Читать книгу Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. - Werner Skrentny - Страница 17

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KAPITEL 7

Der Kronprinzenpokal, teils ungeliebt \\\ Schock auf dem „Zabo“ \\\ Hirschs Debüt 1911 und sein spätes Comeback 1923

Der deutsche Fußball kennt in seiner Anfangszeit drei wesentliche Wettbewerbe: die 1903 erstmals ausgetragene Deutsche Meisterschaft für Vereine, die Länderspiele seit 1908 und den für die Spielzeit 1908/09 eingeführten Kronprinzenpokal, bei dem nicht Vereine, sondern Auswahlmannschaften der DFB-Regionalverbände aufeinandertrafen.

Der Pokalwettbewerb, basierend auf einer Stiftung von Wilhelm von Preußen, den das DFB-Jahrbuch 1911 auf Seite 3 ganzseitig als aktiven Kicker abbildete, wurde nach seiner Entstehung noch sehr skeptisch beurteilt. Die Gründe: Er würde erheblich mehr Arbeit für die Verbände und noch mehr Begegnungen für die Auswahlspieler der Klubs bedeuten. Süddeutschland nominierte deshalb erst einmal nur eine B-Mannschaft, „der Eingeweihte hört manches Murren seitens der Verbands- und Vereinsleitungen“ (1909).

Mit der Zeit aber erkannten die regionalen Verbände die Bedeutung des Kronprinzenpokals für ihr Prestige (und als Einnahmequelle?). Hinzu kam, dass der Pokal als „Schaufenster“ für Nationalmannschafts-Kandidaten diente. Die Gewinner verteilten sich bis 1918 – eine Zeitlang fand der Wettbewerb infolge des Krieges nicht statt – auf Norddeutschland (dreimal), Süddeutschland (zweimal), Mitteldeutschland (Teile der früheren DDR, heute Ostdeutschland genannt), Westdeutschland und Brandenburg, das Berlin ersetzte (je einmal). Der stets nachdenkliche Sportjournalist Walther Bensemann, wieder einmal besorgt um die Belastung der berufstätigen Spieler, war der Ansicht, Nordostdeutschland (= Ostpreußen) und Südostdeutschland (Breslau, Cottbus etc.) hätten eine Teilnahme gar nicht verdient, da sie fast immer der Konkurrenz unterlegen seien.

Fünfstellige Besucherzahlen erreichte der Kronprinzenpokal lediglich bei zwei Berliner Endspielen am Ort des heutigen Olympiastadions, so 1913 anlässlich der Einweihung des Deutschen Stadion Berlin 10.000 und 1914 am selben Ort 15.000. Größere Einnahmen meldete auch sonst nur Berlin (7.000 auf dem Union-Platz Mariendorf und 9.000 auf dem Hertha-Platz).

Das erste Spiel, das erste Tor

Julius Hirsch, gewiss kaisertreu wie all seine Sportkameraden, debütiert in diesem zusätzlichen Pflichtprogramm am 12. November 1911 auf dem Sportplatz innerhalb der Leipziger Radrennbahn gegen Mitteldeutschland. Bosch, Breunig, Förderer und Fuchs aus seinem Verein KFV begleiten ihn, sein späterer Fürther Mannschaftskollege „Karle“ Burger ist ebenfalls vor Ort, und auch der wechselfreudige sächsische Nationalmannschafts-Kapitän Camillo Ugi, zu der Zeit beim FSV Frankfurt. Hirsch erzielt in der 52. Minute die Führung der Süddeutschen, drei Minuten später trifft Gottfried Fuchs, die Partie endet 2:1, womit der Süden das Kronprinzenpokal-Endspiel 1912 erreicht hat.

Das findet nun nicht am neutralen Ort, sondern am 18. Februar 1912 in Berlin statt; der Gegner ist Brandenburg. Die Brandenburger schicken ausschließlich Berliner aufs Feld, darunter acht Internationale, und spielen vor allem gegen Karlsruher (Hollstein, Breunig, Gros, Förderer, Fuchs, Hirsch vom KFV, Wegele vom Phönix).

Die 7.000 Zuschauer auf dem Union-Platz von Berlin-Mariendorf erleben das spektakulärste Kronprinzenpokal-Endspiel aller Zeiten. Julius Hirsch erzielt gleich nach Anpfiff in der ersten Spielminute das 1:0 für den Süden, er erhöht in der 28. Minute auf 3:1 und in der 70. auf 6:3. Zwei Tore steuert Gottfried Fuchs bei, eines Fritz Förderer, Endstand 6:5 für den Süden.

