, schwenkt das Weihrauchfass um meinen Sarg, bekreuzigt sich und zieht sich von seinen Ministranten gefolgt zurück. Vier schwarz gekleidete Männer nähern sich meinem Sarg und heben ihn in perfektem Gleichtakt auf. Das Trommeln der Tamtams und der Gesang von Julien Jougas Kirchenchor füllen die Kathedrale. Diese Schönheit hätte mir wohl den Atem genommen. Die Gläubigen erheben sich und verlassen langsam die Kathedrale in Richtung Friedhof. Der Leichenzug setzt sich in Bewegung. Die Autos folgen im Schritttempo dem mit Rosen- und Gladiolenkränzen geschmückten Leichenwagen. Weißer Flieder und Veilchen wären mir lieber gewesen. Jetzt werden meine sterblichen Überreste also, von ein paar Tränen begleitet, begraben. So ist es Brauch. Ich begleite sie nicht. Meine von ihrem Körper befreite Seele lebt weiter, und bevor ich in den Himmel zurückkehre, zeichne ich ein letztes Mal in einer ganz neuen Heiterkeit mein Leben eines Mischlings nach, das Leben einer Tochter im Schatten auf der Suche nach Liebe und nach Anerkennung.

Ayélé, Tochter im Schatten

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