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Erotische Erziehung

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Anläßlich des letzten studentischen Autorenabends in Berlin

1914

Wichtiger als die Binsenwahrheit vom Mangel einer erotischen Kultur ist die Tatsache der doppelten erotischen Unkultur: der familialen und der Prostitution. Vergeblich der Versuch, diese beiden Geistlosigkeiten sich durchdringen zu lassen in der Gloriole jugendlichen Philisteriums: dem Verhältnis. Was wir hörten, war im wesentlichen Verhältnispoesie. Das heißt: Modernitäten der Vokabelwahl in geibeligen Rhythmen, oder – inhaltlich: panerotische Exzesse mit Familienrückhalt. Man beschwor byzantinisch-romanische Namen, wie Theodora, und kandierte sie mit süßer Mädel-Poesie. Ein andrer sang Orpheuslieder, um poetische Blindheit in Griechentum zu hüllen und ungestört auf Meer und Liebe anzuspielen. Jemand verlegte die aufreizende Albernheit einer Vergewaltigung in eine römische Arena. Die klassischen Kulissen sind das Wahrzeichen der familialen Gebundenheit, und es wurden erotische Poesien zutage gefördert, die man jedem – wenn nicht Vater, so doch Onkel – präsentieren dürfte.

Dazwischen – es soll nicht verschwiegen werden – hatten sich Fossilien aus der rein familialen Epoche erhalten, und man erfuhr mit rückhaltlosem Interesse, daß es so etwas noch gibt. Nämlich »Jugend, Skizze al fresco«, die die Erotik ins traute Heim verlegt, und der Sohn liebt das »Weib« des Vaters.

Ein einziger Autor wies den Weg vorwärts: A. E. Günther, mit zielbewußten, scharf orientierten und gedankenreichen Skizzen. Ein andrer bewahrte anständige Neutralität: Erich Krauß.

Solange aber die Studenten ihre Poesie derart familiär durchfühlen, nicht wagen werden, die Erotik der Dirne, die ihnen zunächst ist, geistig zu sehen (anstatt mit graziösen Lüstchen zu spielen), solange werden sie in dumpfer Verhältnispoesie stecken bleiben und keine einzige geschaute und geformte Zeile produzieren.

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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