Nach einem Einsatz im Viertelfinale des Wettbewerbs 1912/13 in Fürth (Süd – Mitteldeutschland 3:1, 6.000 Zuschauer, Süddeutschland scheidet im Halbfinale in Berlin mit 1:2 gegen Westdeutschland aus) tritt Hirsch am 12. Oktober 1913 im Kronprinzenpokal gegen Westdeutschland vor 5.000 bis 6.000 auf dem Sportplatz bei der Eichbaumbrauerei des VfR Mannheim (später: VfR-Platz bei den Brauereien, 1959 beseitigt) infolge seines Vereinswechsels bereits als Fürther an.


Das dramatischste endspiel um den Kronprinzenpokal endete 1912 in Berlin mit 6:5 für Süddeutschland gegen Berlin. Die Erfolgself bildeten (v. l.) Förderer, Fuchs (beide KFV), Burger (Fürth), Kühnle (Stuttgarter Kickers), Wegele (Phönix Karlsruhe), Hollstein, Breunig (beide KFV), Kieferl (Wacker München), Höfler (FV Kaiserslautern), Hirsch, Gros (beide KFV).

Der süddeutsche Innensturm lautet wie zu KFV-Zeiten: Fritz Förderer – Gottfried Fuchs – Julius Hirsch. Auch Hirschs neuer Fürther Mannschaftskamerad Hans Schmidt, der spätere Nationalspieler, ist nominiert. Berichtet wird von „großer Begeisterung“ und „wunderbarem Spiel“. Die Westdeutschen führen zur Pause 2:0, dann erzielt der Karlsruher Gottfried Fuchs einen Hattrick (53., 60., 84. Min.) zum 3:2-Endstand.

„Leute fallen in Ohnmacht“

Süddeutschland und Mitteldeutschland treten daraufhin am 9. November 1913 im Halbfinale gegeneinander an, und keiner der 5.000 bis 6.000, die zum Platz des 1. FCN nach Nürnberg-Zerzabelshof, dem legendären „Zabo“, gekommen sind, ahnt, dass an diesem Tag das viel gerühmte Innentrio Förderer – Fuchs – Hirsch letztmals zusammen spielen wird. In der 57. Minute nämlich erleidet Fritz Förderer nach einem Einsatz von Edy (d.i. Eduard Pendorf vom VfB Leipzig) einen Schien- und Wadenbeinbruch. „Sanitäter tragen den alten Internationalen aus dem Spielfeld. Ein tieftrauriger Anblick. Da und dort fallen Leute in Ohnmacht. Wo hat sich auf unseren Fußballfeldern jemals etwas Ähnliches ereignet?“ („Der Fußball“, 1913, Nr. 90) Süd-Mittelläufer Max Breunig vom 1. FC Pforzheim, Hirschs früherer Mitspieler beim KFV, auch ohne damalige Fernsehkameras nie um einen fachlichen Kommentar nach Abpfiff verlegen: „Ich spiele nun bereits acht Jahre erstklassigen Fußball, ich habe viele scharfe Kämpfe mitgemacht, und einmal trugen sie mich bewusstlos vom Platz. Hat ein Spieler seine Beine nicht in der Gewalt, so spielt er lebensgefährlich.“ Gemeint ist offenbar Edy/Pendorf.

Edy, der Leipziger unter Pseudonym, hilft, Förderer vom Platz zu tragen. Später wird man ihm vorwerfen, er habe sich nie nach dem Befinden des Verletzten erkundigt. Noch später, am 29. Mai 1919, wird Förderer im Kronprinzenpokal gemeinsam mit Edy in einer Mannschaft für Mitteldeutschland spielen – gegen Julius Hirsch, der für den Süden antritt. Denn Ende 1916 wurde der Karlsruher Förderer, von Beruf Elektriker, im Krieg zum Aufbau der Leuna-Werke bei Halle/Saale abkommandiert und schloss sich dem VfL 1896 Halle an.

An jenem 9. November 1913 in Nürnberg verliert die Süd-Auswahl gegen Mitteldeutschland mit 1:2 n.V. Niemand darf für Förderer eingewechselt werden, und dessen Ausscheiden hat die Mannschaftskameraden schockiert. „Hirsch und Fuchs fehlt die körperliche Frische“, wird hernach geurteilt („Fußball“, Nr. 91, 1913).

