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Gutshof

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Sarah saß kerzengerade im Bett. Ein Baby hatte geweint. Mit angehaltenem Atem lauschte sie. War etwas mit Marys Baby? In die nächtliche Stille erklang erneut das schwache Wimmern. Es war so merkwürdig ruhig. Sarah erhob sich von dem Lager, das sie sich im Gebärzimmer aufgeschlagen hatte, und ging die paar Schritte zu Marys Bett hinüber. Ein Mondstrahl fiel durchs Fenster und erhellte ihr Gesicht. Das silberne Licht ließ sie merkwürdig bleich wirken, und Sarah erschrak. Hatte Mary in der Nacht wieder zu bluten begonnen und war weggestorben, ohne dass sie überhaupt etwas davon bemerkt hatte?

Die Rothaarige streckte eine zittrige Hand aus, um nach der Halsschlagader zu tasten, aber als sie nur Millimeter davon entfernt war, die Haut der Frau vor ihr zu berühren, zuckte Marys Gesicht zu ihr herum und sie riss die Augen auf.

»Er ist weg!«

Sarah erschrak so sehr, dass sie aufschrie und das Gefühl hatte, die Beine versagten ihr ihren Dienst, aber sie fing sich wieder, beugte sich keuchend über Marys Bett.

»Wer ist weg?«

»Mein Baby.«

Die Augen der jungen Mutter wanderten verstört durchs Zimmer, und das Gewimmer des Säuglings schwebte wieder im Raum. Sarah runzelte die Stirn.

»Er ist nicht weg, ich höre ihn doch!«

Sie richtete sich auf und wandte sich um, um Mary ihren Sohn zum Stillen zu geben. Doch das Babybett war leer. Fassungslos starrte Sarah hinein, als Mary neben sie trat und wiederholte: »Er ist weg!«

Das Wimmern verstärkte sich, steigerte sich langsam zu dem Weinen eines Neugeborenen, das nach Nahrung verlangte.

»Ich finde ihn, ich bringe ihn dir zurück!«

Sarah hetzte aus dem Zimmer, drehte sich orientierungslos auf dem Flur nach links und rechts. Das Geschrei hallte durch den Gang, war nicht zu lokalisieren. Wer konnte das Baby geholt haben, und wohin hatten sie es gebracht?

Die Rothaarige stolperte los, aufs Geratewohl. Es war dunkel, das Echo ihrer Schritte hallte von den Wänden, und doch wurde das Babygeschrei immer lauter, schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Die Türen der Schlafsäle öffneten sich einen Spalt breit, und Augen funkelten darin, die sie kurz musterten, bevor sich die Türen rasch wieder schlossen.

Die Flure schienen endlos, eine Tür sah aus wie die andere, und Sarah wusste nicht mehr, wo sie war. Sie begann zu rennen, stolperte, rutschte aus, aber fing sich immer wieder und hastete weiter.

Endlich kam sie um eine Ecke, war unvermittelt vor einer Wand und blieb stehen wie angewurzelt. Verblüfft starrte sie die beiden Porträts an. Wer hatte die Bilder von Isabella und Marjorie abgenommen und ins Heim gebracht?

»Sarah, was zum Teufel tust du hier?«

Wieder schrie Sarah auf, als jemand sie am Arm packte, wirbelte herum und blickte in Tante Margrets Gesicht. Die resolute alte Dame trug ihr Nachthemd, eine Haube auf dem Kopf und eine Kerze in der Hand.

»Ich suche das Baby«, antwortete Sarah wie aus der Pistole geschossen und erreichte damit nur, dass Margrets Augenbrauen noch weiter in die Höhe wanderten.

»Welches Baby?«

»Marys Baby!«

»Sarah, geht es dir gut?« Margret hatte ihren Arm losgelassen und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Hast du Fieber? Hier ist kein Baby!«

»Aber ich höre es doch schreien!«

Tatsächlich war es völlig still. Das Weinen hatte aufgehört. Verwirrt sah Sarah sich um. Sie stand in der Eingangshalle des Gutes, vor den Bildern von Marjorie und Isabella.

»Das heißt … ich habe es schreien hören. Hast du nichts gehört?«

Margret schüttelte bestimmt den Kopf.

»Jedenfalls kein Baby! Nur deine Tür und wie du die Treppen hinuntergelaufen bist! Du hast schlecht geträumt, Sarah! Kein Wunder, du hast viel zu wenig geschlafen letzte Nacht! Du musst dir mehr Ruhe gönnen! Komm, ich bringe dich zurück ins Bett!« Sie legte ihrer Nichte den Arm um die Schultern und geleitete sie in ihr Zimmer, deckte sie zu wie ein kleines Kind. »Und jetzt schläfst du dich schön aus!«

Nachdem Tante Margret ihr Zimmer verlassen hatte, lauschte Sarah noch minutenlang in die Nacht. Aber es schrie kein Baby.

Die O´Leary Saga

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