Die schwere Verletzung des Nationalspielers „Fridder“ Förderer, die sich als Unterschenkel-Beinbruch erweist, erschüttert die Fußballgemeinde. William Townley, ehemals Trainer beim KFV und nun als „Footballund School-Teacher“ in Fürth engagiert, regt ein Benefizspiel zwischen einer Kombination 1. FC Nürnberg/SpVgg Fürth und der Stadtauswahl Leipzig zugunsten von Förderer an. Aus England übermittelt Fußballpionier Walther Bensemann seine Frage: „Ungeschicklichkeit oder Roheitsdelikt? Je eher eine Kommission diese Angelegenheit prüft, desto besser für alle Beteiligten.“ („Fußball“, Nr. 97)

Dazu aber kommt es nicht. Jetzt wird der DFB von der Sportpresse gerügt, weil er sich nicht nach dem Zustand des Verletzten erkundigt und noch nicht einmal Genesungswünsche an den Nationalspieler übermittelt („Fußball“, Nr. 98). Die Verletzung des Karlsruhers erscheint zunächst dramatisch: Förderer würde nie mehr Fußball spielen können, urteilt der zuständige Professor des Städtischen Krankenhauses Nürnberg. Womöglich müsse sogar sein Bein verkürzt werden.

Der Verletzte erfährt eine Welle der Hilfsbereitschaft. 150 Mark stehen ihm laut Unfallstatut zu, 300 Mark Unterstützung und die Transportkosten von Nürnberg nach Karlsruhe soll der DFB übernehmen. Mitglieder und Gönner der SpVgg Fürth bringen 1.000 Mark (!) für den KFVler auf; womöglich hat Fürths Spielführer Julius Hirsch zu der Spendenaktion die Initiative ergriffen. Zahlreiche weitere Zuweisungen registriert die Zeitschrift „Fußball“, so vom Äppelweinstammtisch des Frankfurter FV und von Förderer-Anhängern aus Homburg (Pfalz).


10.000 Zuschauer sahen das Kronprinzenpokal-Finale 1912 auf dem Berliner Union-Platz – auch von den Balkonen. Von links: Tormann Eichelmann, Hunder, Süd-Stürmer Fuchs und Röpnack.

Fritz Förderer wird wie erwähnt glücklicherweise wieder Fußball spielen können. An einem Dienstagabend 1919, um 18.30 Uhr, wirken er, Fuchs und Hirsch noch einmal zusammen, als der MTK Budapest beim KFV gastiert (0:1). Aber das Innentrio ist gesprengt, denn Förderer spielt jetzt rechter Verteidiger, Fuchs ist Mittelstürmer, Hirsch auf Halblinks. „Mindestens 7.000 Zuschauer“ bringen eine Einnahme von 13.000 Mark – „in jeder Beziehung ein Rekord für die spießige badische Residenz“ („Fußball“, Nr. 32). Dass weder Ministerien noch Bürgermeister vertreten sind, veranlasst die Zeitschrift, den Veranstalter KFV zu kritisieren, denn der hatte den Offiziellen keine Freikarten geschickt: „Kleinlichkeit, jeglicher Mangel an Großzügigkeit und Weitblick.“

Zurück zum Kronprinzenpokal: Als die strapaziöse Meistersaison 1913/14 für die SpVgg Fürth mit den Gastspielen in Wien und Budapest zu Ende ist, ruft erneut der Verband: Im gerade fertiggestellten Stuttgarter Stadion auf dem Cannstatter Wasen tritt am 21. Juni 1914 Süddeutschland gegen Norddeutschland an (3:1). Der neue Deutsche Meister Fürth ist durch Burger, Franz III, Weicz (als Staatsangehöriger von Österreich-Ungarn!), Hirsch und Jakob vertreten, und es heißt, auch der greise König von Württemberg habe zugesehen. Im Stadion werden bald darauf italienische Gefangene interniert, denn der Krieg hat begonnen, und durch Brandstiftung geht die Sportstätte in Flammen auf.

Auch während des Ersten Weltkrieges veranstaltet der Süden noch Auswahlspiele, aber Hirsch und Fuchs stehen als Soldaten nicht zur Verfügung.

Der Kronprinz geht, der Pokal bleibt

Der Krieg ist noch nicht zu Ende, da beginnt am 13. Oktober 1918 erneut der Wettbewerb Kronprinzenpokal. Doch Wilhelm von Preußen, der die Trophäe einst gestiftet hatte, flüchtet vor der Novemberrevolution 1918 in die Pfarrei des niederländischen Dorfes Oosterland auf Wieringen und wird nach dem Thronverzicht erst 1923 wieder nach Deutschland zurückkehren. Er lässt sich in Hechingen in Württemberg nieder und wird später die NSDAP unterstützen. Die Zeitschrift „Fußball“ erscheint vom 9. April bis 12. Mai 1919 nicht, weil in München Bürgerkrieg ist. Die nationalistische Propaganda verkürzt dies später auf eine Auseinandersetzung der oberbayerischen Bauern mit den „Söhnen der Wüste“ (= Juden und Kommunisten).

„Kronprinzenpokal“, der Begriff taugt nach dem Sturz der Monarchie natürlich nicht mehr. Obwohl: Der Karlsruher FV annonciert noch am 22. Januar 1919 stolz, dass er „unter dem Protektorat des Prinzen Maximilian von Baden“ stünde. Jener Max von Baden, letzter vorgesehener Thronfolger im Großherzogtum, hatte als Reichskanzler am 9. November 1918 eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. bekannt gegeben und sein Amt dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert übertragen. Der eigentliche Großherzog Friedrich II. von Baden war angesichts der Revolution aus Karlsruhe geflüchtet und erklärte am 22. November 1918 den Thronverzicht.

Der Wettbewerb jedenfalls heißt fortan Bundespokal, wird von 1935 bis 1942 als Reichsbundpokal firmieren, ab 1949 als Länderpokal (1949/50 noch für Vertragsspieler, danach für Amateure). Heutzutage führt er ein Randdasein, ausgeschrieben für U21 und Frauen der U20.


Letztmals spielte Julius Hirsch anlässlich der Einweihung des Wildparkstadions von Phönix 1923 in Karlsruhe für Süddeutschland gegen die Zentralschweiz (3:3) und erzielte ein Tor. Stehend v.l.: Müller (Sk Freiburg), Grote, Hirsch (beide KFV), Maneval (Stuttgarter Kickers), Beitz (Viktoria Aschaffenburg), Roller (1. FC Pforzheim), Kutterer (Bayern München), Hagen (Fürth); sitzend v.l.: Hartmann (Stgt. Kickers), Wetzel (1. FCP), Wunderlich (Stgt. Kickers).

Im Jahr 1919 wird der Wettbewerb als Bundespokal am 29. Mai in Leipzig mit dem Halbfinale Mitteldeutschland gegen Süddeutschland fortgesetzt. „Die Postverhältnisse erschweren die Verständigung“, meldet der Süden; „in Aussicht“ stehen fast ausschließlich Akteure aus dem Ostkreis des Süddeutschen Fußball-Verbandes (also Bayern), um eine weite Anreise der Spieler zu vermeiden. Kriegsteilnehmer Julius Hirsch feiert sein Comeback in der Auswahl, neben ihm sind weitere sechs Fürther nominiert, dazu je ein Spieler von MTV München, 1860, dem Freiburger FC und dem Frankfurter FV. Die Süd-Auswahl gewinnt durch drei Tore von Leonhard „Loni“ Seiderer aus Fürth mit 3:1 n.V., Hirsch spielt halblinks in einem reinen Fürther Sturm.

Es wird noch ein weiteres spätes Comeback für ihn in der süddeutschen Auswahl geben. Das geschieht am 22. Juli 1923 fast zwölf Jahre nach seiner ersten Berufung. Die Bilder zeigen einen 31 Jahre alten Julius Hirsch, der sichtlich fülliger geworden ist, auch der schwarze Haarschopf hat sich gelichtet. Die Partie gegen die Zentralschweiz im gerade freigegebenen Stadion von Phönix Karlsruhe wurde anlässlich der Jahresversammlung des Süddeutschen Fußball-Verbandes recht kurzfristig angesetzt. Weil der vorgesehene Linksaußen Altvater von Wacker München an diesem Sonntag unabkömmlich ist, springt der Alt-Internationale Hirsch ein. Vor 8.000 Zuschauern erzielt er den Ausgleich zum 1:1, das Spiel endet 3:3.

Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.

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